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Olaf Scholz
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Frage von Gerhard W. •

Frage an Olaf Scholz von Gerhard W. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Hallo Herr Scholz,

wie Sie wissen, sind ca. 80% der Bundesbürger gegen den Tornado-Einsatz in Afghanistan, der Deutschland dort zur Kriegspartei macht. Auch führende Mitarbeiter von Hilfsorganisationen *) oder Kenner der Region, wie Peter Scholl-Latour sehen diesen Einsatz äußerst kritisch und als Schritt in die falsche Richtung.

Nun erreichen uns Aufzeichnungen von Kriegseinsätzen der NATO:
http://news.web-hh.de/index.php?lid=25554

Diese Art des Vorgehens entspricht den Berichten vom Boden, wie sie und z.b. die ARD übermittelte: http://news.web-hh.de/index.php?lid=25556 .

Nicht nur von einzelnen dort eingesetzten Soldaten hört man die Bedenken, in Kriegsverbrechen verwickelt zu werden.

Nach Berichten, die weder entkräftet noch untersucht wurden, hat bei Masar i Sharif zum Ende des damaligen Kriegseinsatzes das größte Kriegsverbrechen stattgefunden, bei dem Hunderte oder sogar Tausende Kriegsgefangene in Containern eingesperrt erstickten oder von Maschinengewehrfeuer durchsiebt wurden, mit Billigung oder Beteiligung amerikanischer Truppen: irgendein Bedauern wurde nicht geäußert von seiten der US-Regierung.

Nun ist die Bundeswehr arbeitsteilig in diese Kriegseinsätze involviert: Tornados sammeln die Luftaufnahmen, anschliessend werden die Amerikaner bombardieren.

Wie Sie wissen, werden die Kriege des Mittleren Ostens "asymmetrisch" geführt: der Gegner hat keine Bomber, keine Tornados, also greift er zum Mittel des Terrors und der Selbstmordattentate - und in einem verwüsteten Land wie Afghanistan ist es nicht schwer, Kandidaten zu finden, die ein Ende mit Schrecken der permanenten Hoffnungslosigkeit vorziehen.

Hat Deutschland mit diesem Einsatz nicht eine Einladung an Terroristen ausgesprochen, auch unser Land in Mitleidenschaft zu ziehen?

Welchen Sinn macht es, Präsident Karzai militärisch zu stützen, dessen Bruder nach glaubwürdigen Berichten, als einer der größten Drogenbarone im Land von ihm gedeckt wird?

*) www.zeit.de/online/2006/46/Afghanistan-Analyse

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Wendebourg,

vielen Dank für Ihre Email. Ich verstehe Ihre Sorge wegen der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus in Deutschland sehr gut. Diese Bedrohung ist aber nicht neu und die geplanten Anschläge vom letzten Sommer in Deutschland zeigen, dass eine erhöhte Wachsamkeit erforderlich ist. Deutschland bleibt nach Einschätzung des Innenministeriums unverändert durch den islamistischen Terrorismus bedroht und ist Teil eines weltweiten Gefahrenraumes. Diese Bedrohung hat sich durch die Entscheidung, Aufklärungsflugzeuge nach Afghanistan zu entsenden, meiner Ansicht nach nicht entscheidend verändert.

Ich bin vielmehr der Meinung, dass Deutschland eine sehr weitsichtige und verantwortungsvolle Außenpolitik betreibt, gerade auch in Bezug auf die Auslandseinsätze der Bundeswehr. Den mit einem Mandat der UN geführten Einsatz in Afghanistan unterstützen wir, den ohne UN-Mandat erfolgten Einsatz im Irak unterstützen wir nicht.

Ein generelles "Nein" Deutschlands zu einem auch militärischen Engagement zur weltweiten Bekämpfung des Terrorismus kann ich mir nicht vorstellen. Deutschland muss seiner Verantwortung für Sicherheit und Frieden im Rahmen der Vereinten Nationen gerecht werden. Das geschieht auch: Unser Land wird von allen Seiten als verantwortungsbewusster und verlässlicher Gesprächspartner geachtet.

Natürlich können wir den Herausforderungen durch den internationalen Terrorismus nicht alleine mit militärischen Mitteln begegnen, sondern es Bedarf eines Ansatzes der sowohl militärische als auch zivile Elemente enthält. Dieser Ansatz spielt auch bei unserem Engagement in Afghanistan eine entscheidende Rolle.

Alle Entscheidungen zu diesem Engagement - sowohl im militärischen als auch im zivilen Bereich - sind nie einfach und erfordern eine sehr sorgfältige Prüfung und vor allem eine offene Diskussion über die Notwendigkeit und die Ziele eines solchen Einsatzes.

Seit fast fünf Jahren ist die Bundesrepublik Deutschland in Afghanistan aktiv am Aufbau von staatlichen Strukturen und in verschiedenen Bereichen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit engagiert. Die Bundeswehr leistet dabei einen unverzichtbaren Beitrag zur notwendigen militärischen Absicherung des Stabilisierungsprozesses in Afghanistan. Allerdings sind 23 Jahre Bürgerkrieg und die Taliban-Herrschaft nicht kurzfristig zu überwinden. Die Probleme, mit denen die afghanische Regierung und die internationale Gemeinschaft konfrontiert sind, sind substantiell.

Seit einiger Zeit müssen wir eine Verschlechterung der Sicherheitslage vor allem im Süden und Südosten des Landes beobachten. Vor diesem Hintergrund hat die NATO bei der Bundesregierung eine Anfrage zur Unterstützung der ISAF-Mission mit Tornado-Aufklärungsflugzeugen gestellt.

Viele Abgeordnete hatten bei der Abstimmung Bedenken, ob sie zustimmen sollten oder nicht. Dies hatte jedoch weniger mit der konkreten Entscheidung über die Entsendung der Tornados zu tun. Hier waren sich fast alle einig, dass dies im Einklang mit der bisher verfolgten ISAF-Strategie in Afghanistan steht. Die (durchaus) berechtigte Sorge vieler Abgeordneter bestand darin, dass wir mit der Entsendung der Tornados nach und nach in die Kämpfe im Süden weiter verwickelt werden könnten. Deshalb haben wir deutlich gemacht: Bis hierher können wir gehen, aber mehr ist mit uns nicht zu machen.

Trotzdem gilt natürlich, dass auch Deutschland für den Erfolg der Gesamtmission mit verantwortlich ist. Wenn die Stabilisierung der Lage im Süden scheitert, ist auch der Erfolg beim Wiederaufbau im Norden infrage gestellt. Wichtig scheint mir der Hinweis, dass auch unser Einsatz beim Wiederaufbau im Norden Afghanistans kein rein ziviler Einsatz ist. Trotz der relativ ruhigen Lage im Norden beinhaltet der Einsatz der Bundeswehr auch dort militärische Elemente. Es ging bei der Entscheidung, Aufklärungsflugzeuge zu entsenden, daher nicht darum, dass ein rein ziviler Ansatz jetzt zu einem „Kampfeinsatz“ würde. Eine verbesserte Aufklärung dient dem Schutz eigener Kräfte, deutscher Entwicklungshelfer, Soldaten und nicht zuletzt auch der afghanischen Bevölkerung. Natürlich werden die Ergebnisse zur Bekämpfung der Taliban durch die ISAF genutzt. Aber dies sind die Kräfte, welche die Lage in Afghanistan destabilisieren und die Autorität der afghanischen Regierung unterminieren. Diese bewaffneten oppositionellen Kräfte dürfen nicht die Oberhand gewinnen; dies zu verhindern ist Aufgabe der ISAF-Mission. Darüber sind sich die Abgeordneten völlig im Klaren.

Zwei Beschränkungen des Tornadoeinsatzes sind aus unserer Sicht besonders wichtig. Luftnahunterstützung gehört nicht zu den Aufgaben der deutschen Aufklärungsflugzeuge. Diese Fähigkeit wurde von der NATO auch nicht angefragt. Trotzdem ist es natürlich möglich, dass die Erkenntnisse der Luftüberwachung auch militärisch genutzt werden. Die Weitergabe von Aufklärungsergebnissen an die Operation Enduring Freedom (OEF) ist im ISAF-Operationsplan geregelt. Im Bundeswehrmandat ist ausdrücklich festgehalten, dass diese Weitergabe restriktiv und nur dann erfolgen darf, wenn dies für die erfolgreiche Durchführung von ISAF-Operationen oder zum Schutz von ISAF-Kräften dient. Wir bleiben also bei der klaren Trennung der beiden Missionen OEF und ISAF in Afghanistan.

Wir haben ein vitales Interesse an einem Erfolg der ISAF-Mission in ganz Afghanistan. Denn nur wenn ISAF insgesamt erfolgreich sein wird, werden auch die von uns im Norden erzielten Erfolge von Dauer sein. Deshalb hat Deutschland bereits beim NATO-Gipfel in Riga eine Diskussion angestoßen, wie die Strategie zur Stabilisierung der Lage in Afghanistan weiter entwickelt werden sollte.

Die Bundesregierung hat dabei schon immer für einen politischen Gesamtansatz plädiert, der den zivilen Wiederaufbau und die zivil-militärische Kooperation nach dem Vorbild der Regionalen Wiederaufbauteams (PRTs) im Norden verstärkt. Dieses Vorgehen hat viel Zustimmung von unseren Verbündeten erhalten, zuletzt auf dem NATO-Außenministertreffen Ende Januar.

Wir setzen auch weiterhin auf die enge Verzahnung von zivilen und militärischen Maßnahmen und richten unser gesamtes Engagement in Afghanistan auf das Ziel aus, dass die Regierung auf allen Ebenen in die Lage versetzt wird, das Schicksal des Landes wieder selbst zu bestimmen.

Mit freundlichen Grüßen

Olaf Scholz

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