Frage an Oliver Krischer von Joe B. bezüglich Wirtschaft
Herr Krischer,
Sie haben in namentlicher Abstimmung am 29. Juni 2012 dem ESM "Vertrag" zugestimmt. Ihren Amtseid haven sie auf das GG der Bundesrepublik Deutschland geleistet. Dieses Gesetzeswerk, so erwarte ich es als Waehler, sollte ihre Abwaegungs- und Abstimmungverhalten massgeblich beeinflussen, sprich demoktraische Leitlinien sollten zu erkennen sein. Es entsteht der Eindruck das Sie auf Mitwirkungs- und Entscheidungsrechte, leichtfertig und in verfassungswidriger Weise verzichtet haben.
Der ESM Vertrag verstoesst weitgehend gegen under Grundgesetz. Im Einzelnen:
1.Die Organsisationsstruktur des ESM ist undemokratisch. Die Befugnis zu Entscheidungen koennen auf das Direktorium uebertragen werden. Dieses besteht aus parlamentarisch nicht verantwortlichen "Fachleuten". Ausserdem sind die Direktoriumsmitglieder - ebenso wie die Gouverneursratsmitglieder - in ihrer Entscheidungsfreiheit durch eine skandaloese Immunitaetsregel geschuetzt. Sie sind damit jeglicher schadensrechtlicher Verantwortung entzogen. Darin liegt eine dem Gleichheitssatz des Grundgesetzes unvereinbare Priveligierung gegenueber dem Normalbuerger, der ruechsichtslos vor Gericht gestellt wird.
2.Durch die Einfuegung des Artikel 136, Absatz 3 in den Vertrag der Europaesichen Union (AEUV) wird die Waehrungsunion in eine Haftungsunion umgewandelt. Alle Schutzmechanismen unserer Demokratie werden mit der Beseitigung des Bail-out Verbots beseitig. Das BVG praktisch entmuendigt.
3 Wenn die Politik den Schritt ein eine Haftungs u Transferunion gehen will, dann ist dazu die Zustimmung des deutschen Volkes in Form eines verfassungsgebenden Volksentscheids erforderlich.
Koennen Sie mir bitte ihre Zustimmung zu diesem offensichtlichen Ermaechtigungsgesetz erlaeutern. Wir sind im Jahr 2012 (nicht 1933) und ich erlebe das live und moecht mir nicht von meinen Kinder sagen lassen ich haette nicht dagegen getan.
Ich freue mich auf Ihre Stellungsnahme.
J.Bildstein
Demokrat
Vlatten/Eifel
Sehr geehrter Herr Bildstein,
vielen Dank für Ihre Anfrage zum Europäischen Stabilitätsmechanismus. Ihre Verunsicherung bezüglich des Bundestagsbeschlusses vom 29. Juni 2012 kann ich gut nachvollziehen. Europa ist in einer existenziellen Krise und diese Krise erschüttert Europa in ihrem Kern. Wir stehen vor der Wahl, entweder den Zerfall der Währungsunion zu riskieren oder mutige Schritte hin zu einer fiskalischen und politischen Union zu gehen.
Als Teil der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen habe ich am 29.06.2012 den Gesetzen zur Einrichtung des ESM zugestimmt, weil ich der Überzeugung bin, dass der ESM ein wichtiger Baustein ist, um die Eurozone langfristig zu stabilisieren.
Im Folgenden zu Ihren Einwänden gegen den ESM:
1. Berücksichtigung des Demokratieprinzips beim Handeln des Direktoriums und des Gouverneursrates
Das Demokratieprinzip bleibt entgegen Ihrer Auffassung innerhalb der Organisationsstruktur des ESM gewahrt. Im Rahmen der Europäischen Union als supranationalem Gebilde erfolgt die demokratische Legitimation von Entscheidungsträgern entlang von Legitimationsketten, die in den Mitgliedsstaaten wurzeln und sich dann auf supranationaler Ebene fortsetzen. Nach diesem Konzept gestaltet sich auch die Legitimation der Entscheidungsträger im ESM:
- Die nationalen Finanzminister der 17 Euro-Staaten bilden gemeinsam den Gouverneursrat. Sie sind damit Vertreter demokratisch gewählter nationaler Regierungen und insofern mittelbar legitimiert.
- Gemäß Art. 6 Abs. 1 des ESM-Vertrags benennt ein Gouverneursratsmitglied jeweils ein Mitglied des Direktoriums sowie einen Stellvertreter.
- Sowohl die Ernennung der Gouverneursratsmitglieder als auch die der Direktoriumsmitglieder ist jeweils vom ernennenden Akteur jederzeit widerrufbar (Art. 5 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 ESM-Vertrag).
- Im Übrigen ist die Kontrolle der Bediensteten des ESM durch zahlreiche Vorschriften gewährleistet. Unter anderem können der EU-Kommissar für Wirtschaft und Währung sowie der Präsident der Europäischen Zentralbank gemäß Art. 6 Abs. 2 ESM-Vertrag jeweils einen Beobachter ernennen. Zudem kann der Gouverneursrat auch Vertreter von Institutionen und Organisationen zu Sitzungen einladen, Art. 6 Abs. 4 ESM-Vertrag).
2. Immunität der ESM-Bediensteten
Obwohl der ESM keine Europäische Institution ist, orientieren sich die Immunitätsregelungen für ESM-Bedienstete an denen, die auch für die Angestellten der europäischen Institutionen gelten. Somit genießen Bediensteten des ESM Immunität von der Gerichtsbarkeit bezüglich ihrer in amtlicher Eigenschaft vorgenommenen Handlungen sowie Unverletzlichkeit hinsichtlich ihrer amtlichen Schriftstücke und Unterlagen (Art. 35 Abs. 1 ESM-Vertrag). Das heißt, niemand soll angeklagt werden können, weil er ein bestimmtes Land für nicht solvent befunden hat. Diese Immunität erstreckt sich jedoch nicht auf strafbare Handlungen, die nicht mit Amtshandlungen in Verbindung stehen. Sie kann ferner jederzeit wieder aufgehoben werden (Art. 35 Abs. 2 und 3 ESM-Vertrag).
2. Zur Einfügung des Art. 136 III AEUV
Mit der Einfügung des Abs. 3 in den Art. 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) wird keine neue Unionskompetenz geschaffen. Vielmehr erhalten die Mitgliedsstaaten, deren Währung der Euro ist, die Möglichkeit, einen Stabilitätsmechanismus einzurichten, um die Stabilität des Euro-Währungssystems insgesamt zu wahren. Damit liegt die Kompetenz zur Errichtung des ESM bei den Mitgliedsstaaten.
Die Vertragsänderung bedarf nach § 2 des Integrationsverantwortungsgesetzes (IntVG) der Zustimmung von Bundestag und Bundesrat durch ein Gesetz gemäß Art. 23 Abs. 1 GG. Im Übrigen findet Art. 59 Abs. 1 GG Anwendung. Der Volkswille manifestiert sich in diesem Verfahren in der Entscheidung des Bundestags als gewählte Vertretung des deutschen Volkes.
3. Entmachtung des Bundesverfassungsgerichts
Eine Entmachtung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ist durch die Zustimmung des Bundestages zu den Gesetzen zur Einrichtung des ESM nicht ersichtlich.
Das BVerfG hat im Rahmen der Entscheidung über eine von unserer Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angestrengten Klage klargestellt, dass die Bundesregierung den Bundestag bei völkerrechtlichen „Anbauten“ zum Recht der Europäischen Union nicht mehr umgehen darf und die Informations- und Beteiligungsrechte des Bundestages gestärkt werden müssen. Dies schlägt sich auch in den Parlamentsbeteiligungsrechten im ESM-Finanzierungsgesetz (ESMFinG) nieder. Insofern hat die Rechtsprechung des BVerfG Berücksichtigung gefunden, von einer Entmachtung kann nicht gesprochen werden.
Gerne können Sie sich bei weiteren Rückfragen an meine zuständigen Kollegen für Finanzmarktpolitik in der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen wenden.
Mit freundlichen Grüßen
Oliver Krischer