Frage an Oliver Krischer von Jörn-Derek G. bezüglich Recht
Abwägung der Corona-Maßnahmen
Guten Tag Herr Krischer,
mit den zu erwartenden ansteigenden Erkrankungszahlen (oder definierten Fälle) im Herbst werden nun von der Bundesregierung und von den Ministerpräsidenten wieder eine Vielzahl einschneidender Maßnahmen ausgerufen, die das soziale und wirtschaftliche Leben fast aller Bürger massiv betreffen werden.
Aussagen von Fachleuten lassen erwarten, dass das Beendigen der „Epidemischen Lage nationaler Tragweite“ wohl gut und gerne erst 2022 erfolgen wird; vor allem hier im Zusammenhang mit dem voraussichtlichen Abschluß der angestrebten Impfmaßnahmen.
Meine grundsätzliche Frage an Sie ist nun:
In wieweit habe Sie (oder ihre Fraktion) die Alternativlosigkeit dieser Maßnahmen und, falls klar erkennbar, der zugrundeliegenden Strategie, überprüft ?
Ich möchte mich bei der Beschreibung eines Alternativmodels an der Great Barrington Declaration orientieren: Risikogruppen-Schutz (bei deren Wunsch), die tatsächliche Belastungsgrenze des Gesundheitssystems als akzeptable Grenze für angemessene Verbotsmaßnahmen, normale Hygienemaßnahmen für alle. Risikogruppen waren schon seit Ende Januar definierbar und die frühe Heinsberg-Studie hält in wichtigen Punkten bis jetzt.
Also konkret:
Wie haben Sie sich ein Bild gemacht, ob die anfangs durchgeführten und nun, in anderer Reihenfolge, wiederholten Maßnahmen angemessen waren/sind; vor allem unter Beachtung der Vorgaben des Grundgesetzes und des Rechtsgrundsatzes der Verhältnismäßigkeit ?
Gern würde ich erfahren,
• welche Anfragen Sie (oder ihre Fraktion) hierzu an die Bundes/Landesregierung gestellt haben,
• welche Antworten es hierzu gab, und
• welche Studien Sie (oder ihre Fraktion) ggf. selbst beauftragt haben, falls die Bundes/Landesregierung nicht oder nicht ausreichend geantwortet hat
Das Parlament als Vertretung des Souveräns war schon seit Monaten in der Pflicht, hier zu hinterfragen und ggf. zu handeln.
Mit freundlichen Grüßen,
Jörn-Derek Gehringer
Sehr geehrter Herr Gehringer,
herzlichen Dank für Ihr Schreiben.
Der Gesetzentwurf der Fraktionen von Union und SPD (Drucksache 19/23944, "Bevölkerungsschutzgesetz") enthält aus unserer Sicht u.a. einige sinnvolle kurzfristige Maßnahmen wie etwa zur digitalen Vernetzung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes sowie zum Ausbau der Testkapazitäten. Der Entwurf der beiden Koalitionsfraktionen versagt aber dabei, ein wesentliches Ziel zu erreichen: die bereits bestehenden, durch die Länder erlassenen, Einschränkungen auf eine hinreichende gesetzliche Grundlage (in §28a neu des Infektionsschutzgesetzes) zu stellen und die Rechte des Parlamentes zu sichern. Der Entwurf schafft nämlich gerade keine präzise gesetzliche Grundlage für das Vorgehen der Länder. Er entspricht so weder dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot noch sichert er den Parlamentsvorbehalt. Unsere Kritik wurde so auch in der Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestages von etlichen juristischen Expertinnen und Experten geteilt.
Die Koalitionsfraktionen ignorieren zudem mit diesem Gesetzentwurf die deutliche Kritik an der bisher mangelnden Einbindung des Deutschen Bundestages und den viel zu weitgehenden Verordnungsermächtigungen der Bundesregierung. So haben wir frühzeitig gefordert, dass der Bundestag die Aufhebung einzelner Verordnungen verlangen kann. Wir sind der Meinung, dass diese Pandemie mit möglichst geringen sozialen, gesundheitlichen, ökonomischen und gesellschaftlichen Schäden bekämpft werden kann und muss. Dies darf nicht zur Unterminierung rechtsstaatlicher Grundsätze führen.
Wir sind der Auffassung, dass das Infektionsschutzgesetz mit den Erfahrungen dieser Pandemie aus verschiedenen Perspektiven gründlich modernisiert werden muss. Dazu gehören einerseits rechtsstaatliche Aspekte, aber auch die Frage nach einer stärkeren Verantwortung des Bundes und eine stärkere Einbeziehung wissenschaftlicher Politikberatung und wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Entscheidungsfindung des Bundesregierung und des Bundestages. Hierzu schlagen wir schon seit einiger Zeit einen interdisziplinär besetzten wissenschaftlichen „Pandemierat“ vor. Ihm sollen Expertinnen und Experten unterschiedlicher Fachrichtungen angehören, insbesondere aus Medizin, Gesundheitswissenschaft, Wirtschaftswissenschaften, Sozialwissenschaften, Rechtswissenschaft. Ziel ist es, die gesundheitlichen, sozialen und auch die ökonomischen Folgen der Pandemie und ihrer Bekämpfung soweit wie möglich zu reduzieren. In unseren Anträgen haben wir das näher skizziert. „Rechtsstaat und Demokratie in der Corona-Pandemie“: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/239/1923980.pdf sowie „Pandemierat jetzt gründen – Mit breiterer wissenschaftlicher Perspektive besser durch die Corona-Krise“: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/205/1920565.pdf.
Mit freundlichen Grüßen
Oliver Krischer MdB