Frage an Oskar Lafontaine von Gerhard G. bezüglich Bildung und Erziehung
Bildungsmisere der Jungen
Sehr geehrter Herr Lafontaine,
seit den 80er Jahren fallen die Jungen in der Schule immer mehr hinter den Mädchen zurück. Es ist davon auszugehen, dass es im Saarland nicht wesentlich anders aussieht als im Bundesgebiet oder in Rheinland-Pfalz: betrachtet man den Anteil der Jungen und Mädchen an einem Jahrgang, so machen fast die Hälfte mehr Mädchen als Jungen Abitur; die Jungen schneiden dabei im Schnitt um eine Note schlechter ab. Die Leseleistungen hinken deutlich hinterher. Auf der anderen Seite ist der Anteil der Jungen, die keinen Schulabschluss erreichen, weit mehr als die Hälfte größer als der Anteil der Mädchen. Die Liste ließe sich fortsetzen.
Bei den unter 25-Jährigen sind im Saarland absolut und prozentual deutlich mehr junge Männer als junge Frauen arbeitslos. Allgemein ist Bildung ein wesentlicher Schlüssel für Aufstieg und den Spielraum für die eigene Lebensplanung.
Es liegt nahe, die Erfolge der Mädchen mit der seit den 70er Jahren praktizierten nachhaltigen Mädchenförderung in Verbindung zu bringen, die auch heute eine weit größere Dimension besitzt als die nur ganz vereinzelt anzutreffende Jungenförderung. Erst im November 2008 verkündete Bildungsministerin Kramp-Karrenbauer, dass Mädchen in Mathematik gefördert werden sollten. Von Förderung der Lesekompetenz für Jungen war keine Rede.
Wie sehen Sie die weitere Entwicklung der Bildungssituation der Jungen, welche Maßnahmen betrachten Sie als notwendig, für welche Maßnahmen werden Sie konkret eintreten und auf welche Weise beabsichtigen Sie das zu tun?
Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Groß,
Oskar Lafontaine bedankt sich für Ihre Mail und hat mich gebeten, Ihnen zu antworten.
Statistisch gesehen ist die Feststellung korrekt, dass Jungen im Durchschnitt geringere Bildungsergebnisse erzielen bzw. eine geringere Lesekompetenz haben als Mädchen. Es muss aber näher hingesehen werden, da es sich um Durchschnittswerte handelt: nicht alle Jungen haben per se einen Nachteil im Bildungssystem. Betroffen sind in erster Linie Jungen, deren Eltern ein niedriges Einkommen haben. Dazu gehören vor allem auch Jungen mit Migrationshintergrund, gleichzeitig wissen wir aber auch, dass der „Bildungsvorsprung“ von Mädchen nicht automatisch zu mehr Erfolg im Erwerbsleben führt.
Wer hier nur auf die reine Erwerbsstatistik schaut, verliert die Arbeitsbedingungen der Menschen aus dem Blick. Frauen verdienen nicht nur im Durchschnitt ein Viertel weniger als Männer, sie müssen besonders oft zu Löhnen arbeiten, von denen man nicht leben kann. Der Grund ist unter anderem, dass Berufe wie zum Beispiel Verkäuferin, in denen überwiegend Frauen arbeiten, meist besonders niedrig sind. DIE LINKE setzt sich nachdrücklich für Chancengleichheit in der Bildung ein. Und zwar für alle Kinder gleichermaßen. Unser Ansatz wäre daher nicht, Fördermaßnahmen für Mädchen, gegen Fördermaßnahmen für Jungen aufzurechnen. Die Gleichberechtigung von Frauen und Männern ist doch kein Null-Summenspiel!
Wir brauchen endlich eine grundlegende Bildungsreform, die allen Kindern die gleichen Chancen bietet. Dazu gehört der Rechtsanspruch auf einen gebührenfreien Kita-Platz, der Ausbau von Gemeinschafts- und Ganztagsschulen, Lehr- und Lernmittelfreiheit und vor allem mehr gut qualifiziertes Personal, dass die sich jedem Kind angemessen widmen kann, um seine individuellen Fähigkeiten zu fördern.
Mit freundlichen Grüßen
Harald Schindel
Büroleiter des Vorsitzenden Oskar Lafontaine