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Frage von Kerstin B. •

Frage an Olaf Schwede von Kerstin B. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrter Herr Schwede,

wie ich erfahren habe, setzen sie sich massiv für ein Verein für Lehrlinge am Beispiel des Studentenwerks ein. Als Gewerkschaftsmitglied begrüße ich diese Initiative, jedoch frage ich mich, warum dieser Gedanke nicht in ein allgemeines Bildungswerk (für Studenten, Lehrlinge und weitere Jugendliche ohne Ausbildung) münden könnte. Bei einer solchen Zusammenlegung könnte man von den Erfahrungen des Studentenwerks profitieren und eine zusätzliche Struktur ersparen. Wie stehen sie zu diesem Ansatz?

Des weiteren interessiert mich ihre Meinung zum Kommentar von Olaf Scholz im Hamburger Abendblatt, „er habe die Gewerkschafter in seiner Partei schon eingenordet“.

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Antwort von
SPD

Sehr geehrte Frau Burger,

vielen Dank für Ihre Frage. Bitte entschuldigen Sie die verzögerte Antwort. Ich war am Wochenende zusammen mit Auszubildenden und jungen Gewerkschaftern auf einem Seminar zur Planung der Aktivitäten der Hamburger Gewerkschaftsjugend und damit nicht in Hamburg.

Gestatten Sie mir zunächst auf die Frage der „Einnordung“ durch meinen Spitzenkandidaten einzugehen. Ich kenne seine Äußerung nur aus der Zeitung und war selber nicht auf der Veranstaltung anwesend auf der diese Äußerung gefallen ist. Ob er richtig zitiert wurde, kann ich damit nicht einschätzen.

Grundlage für die zukünftige Senatsbildung ist das Regierungsprogramm der SPD, das mit großer Mehrheit beschlossen wurde. In einer großen Partei wie der SPD gibt es im Detail immer wieder abweichende Meinungen. Wenn nun „einnorden“ bedeutet, dass man Olaf Scholz als Spitzenkandidat unterstützt und zum Regierungsprogramm steht, dann trifft dies bei mir zu. Wenn es heißen soll, dass man alles unkritisch mitmacht und keine eigenen Positionen mehr hat, dann trifft dies bei mir nicht zu. Dies ist in der SPD aber noch von niemandem verlangt worden. Als langjähriges Gewerkschaftsmitglied und ehemaliger Bundesarbeitsminister weiß Olaf Scholz um die Rolle und die Positionen der Gewerkschaften.

An dem Regierungsprogramm haben viele gute Köpfe mit geschrieben und auch das Auszubildendenwerk findet sich dort wieder. Basis dieser Idee ist ein Beschluss des SPD-Landesparteitages aus dem November 2010. Kernaussage an dieser Stelle ist die Verbesserung der sozialen Situation der Auszubildenden in Hamburg. Dies sind auch meine Kernanliegen und eine wichtige Motivation für meine Kandidatur.

*Das Auszubildendenwerk*

Die genaue Rechtsform des Auszubildendenwerkes ist weder im Regierungsprogramm noch im Parteitagsbeschluss beschrieben. Ich setze mich dafür ein, dass zukünftige Auszubildendenwerk in der Form einer eigenständigen Stiftung und federführender Beteiligung der Sozialpartner (Arbeitgeber und Gewerkschaften) zu organisieren.

Dafür gibt es aus meiner Sicht gute Gründe:

*Juristische und strukturelle Aspekte *

Die Erweiterung des bisherigen Studierendenwerkes auf andere Zielgruppen wirft eine Reihe von juristischen und strukturellen Problemen auf. So zahlen die Studierenden beispielsweise über die Universität Pflichtbeiträge an das Studierendenwerk und entsenden Mitglieder in die Aufsichtsgremien. Zwangsbeiträge der Auszubildenden sind jedoch aus meiner Sicht weder sinnvoll noch praktisch umsetzbar.

Zudem leidet das Studierendenwerk in Hamburg heute schon an deutlichen Kapazitätsproblemen. Für ca. 60.000 Studierende an Hamburger Hochschulen stellt es ca. 3.500 Wohnheimplätze zur Verfügung. Diese sind zu 99% ausgelastet. In den Geschäftsberichten des Studierendenwerkes werden der Investitionsstau in den Wohnanlage und die hierfür fehlenden Mittel beklagt. Die Kapazitäten des Studierendenwerkes können die bisher existierende Nachfrage nicht decken. Sollte das Studierendenwerk nun noch Wohnraum für Auszubildende zur Verfügung stellen, so könnte dies zu internen Verteilungskämpfen und Konflikten kommen, da sich beide Gruppen von ihren Ansprüchen her unterscheiden. Zudem ist eine Politik, die Auszubildende wieder nur als „Anhängsel“ und Nebengruppe der Studierenden betrachtet nicht in meinem Interesse. Ein Auszubildendenwerk muss sich gezielt um die sozialen Probleme der Auszubildenden kümmern können.

*Unterstützungsangebote für Auszubildende *

Hinsichtlich der Probleme der Auszubildenden sind die Erfahrungen des Studierendenwerkes jedoch sehr begrenzt. Mit der Gründung des Auszubildendenwerkes wird nicht nur das Ziel verfolgt, günstigen Wohnraum für Auszubildende zu schaffen, sondern es sind umfangreiche Unterstützungsangebote für Auszubildende vorgesehen. So betreibt das Studierendenwerk ja auch nicht nur Wohnheime, sondern auch Mensen für die Essensversorgung, eigene Kindertagesstätten, eine BaföG-Beratung und weitere umfangreiche Beratungsangebote. Ein Auszubildendenwerk müsste neben Wohnanlagen auch eine Beratung für Ausbildungszuschüsse (z.B. Berufsausbildungsbeihilfe), Hilfe bei Ausbildungs- und Nebenjobproblemen und eventuell gemeinsam mit Kooperationspartnern Nachhilfeangebote bereitstellen. Das Studierendenwerk hat mit derartigen Aufgaben und den Problemen der Auszubildenden keine Erfahrung.

*Kooperation der Sozialpartner *

Die hierfür notwendigen Erfahrungen und Kompetenzen werden über die Beteiligung der Sozialpartner, d.h. Gewerkschaften und Arbeitgebern, an einem Auszubildendenwerk sichergestellt. Die Strukturen der Zusammenarbeit zwischen diesen Partnern im Bereich der Berufsbildung sind erprobt und spiegeln sich im System der dualen Berufsausbildung wieder: Das Schlichtungswesen bei Ausbildungsproblemen, die Berufsbildungsausschüsse der Kammern, die Prüfungsausschüsse - überall wirken Arbeitgeber und Gewerkschaften gemeinsam für die Qualität der Ausbildung. Ein Auszubildendenwerk stellt eine gute Möglichkeit der Vernetzung der Kompetenzen der Partner in Sachen Ausbildung dar. Über die Betriebe, die Jugendvertretungen, die Betriebsräte und die Gewerkschafter vor Ort wäre ein Auzubildendenwerk nah an den Problemen der Auszubildenden und könnte gut und schnell reagieren. Von Seiten des Staates könnten auch die Berufsschulen als Partner an den Unterstützungsangeboten beteiligt werden. Eine derartige Zusammenarbeit wäre jedoch in den von Universitätsvertretern geprägten Gremien des Studierendenwerkes nicht möglich. Ein Beirat für Azubiprobleme kann hier kein Ersatz sein.

*Eine Differenzierung der Zielgruppen ist notwendig *

Zudem muss zwischen den verschiedenen Zielgruppen nicht nur eine Differenzierung hinsichtlich ihrer Unterstützungsangebote, sondern auch hinsichtlich der notwendigen Wohnangebote vorgenommen werden. Ich halte für ein Auszubildendenwohnheim eine WG-Struktur mit weiteren Hilfsangeboten für am sinnvollsten. Jährlich kommen zwischen 5.000 und 6.000 Jugendliche nach Hamburg, um hier ihre Ausbildung zu beginnen. Dieser Zielgruppe muss der Anschluss vor Ort und der Aufbau sozialer Kontakte ermöglicht werden. Als ich zum Studium nach Hamburg kam, war ich sehr dankbar in eine WG in einem Studierendenwohnheim einziehen zu können und dort die ersten Kontakte zu knüpfen.

Diese soziale Struktur ist insbesondere für minderjährige aber auch für junge Auszubildende notwendig. Es ist zu erwarten, dass mit der demographischen Entwicklung und der Verkürzung der Schulzeit zum Abitur das Durchschnittsalter der Auszubildenden wieder deutlich sinken wird.

Gerade für junge Auszubildende gelten aber andere Auflagen, die beim Betrieb eines Wohnheims zu beachten sind. Hierzu gehört z.B. das Jugendschutzgesetz (Ausgehzeiten, Alkohol) und die Aufsichtspflicht, die von einem Wohnheim des Auszubildendenwerkes geleistet werden müsste. Da gibt es zahlreiche gesetzliche Auflagen mit denen das Studierendenwerk ebenfalls keine Erfahrung hat. Auch mit anderen Angeboten, die für die Zielgruppe der jungen oder von auswärts kommenden Auszubildenden im Rahmen eines Wohnangebotes sinnvoll wäre, hat das Studierendenwerk keine Vorerfahrungen. Hier wären Lern- und Nachhilfegruppen, Freizeit- und Sportangebote oder aber Fortbildungen wie Jugendgruppenleiterkarten oder soziale Kompetenzen beispielsweise in Kooperation mit Jugendverbänden denkbar.

*Unterschiedliche Lebensumstände berücksichtigen *

Es ist einfach notwendig zur Kenntnis zu nehmen, dass sich die Lebensumstände von Auszubildenden und Studierenden und insbesondere von Jugendlichen ohne Tätigkeit deutlich unterscheiden. Daran müssen sich auch die Unterstützungsangebote und Wohnheime orientieren. Neben den oben skizzierten gesetzlichen Auflagen sind die Alters- und Reifeunterschiede zwischen einem 25 oder 28-jährigen Studenten und einer 16-jährigen Auszubildenden immens. Eine gemeinsame Unterbringung in einer WG wäre allein schon aus Gründen der Aufsichtspflicht und des Jugendschutzes problematisch.

Aber auch die Frage der Vorbildfunktion darf nicht außer acht gelassen werden. Während eine Verspätung in der Ausbildung für die Auszubildende eine Abmahnung bedeuten kann, fällt einmaliges Fehlen beim Studierenden nach einer langen Partynacht nicht wirklich ins Gewicht. Ein freundschaftliches „Nimm das mal nicht so ernst.“ des studierenden WG-Nachbarn kann den 19-jährigen Auszubildenden, der aus Anklam zur Ausbildung bei Airbus nach Hamburg gekommen ist, in echte Probleme bringen.

Eine Trennung der Zielgruppen macht damit auch aus Gründen der Förderung des Ausbildungserfolges durchaus Sinn. Die Tatsache, dass Studierende 5 Monate Semesterferien und Auszubildende im Schnitt nur 28 Urlaubstage haben, macht die Situation nicht besser.

Ein eigenständiges als Stiftung organisiertes Auszubildendenwerk unter Beteiligung der Sozialpartner macht deshalb Sinn. Ich hoffe, dass ich sie hierfür gewinnen konnte und bitte Sie um Ihre Unterstützung für diese Idee am 20.02.2011.

Mit freundlichen Grüßen

Olaf Schwede