Frage an Olaf Scholz von Dr. Frank B. bezüglich Verkehr
Sehr geehrter Herr Scholz,
ich frage Sie als direkt gewählten Abgeordneten des Wahlkreises Hamburg-Altona:
Wie halten Sie es mit der Bahnprivatisierung?
Was halten Sie von den Methoden, mit denen die Entscheidung in dieser für Deutschland so wichtigen Frage irgendwo in den Haushaltsberatungen versteckt werden soll, wie die Süddeutsche Zeitung am 07.09.2007 berichtet?
Könnte die Bahnprivatisierung nicht "LBK auf Bundesebene" sein - mit dem einzigen Unterschied, daß das Volk dazu erst gar nicht befragt wird?
Welche Position vertreten Sie in der Frage der Verlegung des Bahnhofes Hamburg-Altona Richtung Norden? Was soll ein Bahnhof so weit von den potentiellen Fahrgästen entfernt nützen?
Mit freundlichen Grüßen
Frank Bokelmann
Hamburg-Nienstedten
Sehr geehrter Herr Bokelmann,
vielen Dank für Ihre Email.
Ich verstehe sehr gut, dass Sie sich Gedanken über einen preisgünstigen, attraktiven und flächendeckenden Schienenverkehr machen. Auch die SPD Bundestagsfraktion will mehr Verkehr auf die Schiene bringen und einen qualitativ hochwertigen Personennah- und Fernverkehr zu bezahlbaren Preisen.
Lassen Sie mich zuerst ein paar Sätze zum Bahnhof Altona schreiben. Ich selbst nutze diesen Bahnhof sehr häufig, um mit dem ICE nach Berlin zu fahren. Da ich nur wenige Minuten zu Fuß vom Bahnhof entfernt wohne, können Sie sich denken, dass ich es als "Betroffener" sehr schätze, dass mitten in Altona ein Fernbahnhof existiert. Trotzdem kann ich aus der Sicht der Bahn und auch aus städtebaulicher Perspektive die Überlegung, die für eine Verlagerung sprechen, verstehen. Obwohl das Thema schon seit längerer Zeit diskutiert wird, gibt es weder genaue Pläne, noch einen genauen Zeitpunkt, wann diese Pläne aktuell werden könnten. Sollte die Bahn in den nächsten Jahren (hier geht es eher um fünf bis zehn als um die nächsten ein bis zwei Jahre) detaillierte Pläne vorlegen, werde ich mir die Planungen genau anschauen und das Für und Wider intensiv abwägen. Wichtig ist für mich: die vielen Pendler im Nahverkehr sollten auch weiterhin die Möglichkeit haben, mit ihren Regional- oder S-Bahnen bis zum Bahnhof Altona durchzufahren.
Gerne antworte ich auch auf Ihre Fragen zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes. Sie verweisen auf einen Bericht in der Süddeutschen Zeitung vom 7. September. Ich kann Ihnen versichern, dass der Gesetzentwurf ganz normal und wie bei Gesetzesvorhaben üblich in der nächsten Woche in der ersten Lesung in den Deutschen Bundestag eingebracht und in die Ausschussberatungen verwiesen werden wird. Nach ausführlichen Beratungen in den Ausschüssen, die mit einer sog. Beschlussempfehlung des federführenden Verkehrsausschusses abgeschlossen werden, kann in zweiter und dritter Lesung über den Gesetzentwurf im Deutschen Bundestag abgestimmt werden.
Sicherlich haben Sie in der Zwischenzeit gelesen, dass die abschließende Lesung im Deutschen Bundestag nicht vor dem Bundesparteitag der SPD Ende Oktober stattfinden wird. Sie können sich also ganz sicher sein, dass es sehr ausführliche und transparente Beratungen geben wird. Im Übrigen möchte ich darauf hinweisen, dass bereits seit vielen Jahren intensiv über die Teilprivatisierung der Deutschen Bahn diskutiert wird. Die Ziele und die unterschiedlichen Argumente werden seit einigen Monaten ausführlich diskutiert. Es steht daher fest, dass der Beschluss des Deutschen Bundestages das Ergebnis einer sehr sorgfältigen Debatte sein wird.
Ich will Ihnen daher die Ziele, die die Befürworter mit der geplanten Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG verfolgen, weiterleiten. Diese Argumente werden nicht nur vom Ministerium, sondern auch von vielen Kolleginnen und Kollegen in der SPD-Bundestagsfraktion und bei der Bahngewerkschaft Transnet unterstützt.
Bereits mit der Verabschiedung eines Entschließungsantrags im Deutschen Bundestag am 24.11.2006 zur Teilprivatisierung der Deutschen Bahn hat die Große Koalition deutlich gemacht, dass sie sich zum integrierten Konzern bekennt und an der staatlichen Verantwortung insbesondere für die Infrastruktur festhalten will. Deshalb werden private Investoren an der Infrastruktur nicht beteiligt.
Die Beteilung privaten Kapitals an der Deutschen Bahn AG aber grundsätzlich abzulehnen, hält die SPD-Bundestagsfraktion mehrheitlich für falsch, weil das Eigenkapital der Deutschen Bahn AG nicht mit Geldern aus dem Bundeshaushalt aufgestockt werden kann. Die Deutsche Bahn AG muss in die Lage versetzt werden strategische Investitionen zu tätigen, um international wettbewerbsfähig zu bleiben. Wie wichtig es ist, die gute Marktposition des größten deutschen Eisenbahnunternehmens nicht zu gefährden, zeigt das Beispiel Lufthansa. Mit Hilfe privaten Geldes konnte sie sich erfolgreich entwickeln. Ohne diesen Schritt gäbe es sie als deutsches Aushängeschild heute vermutlich nicht mehr.
Folgende Fragen bzw. Ziele verfolgen die Befürworter einer Teilprivatisierung:
1. Warum wird eine Kapitalteilprivatisierung geplant?
Die Entscheidung für ein Privatisierungsgesetz ist vor dem Hintergrund sich verändernder Rahmenbedingungen für den Eisenbahnverkehr in Europa zu beurteilen. Immer mehr Transporte und Personenverbindungen sind nicht mehr auf Verbindungen innerhalb eines Landes bezogen, sondern werden grenzüberschreitend nachgefragt und dementsprechend angeboten. Die Gesetzgebung der Europäischen Union hat die Spielregeln hierfür grundlegend geändert. Verkehrsdienstleistungen auf der Schiene werden in Europa nicht mehr in einem wettbewerbsfreien Raum angeboten. Alleine in Deutschland sind mehr als 350 Eisenbahnverkehrsunternehmen aktiv. Für die Deutsche Bahn AG bedeutet dies, dass sie sich künftig mehr noch als bisher, gegen stärker werdende Konkurrenten zur Wehr setzen muss.
In einer Zeit, in der nicht zu letzt deutsche Unternehmen Transportlösungen auf dem Markt einkaufen, die von Werkstor zu Werkstor funktionieren sollen, muss an dem Ziel festgehalten werden, dass mehr Verkehr auf die Schiene kommt. Eine solche verkehrspolitische Wende stellt sich aber nicht von selbst ein. Insbesondere dann nicht, wenn sich die Ausgangsbedingungen, wie oben beschrieben, bereits weiter entwickelt haben. Ein LKW-Spediteur kann beinahe mühelos einen Transport quer durch Europa anbieten. Ein reines Schienenunternehmen kann das nicht in gleichem Maß. Deshalb soll die Entwicklung der Deutschen Bahn AG unterstützt werden. Sie soll sich so ausrichten können, dass sie vom Verkehrswachstum profitieren kann und im internationalen Wettbewerb bestehen kann.
Mit der Ausrichtung auf einen international wettbewerbsfähigen Global Player hat die Deutsche Bahn AG bislang eine erfolgreiche Entwicklung hinter sich gebracht. Umsatz, Verkehrsleistungen und Produktivität konnten deutlich gesteigert werden. Der Konzern ist aber jetzt an einem Punkt, an dem neue Investitionen notwendig sind. Die Führung des Konzerns möchte hierzu ihren eingeschlagenen und erfolgreichen Weg der Konsolidierung und des Wachstums fortsetzen. Dafür benötigt der Konzern mehrere Milliarden Euro Investitionsmittel, um sein Angebot ausbauen zu können. Es muss aber gefragt werden, ob es richtig ist, auf den Staatshaushalt zurückzugreifen, wenn unter anderem Aktivitäten der DB AG im Ausland finanziert werden sollen.
Dass sich die Nachfolgerin der Bundesbahn entsprechend ihrem Auftrag aus der Bahnreform von 1993/1994 darum bemüht, profitabel zu wirtschaften, ist nicht zu beanstanden. Dies gilt auch dann, wenn dieses Wirtschaften aufgrund der sich wandelnden Rahmenbedingungen nicht mehr an eine nationale Grenze gebunden ist. Ein Blick auf den Schuldenberg des Bundes macht aber deutlich, dass die Finanzierung aus dem Bundeshaushalt nur mit Einsparungen oder Steuererhöhungen bezahlt werden könnten. So schmerzlich es auf den ersten Blick auch sein mag, zur notwendigen Verbesserung der Eigenkapitalausstattung der DB AG ist deshalb ein begrenzter Verkauf (ohne Infrastruktur, Bahnhöfe und Energie) von maximal 49,9% der Unternehmensanteile das Mittel der Wahl.
2. Welche Form der Kapitalteilprivatisierung wird angestrebt?
Für die SPD-Bundestagsfraktion steht fest, dass der Verkauf der Unternehmensanteile in einem vom Gesetzgeber geprägten Rahmen stattfinden muss. Im Antrag der Koalitionsfraktionen haben wir deshalb klare Anforderungen an ein Privatisierungsgesetz gestellt, die es zu erfüllen gilt.
• Erstens ist hierbei darauf hinzuweisen, dass die Voraussetzungen geschaffen wurden, damit die Beschäftigungssicherung im Bahnkonzern fortgeführt werden kann. 160.000 Beschäftigte werden durch die Fortführung des beschäftigungssichernden Tarifvertrags vor betriebsbedingten Kündigungen geschützt.
• Zweitens, wird der Bund der alleinige juristische Eigentümer der gesamten Infrastruktur bleiben.
• Drittens, wird der Bund mit Hilfe der abzuschließenden Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung in Zukunft sogar mehr Einfluss auf die Schienen haben als heute. So werden alle wesentlichen Entscheidungen in Bezug auf die Infrastruktur der Zustimmung des Bundes bedürfen. Außerdem unterliegen Streckenstilllegungen nach wie vor einer Genehmigungspflicht durch das Eisenbahn-Bundesamt.
• Viertens, wird durch die gesetzlich festgeschriebene Mittelzuweisung für die Instandhaltung des Netzes, wie aber auch für den Ausbau und Neubau von Schienenwegen Planungssicherheit für die Infrastruktur und für die Bahn geschaffen.
• Fünftens, wird in einem integrierten Konzern der Einzelwagenverkehr auf der Schiene erhalten bleiben können. Würde dieser nicht unbedingt gewinnbringende, aber ungemein wichtige Güterverkehrsbaustein wegfallen, würden täglich 40.000 LKW mehr auf den deutschen Straßen unterwegs sein, um die bisher auf den Schienen transportierten Güter zu befördern.
Nun gilt es dafür zu sorgen, die Daseinsfürsorge im personengebundenen Schienenverkehr im Hinblick auf die europäische Marktöffnung im Jahr 2010 zu erhalten und zukunftsweisend zu sichern. Das gleiche gilt für den bereits liberalisierten Güterverkehr auf der Schiene.
Mit freundlichen Grüßen
Olaf Scholz