Frage an Oliver Krischer von Martina U. bezüglich Recht
Guten Tag Herr Krischer,
mit Bestürzung habe ich den Bericht über Atommüll in der Sendung Quarks + Co (WDR Fernsehen am 9.11.2010) verfolgt. Unsere Zukunftsaussichten sind über zigtausend Generationen hinaus düster, das Risiko enorm hoch dass es zu einem Supergau kommen kann. Die Fakten liegen klar auf der Hand - sichere Endlagerung global ungewiss. Um so unverständliche ist die finanzielle staatliche Förderung von Atomstrom. Zitat: "Alle Posten zusammen ergeben einen Gesamtförderungsbetrag der Atomindustrie von 1950 bis heute von über 200 Milliarden Euro. Und damit ist noch lange nicht Schluss. In Zukunft greift der Staat und damit der Steuerzahler den Atomkonzernen noch einmal mit geschätzten 100 Milliarden Euro an Förderungsgeldern unter die Arme – die geplante Laufzeitverlängerung der schwarz-gelben Bundesregierung noch nicht mitberechnet."
Hierzu stelle ich ihnen - in Ihrer Funktion als Mitglied des Bundesausschusses "Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit" - folgende Fragen:
1. Hat Ihr Ausschuss je eine kurz-, mittel- und langfristige Risikobewertung der Atomenergie durchgeführt? Mit welchem Ergebnis?
2. Liegen für einen möglichen GAU notwendige Katastrophenpläne vor und welche Vorbereitungen wurden bereits heute für einen möglichen Ernstfall getroffen?
3. Wie wird die Sicherheit der Atomindustrie inkl. aller damit zusammenhängenden Faktoren seitens des Staates kontrolliert? Sind diese Kontrollmechanismen wirksam?
4. Wer fällt die Entscheidungen zur steuerlichen Subventionierung der Atomindustrie? Welche Rolle spielt Ihr Ausschuss bei dieser Entscheidung?
5. Wo können die Bürger Ergebnisse Ihrer Ausschußarbeit bez. Atomindustrie nachlesen?
Vielen Dank für Ihre Stellungnahme oder eine Stellungnahme durch einen offiziellen Ausschußsprecher.
Einer hoffentlich sonnigen (statt strahlenden) Zukunft entgegensehend verbleibe ich mit freundlichen Grüßen
Martina Unger (Steuerzahlerin,besorgte Bürgerin)
Sehr geehrte Frau Unger,
vielen Dank für Ihre Frage zur Atompolitik und dem Atommüll.
Ich teile ihre Bedenken voll und ganz und möchte Ihnen - statt auf jede Frage gesondert einzugehen - gerne ausführlicher antworten.
Die schwarz-gelbe Koalition hat mit ihrem Ausstieg aus dem Atomausstieg die Gesellschaft gespalten. Es ist eine Entscheidung gegen die Mehrheit der Bevölkerung, durch die ein unter rot-grüner Regierung befriedeter Konflikt erneut eskaliert.
Die Folgen dieser rückwärtsgewandten Politik sind gravierend:
2. Längere Laufzeiten heißen mindestens 25 Prozent mehr Atommüll. Rund 4.500 Tonnen hochradioaktive Abfälle würden zusätzlich anfallen, wenn die Meiler zwölf Jahre länger laufen. Dabei ist die Frage der Endlagerung völlig offen. Durch ihr stures Festhalten am verbrannten Standort Gorleben fährt die Bundesregierung mit Vollgas gegen die Wand.
3. Die Laufzeitverlängerung bremst die Erneuerbaren aus. Durch die Laufzeitverlängerung werden die Stromnetze überlastet. Inwieweit künftig Strom aus erneuerbaren Energien noch eingespeist werden kann, ist fraglich. Entsprechend unsicher sind Investitionen in Strom aus Wind-, Sonne & Co. Der Ausbau von Solar-, Windstrom an Land und Biomassestrom droht in den kommenden Jahren um bis zu 85 Prozent einzubrechen.
4. Der Wettbewerb wird verzerrt. Die vier Atomkonzerne erhalten durch die Laufzeitverlängerung Zusatzgewinne von mehr als 50 Milliarden Euro. Stadtwerke und andere Energieversorger werden dagegen Milliardenbeträge verlieren, weil ihre modernen Kraftwerke vom Atomstrom aus dem Markt gedrängt werden.
Nicht nur die Folgen, auch das Zustandekommen dieser Fehlentscheidung sind Besorgnis erregend. Schwarz-Gelb hat ihre Atompolitik nur mithilfe eines Verfassungsbruchs und einer irregulären Beratung im Bundestag durchdrücken können, bei der unsere Fraktion zum Beispiel daran gehindert wurde, im zuständigen Ausschuss Änderungsanträge zu den vorgelegten Atomgesetzen zu stellen.
Die grüne Bundestagsfraktion kämpft mit aller Kraft dafür, den Weg in eine umwelt- und sozialverträgliche Energieversorgung ohne Atomkraft weiterzugehen. Zusammen mit der Anti-Atom-Bewegung, Umweltverbänden, Gewerkschaften, Unternehmen, Stadtwerken und Kirchen werden wir nicht nachlassen, den außerparlamentarischen Druck auf die Bundesregierung und die Atomkonzerne weiter zu verstärken.
Unser Ziel bleibt der schnellstmögliche Ausstieg aus der Nutzung der Atomkraft. Wir wollen, dass alle Atomkraftwerke einer strengen Sicherheitsüberprüfung unterzogen werden und die sieben ältesten AKWs (Neckarwestheim 1, Biblis A und B, Isar 1, Brunsbüttel, Unterweser, Philippsburg 1) sowie den Pannenreaktor Krümmel sofort stilllegen.
Für uns hat die Sicherheit Vorrang vor den Gewinn- und Eigentumsinteressen der AKW-Betreiber. Jürgen Trittin hat als Bundesumweltminister noch die Überarbeitung und Verschärfung des kerntechnischen Regelwerks in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse liegen mittlerweile vor, werden aber von Minister Norbert Röttgen und den CDU-Atomministern in den Ländern einfach ignoriert.
Seit dem Ausstiegsbeschluss von 2001 hat sich durch die reale Gefahr eines Terrorangriffs sowie durch die fortschreitende Alterung der Atomanlagen die Sicherheitslage der Atomanlagen verschlechtert. Dieser Entwicklung muss im Atomrecht und bei der Atomaufsicht konsequent Rechnung getragen werden.
Auf diese neuen Herausforderung wollen wir reagieren und
• die Sicherheitsbestimmungen für den Betrieb von Atomkraftwerken verschärfen und zum Beispiel eine Sicherung aller AKWs gegen Flugzeugabstürze verbindlich vorschreiben;
• das verschärfte Kerntechnische Regelwerk sofort anwenden und alle Atomanlagen einer umfassenden Sicherheitsüberprüfung unterziehen;
• das Klagerecht von betroffenen BürgerInnen gegen mangelnde Sicherheitsvorkehrungen vollständig erhalten;
• die Forschung zu gesundheitlichen Gefahren der Atomkraft fortführen und intensivieren.
Darüber hinaus wollen wir die überkommenden Privilegien der Atomwirtschaft auf den Prüfstand stellen, denn sie behindern das Entstehen eines fairen und zukunftsweisenden Strommarktes und gehören abgeschafft. Die Atomwirtschaft muss endlich für alle Kosten, die sie verursacht, aufkommen und darf sie nicht weiter der Allgemeinheit aufbürden. Dem wollen wir Rechnung tragen und
• die Brennelementesteuer erhöhen und die Befristung bis 2016 aufheben, um damit die Kosten für die Entsorgung und Sanierung der Atom-Infrastruktur (z.B. Forschungsreaktoren, Endlager) der Atomwirtschaft zu übertragen;
• die betrieblichen Rückstellungen für die Entsorgung des Atommülls und den Rückbau der AKWs in einen öffentlich-rechtlichen Fonds überführen; die Versicherungspflicht deutlich anheben sowie
• die AKW-Betreiber entsprechend dem von ihnen in der Asse entsorgten Atommüll an den Kosten für die Rückholung des Mülls beteiligen, das heißt zu ca. 90 Prozent.
Die grüne Bundestagsfraktion hat dem Atomkonzept der Regierungskoalition ein zukunftsweisendes Energiekonzept entgegengesetzt, welches unter meiner Federführung erarbeitet wurde. Mit unserem Energiekonzept "Energie 2050 - Sicher Erneuerbar", welches Sie unter http://www.gruene-bundestag.de/cms/energie/dok/352/352654.energie_2050_sicher_erneuerbar.html abrufen können, zeigen wir zukunftsweisende Wege der Energieversorgung ohne Atom, ohne neue Kohlekraftwerke und dem schnellstmöglichen Umstieg auf erneuerbare Energien auf.
Mit herzlichen Grüßen
Oliver Krischer