Frage an Oliver Krischer von Joe B. bezüglich Wirtschaft
Koennen Sie mir bitte den Sinn und das Ziel dieses seit 10 Jahren dauerenden Kriegseinsatz erklaeren? Wofuer fallen deutsche Soldaten? Der Drogenhandel floriert, die Demokratie in Afghanistan ist weniger als nur eine Farce.
Dieser Einsazt is nach unserem Grundgesets illegal. Ihre Zustimmung zu diesem Krieg und seine Vortsetzung verletzt unsere Verfassung.
Die bloße Behauptung von politischen Funktionsträgern (unter anderem des damaligen Bundesverteidigungsministers Peter Struck bei der Vorstellung der "Verteidigungspolitischen Richtlinien" am 5. Februar 2002), Deutschland werde seit 2001 (auch) "am Hindukusch verteidigt", vermag weder den "Verteidigungsfall" nach Art. 115a GG noch einen Fall der "Verteidigung" im Sinne des Art. 87a GG zu begründen.
Für Art. 115a GG ist dies evident und bedarf keiner näheren Begründung. Denn dass "das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar bevorsteht", war und ist ersichtlich weder am 11. September 2001 noch in der Folgezeit der Fall gewesen.
Aber auch im Übrigen ist bisher nicht erwiesen, dass wegen 9/11 ein Fall der "Verteidigung" vorlag. Im Hinblick auf Art. 87a GG müssten in jedem Falle die Voraussetzungen des Art. 51 GG materiell erfüllt (gewesen) sein. An einem solchen überzeugenden Nachweis fehlte es jedoch - und fehlt es bis heute.
Uber eine detaillierte Begruendung fuer diesen Angriffskrieg wuerde ich mich sehr freuen.
Sehr geehrter Herr Joachim Bildstein,
vielen Dank für Ihr Schreiben zur Lage in Afghanistan und zum Einsatz der Bundeswehr. Wie gewünscht, gebe ich Ihnen nachfolgend gerne eine detaillierte Begründung. Wir teilen viele Ihrer Bedenken bezüglich der Entwicklung in Afghanistan. Als Partei, die für Gewaltfreiheit und den Schutz der Menschenrechte und des Friedens eintritt, haben wir uns mit dem Einsatz in Afghanistan und mit einfachen Antworten immer schwer getan. Deshalb begrüßen wir es, dass Sie mir und uns die Gelegenheit geben, darlegen zu können, wie wir die Lage in Afghanistan und die Politik der Bundesregierung bewerten.
Die grüne Bundestagsfraktion hat die Kritik und ihre Forderungen zum Afghanistaneinsatz immer wieder in Anträgen im Bundestag dargelegt, die sie in der Rubrik Drucksachen auf http://www.bundestag.de finden .
Damit haben wir zum Ausdruck gebracht, dass wir zu unserer Verantwortung stehen und einen Sofortabzug ablehnen, wir aber zugleich die derzeitige Afghanistan-Politik der Bundesregierung in wichtigen Bereichen nicht mittragen können. Eine derart wichtige Entscheidung ist immer eine persönliche Gewissensentscheidung der und des einzelnen Abgeordneten. Deshalb habe auch ich mich bei meiner Entscheidung ausführlich mit dem Thema befasst.
Ich bin zudem der Meinung, dass sich keine Partei so intensiv, so kritisch und so konstruktiv mit dem Militäreinsatz auseinandergesetzt hat wie die Grünen. Grüne Abgeordnete waren und sind immer wieder vor Ort, um sich persönlich über Probleme und Fortschritte zu informieren. Wir haben – im Gegensatz zur Bundesregierung – früh Fehler und Defizite benannt, unsere Analysen und Berichte der breiten Öffentlichkeit zur Verfügung und uns der Diskussion gestellt. Die zahlreichen Fehler und Defizite bei der Umsetzung der zivilen und militärischen Ziele haben unsere Bereitschaft, den ISAF-Einsatz mitzutragen, in den vergangenen Jahren immer wieder belastet.
Wir stehen aber grundsätzlich zu der Verantwortung, die die internationale Staatengemeinschaft 2001 nach dem Sturz des Taliban-Regimes für den Wiederaufbau und die Stabilisierung Afghanistans übernommen hat. Die internationale Gemeinschaft ist unter dem Mandat der Vereinten Nationen und auf Wunsch der afghanischen Regierung in Afghanistan engagiert. Ein sofortiger oder überhasteter Abzug würde zulasten der Zivilgesellschaft und der Schwächsten gehen. Ein solcher Abzug wäre nicht die Voraussetzung für eine friedliche Entwicklung, sondern deren Ende.
Die Lage in Afghanistan ist weiterhin unübersichtlich und besorgniserregend. Der Stabilisierungseinsatz befindet sich in einer kritischen Phase - mit offenem Ausgang. Die Sicherheitslage hat sich in großen Teilen des Landes, nicht nur im Süden und Osten, sondern auch im Norden, sowie in Pakistan weiter verschlechtert. Es gibt auch im Einsatzbereich der Bundeswehr Distrikte und Provinzen, in denen die Angriffe militanter oppositioneller Kräfte kriegerisches Niveau erreicht haben. Die erzielten Fortschritte beim Wiederaufbau sind in einigen Regionen gefährdet.
Trotzdem gibt es weiterhin auch Erfolge: Unter deutscher Verantwortung konnte die Infrastruktur im Norden Afghanistans deutlich ausgebaut werden. Der Opiumanbau wurde weiter reduziert, im Vergleich zu 2008 um 22 Prozent. Mehr als die Hälfte aller Provinzen sind bereits opiumfrei. In Kabul liegt seit Mai 2009 die Hauptverantwortung für die Sicherheit in afghanischen Händen. Die Übertragung der Verantwortung in anderen Provinzen steht in den nächsten Monaten bevor. Viele wichtige Rahmendaten haben sich seit Beginn der internationalen Mission gebessert: Besonders die medizinische Versorgung und das Bildungssystem haben große Fortschritte gemacht. Konnten 2001 weniger als eine Million Kinder und Jugendliche die Schule besuchen, sind es 2009 über sechs Millionen, Tendenz steigend. Es gibt in Afghanistan heute ein fast flächendeckendes Mobilfunknetz. Dies sind Zeichen für den Beginn einer Besserung der wirtschaftlichen Lage, die eine fundamentale Voraussetzung für eine Stabilität Afghanistans darstellt. Und auch die Lage der Frauen hat sich seit Beginn des Einsatzes grundlegend gewandelt. Frauen bekleiden heute Posten in Politik und Verwaltung, und ein großer Teil der Mädchen besucht zumindest die Grundschule. Dies alles zeigt, dass man nicht von einem grundsätzlichen Scheitern des Einsatzes sprechen kann. Einiges ist auch gut und besser geworden in Afghanistan.
Die von Seiten der Bundesregierung angekündigte Erhöhung der Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit ist ein richtiger Schritt, den wir lange eingefordert haben. Aber diese Hilfe muss bei den Menschen und in der Fläche ankommen und darf nicht in dunklen Kanälen verschwinden. Dass auf Wunsch von Entwicklungshilfeminister Niebel die zivilen Mittel vor allem dort hin fließen sollen, wo die Bundeswehr agiert und dass Hilfsorganisationen zur Zusammenarbeit mit der Bundeswehr gezwungen werden sollen, halten wir für unverantwortlich.
Angestoßen von der neuen US-Administration haben die internationale Gemeinschaft und die afghanische Regierung auf die ernüchternde Bilanz des bisherigen Afghanistan-Einsatzes mit einem neuen Ansatz reagiert. Richtig ist dabei die Verständigung auf eine Abzugsperspektive. Als Schlüsseljahr wird 2014 genannt. Allerdings fehlen weiterhin eine unabhängige Evaluierung des Einsatzes und konkrete Zwischenziele zur Umsetzung dieser Abzugsperspektive. Neu und grundsätzlich zu begrüßen ist auch, das Gespräch mit Aufständischen zu suchen. Der von Präsident Hamid Karzai unternommene Versuch, eine politische Verhandlungslösung mit allen Afghaninnen und Afghanen zu erzielen, wird durch die Mitfinanzierung eines Reintegrationsfonds unterstützt. Wir haben die Sorge, dass bei den Bemühungen um eine innerafghanische Annäherung und Versöhnung auch elementare Freiheits- und Menschenrechte – nicht zuletzt der Frauen - geopfert werden. Die internationale Gemeinschaft muss auf die Einhaltung der grundlegenden Menschenrechte drängen.
Die vermeintliche Neuausrichtung von offensiv zu defensiv hat sich schnell als Legende entpuppt. Wir stellen fest: umgekehrt ist es richtig. Ex-Verteidigungsminister Jung hat die Lage in Afghanistan zwar unerträglich schöngeredet und verharmlost; in der Praxis aber war – was insbesondere die FDP immer wieder kritisierte - das Agieren der Bundeswehr bis zum verheerenden Angriff auf die Tanklaster bei Kunduz am 4. September 2009 rein defensiv und reaktiv. Garant für dieses defensive Auftreten war nicht zuletzt der von zu Guttenberg unter fadenscheinigen Gründen entlassene Generalinspekteur Schneiderhan.
Die Bombardierung der entführten Tanklaster mit den bis zu 142 Getöteten bedeutet eine Zäsur für das deutsche Engagement in Afghanistan. Dass in der Nacht vom 4. September 2009 viele Zivilisten getötet und Einsatzregeln missachtet wurden, wurde lange und vehement bestritten. Die Bundesregierung hat im Vorfeld der Bundestagswahlen dem Parlament zentrale Informationen vorenthalten. Die von der Kanzlerin am 8. September 2009 versprochene lückenlose Aufklärung der Bombardierung ist nie erfolgt. Dies hat unser Vertrauen schwer erschüttert. Die aus dem „geheim“ eingestuften ISAF-Bericht bekannt gewordenen Fakten über die gezielte Bombardierung der Menschenansammlung (nicht der Tanklaster) sowie die (Des-)Informationspolitik machten einen Rücktritt von Minister Jung und einen Untersuchungsausschuss unausweichlich. Bis heute legt die Bundesregierung nicht alle Fakten auf den Tisch. Die Regierungsfraktionen sind an einer lückenlosen Aufklärung nicht interessiert.
Der neue Verteidigungsminister Guttenberg hatte in Kenntnis des unmissverständlichen Untersuchungsberichts der ISAF noch Anfang November 2009 behauptet, die Bombardierung sei militärisch angemessen und sogar zwangsläufig gewesen und wiederholt davon gesprochen, dass man sich in Afghanistan im Krieg befände. Dies bedeutete einen radikalen Kurswechsel. Damit wurde eine Kriegslogik begründet, die den Primat des Schutzes der Zivilbevölkerung zur Disposition stellt. Das zurückhaltende militärische Auftreten, das lange Zeit das deutsche Engagement in Afghanistan kennzeichnete, wurde damit aufgekündigt. Als immer mehr Fakten über die Tragödie am Kunduz-Fluss ans Licht kamen, musste der Verteidigungsminister einräumen, dass das damalige Vorgehen unverantwortlich war. Das reicht nicht. Die Bundesregierung und der Bundesverteidigungsminister müssen sich von der Kriegslogik distanzieren und klarstellen, dass der Schutz von Zivilisten höchste Priorität hat.
Das sehen wir noch nicht. Unter Schwarz-Gelb und unter dem Eindruck von vermehrten Kämpfen sowie toten und verwundeten deutschen Soldaten, ist der Krieg und nicht der Stabilisierungsauftrag zum Leitmotiv des Bundeswehreinsatzes geworden. Unter der Verantwortung von Verteidigungsminister zu Guttenberg und Außenminister Westerwelle ist das derzeitige Vorgehen der Bundeswehr alles andere als defensiv. Mit der Panzerhaubitze 2000 soll erstmals schweres Kriegsgerät in den Einsatzraum verlegt werden. Im Rahmen des Partnering, also des gemeinsamen Vorgehens mit der afghanischen Armee, geht die Bundeswehr nun auch verstärkt in die Fläche um aufständische Gruppen unter Druck zu setzen und zu bekämpfen. Dabei arbeitet sie eng mit US-Truppen zusammen. Was von Verteidigungsminister zu Guttenberg als Ausbildung im Felde verharmlost wird, ist in Wirklichkeit die Übernahme der Militärdoktrin des Counter-Insurgency, unter der auch die US-Armee im Süden Afghanistans operiert. Damit verändert sich der Charakter des Militäreinsatzes in Afghanistan grundsätzlich. Genau davor haben wir Grüne in der Bundestagsdebatte über die Verlängerung des Afghanistanmandats gewarnt.
Militäreinsätze in von Taliban und anderen bewaffneten Kräften kontrollierten Gebieten sind für Soldaten und Zivilbevölkerung hochriskant. Vor dem Hintergrund der tragischen Vorfälle im April 2010, bei denen binnen kürzester Zeit sieben deutsche Soldaten ums Leben kamen und zahlreiche Soldaten verletzt wurden, wird von interessierten Seiten eine Kriegsdebatte geführt. In einer zunehmend polarisierten Debatte wird entweder der Sofortabzug verlangt oder gefordert, den Soldaten nicht ins militärische Geschäft zu pfuschen und militärisch härter vorzugehen. Doch damit wird eine falsche Alternative konstruiert. Solchen Forderungen jetzt nachzugeben würde endgültig die Rutschbahn in den Abgrund freimachen. Militärisch kann der Konflikt in Afghanistan nicht gewonnen werden. Ein Sofortabzug ist keine verantwortbare Lösung. Der zivile Aufbau und der Stabilisierungauftrag müssen im Mittelpunkt stehen. Diese Sätze bleiben für uns richtig.
Eine nachhaltige Lösung ist nur durch die Stärkung der staatlichen und zivilgesellschaftlichen Institutionen sowie durch wirtschaftliche Perspektiven für die afghanische Bevölkerung zu erreichen. Ohne eine stärkere Verantwortung der Afghaninnen und Afghanen, ohne ein umsichtiges militärisches Auftreten, das den Schutz der Menschen in den Mittelpunkt stellt, und nicht zuletzt ohne eine unverzügliche radikale zivile Aufbauoffensive in der Fläche wird der Einsatz aussichts- und damit verantwortungslos. Bei den Führern der Taliban und der Aufständischen müssen diejenigen identifiziert werden, die Interesse an ihrem Land und an ihren Leuten haben. Mit ihnen muss verhandelt werden. Das ist schwierig und es gibt auch dafür keine Erfolgsgarantie.
Wenn der Einsatz in Afghanistan nicht in einem Trümmerhaufen enden soll, müssen die internationale Gemeinschaft und ihre afghanischen Bündnispartner jetzt gemeinsam den Aufbau verstärken, eine Abzugsperspektive mit einem konkreten Abzugsplan entwickeln und die internationalen Truppen schrittweise abziehen. Wird diese Chance versäumt, dann wird die Afghanistan-Politik der internationalen Gemeinschaft scheitern.
Mit freundlichen Grüßen
Oliver Krischer