Frage an Olaf Scholz von Grieta V. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Scholz, vielen Dank für die Beantwortung meines Schreibens vom 7.2.2007.Leider ist es eine typische "Politiker-Antwort".In Absatz 2 schreiben Sie, daß die türkische Regierung keine Schuld an dem Mord von Hrant Dink trifft. Ich gehe mal davon aus, daß Ihnen bekannt ist, daß über den damaligen Mord an den Armeniern immer noch nicht berichtet bzw. geschrieben werden darf und daß natürlich ein armenischer Journalist immer noch als "Landesverräter" gilt und dementsprechend gefährdet ist.Hat daran die türkische Regierung wirklich keine Schuld?Insofern kann man den Beitritt von Littauen,Lettland,Estland,Polen hiermit überhaupt nicht vergleichen,weil diese Länder genauso wie wir eine christliche Basis haben.Auch Griechenland, Spanien und Portugal waren keine Länder mit islamischen Hintergrund und Lebensweise!!!! Für mich hinkt auch Ihr Vergleich mit der Demokratisierung von Deutschland. Es geht hier nicht darum, ob Menschen oder Völker demokratiefähig sind, es geht darum,ob die Mehrheit eines Volkes willens ist,statt der vom Koran vorgegebenen Lebensweise eine westliche Demokratie mit Trennung von Gesetz und Religion auch zu wollen und zu leben.Es ist doch wohl ein gravierender Unterschied,ob das Rollenverständnis zwischen Mann und Frau auch in EU-Ländern immer noch nicht 100%ig umgesetzt wurde oder dem Koran,wo die Züchtigung der Frau, Zeugenaussage,Unterordnung, Ehrbegriff etc.heute noch genauso wie im Mittelalter gelebt und auch noch von deutschen Richtern akzeptiert wird.Sehen sie nicht, welche Probleme im Zusammenleben zwischen Deutschen+moslemischen Mitbürgern entstanden sind??Nicht nur hier,sondern genauso in Frankreich,England etc. Warum etwas mit Gewalt zusammenbringen was im Alltag nicht kompatibel ist?Vor fünfzig Jahren dachte man mehr an eine wirtschaftl. Union.Außerdem:Seit wann ist die Türkei ein europäisches Land??Wundern Sie sich nicht,wenn die Mehrheit der Deutschen sich von der SPD abwenden.Keine Partei kann gegen das Volk regieren!!MfG
Sehr geehrte Frau Vosough,
wir haben offensichtlich unterschiedliche Auffassungen zu der Frage eines möglichen EU-Beitritts der Türkei. Ich möchte meine Argumente aber gerne nochmals wiederholen.
Die Frage der Religionszugehörigkeit der Bewohnerinnen und Bewohner eines Staates sollte bei der Bewertung der Frage, ob ein Staat Mitglied der EU werden kann oder nicht, keine entscheidende Rolle spielen. Die EU definiert sich über bestimmte Werte (Freiheit, Demokratie, Achtung der Menschenrechte usw.), die jeder Mitgliedsstaat respektieren und achten muss, unabhängig von der Religionszugehörigkeit der meisten seiner Bewohnerinnen und Bewohner. Die Religionszugehörigkeit der Staatsangehörigen gehört ausdrücklich nicht zu den von der EU geforderten Kriterien für einen Beitritt. In einem modernen aufgeklärten Rechtsstaat gibt es eine klare Trennung von Religion und Staat und das gilt auch für die EU. Übrigens sind in der Tschechischen Republik mehr als 50% der Bevölkerung Atheisten und fühlen sich gar keiner Religion zugehörig. Dies hat, wie ich finde zurecht, bei den Beitrittsgesprächen zur EU keine Rolle gespielt. Die Kriterien, die für die Aufnahme in die EU erfüllt werden müssen, finden Sie in einer guten Übersicht auf der Homepage des Auswärtiges Amtes unter www.auswaertigesamt.de. Die Grundsätze für die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei habe ich Ihnen unten stehend kopiert.
Die Frage eines EU-Beitritts der Türkei sollten wir daher nicht an der Frage der Religionszugehörigkeit der Bewohnerinnen und Bewohner festmachen, sondern wie für jedes andere Land auch, an der Erfüllung der Beitrittskritierien. Die Türkei ist ein Staat, in dem es, wie in den meisten aufgeklärten westlichen Demokratien, eine Trennung zwischen Religion und Staat gibt. Der Koran ist daher nicht, wie von Ihnen behauptet, Grundlage des türkischen Staates.
Eine Türkei, die sich europäischen Werten verpflichtet fühlt, kann eine wichtige Brückenfunktion zu anderen islamischen Ländern erfüllen. Diese Rolle der Türkei liegt im deutschen und europäischen Interesse, weil sie Frieden, Stabilität und wirtschaftliche Perspektiven schafft. Deshalb sollten wir jene Kräfte in der Türkei unterstützen, die sich den europäischen Werten verbunden fühlen.
Mit freundlichen Grüßen
Olaf Scholz
Grundsätze für die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei (und mit Kroatien)
Grundlage der Beitrittsverhandlungen ist ein Verhandlungsrahmen, den der Rat zur Türkei am 03.10. und zu Kroatien am 16.03. beschlossen hat. Ein neuer Ansatz reflektiert die Erfahrungen mit der Ost-Erweiterung, die zum 01.05.04 in Kraft getreten ist. Das zentrale neue Element ist die Vor-Verlegung der Implementierung und ihrer Kontrollen vor den Zeitpunkt des Abschlusses der Verhandlungen. Diese erfolgt praktisch durch die Festlegung und Überprüfung von "benchmarks" zur Schließung und gegebenenfalls auch Öffnung der insgesamt 35 Verhandlungskapitel. Damit soll gewährleistet werden, dass die neuen Mitgliedstaaten ihre vertraglichen Verpflichtungen sofort mit Beitritt bzw. unmittelbar nach Ablauf der Übergangsfristen auch tatsächlich erfüllen. Diesen neuen Ansatz hatte sich der Europäische Rat im Dezember 2004 zu eigen gemacht und mit Blick auf die Türkei folgende Eckpunkte für künftige Verhandlungsrahmen skizziert:
* Einteilung der Verhandlungs-Materie in Kapitel, für deren vorläufigen Abschluss sowie gegebenenfalls auch für deren Eröffnung "benchmarks" auf Vorschlag der KOM einstimmig durch den Rat festgelegt werden.
* Möglichkeit langer Übergangszeiten, von Ausnahmeregelungen, spezifischer Vereinbarungen oder dauerhafter Schutzklauseln für die Bereiche Freizügigkeit, Strukturpolitik und Agrarpolitik.
* Abschluss der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei erst nach Einigung über Finanzrahmen nach 2014.
* Gemeinsames Ziel ist der Beitritt. Die Verhandlungen sind ein offener Prozess, dessen Ausgang sich nicht im vorhinein garantieren lässt. Im Hinblick auf die Türkei ferner eine "Einbeziehungsklausel" (Verankerung in den europäischen Strukturen "if Turkey is not in a position to assume in full all the obligations of membership").
* Klausel zur möglichen Aussetzung der Verhandlungen (im Falle schwerwiegender und anhaltender Verletzungen der Werte, auf die sich die EU gründet: Freiheit, Demokratie, Wahrung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten sowie Rechtsstaatlichkeit. Rat entscheidet nach Anhörung des Beitrittskandidaten mit qualifizierter Mehrheit auf Vorschlag der KOM, die entweder von sich aus oder auf Antrag eines Drittels der EU-MS tätig wird, sowohl über Aussetzung als auch über Wiederaufnahme. Im Falle Kroatiens sind Defizite bei der vollständigen Zusammenarbeit mit dem IStGHJ jetzt ebenfalls Gründe zur Auslösung dieser Klausel.)
* Intensiver politischer und kultureller Dialog parallel zu den Beitrittsverhandlungen, zu dem es im Verhandlungsrahmen Türkei zusätzlich heißt, dass er darauf abzielen soll, die Unterstützung der europäischen Bürger zum Erweiterungsprozess zu gewinnen.
Beide Verhandlungsrahmen enthalten eine "Absorptionsklausel", die unter Berufung auf den ER Kopenhagen Juni 1993 und Ziffer 5 des ER vom 16./17.12.04 die "Absorptionsfähigkeit" der EU als ein wichtiges Kriterium aufführt. Die KOM hat in ihrem jährlichen Bericht zur Erweiterung im November 2006 zur "Integrationsfähigkeit" ausführlich Stellung genommen.
Als Maßstab für den Fortgang der Verhandlungen nennen beide Verhandlungsrahmen Fortschritte bei der Erfüllung der Kopenhagener Kriterien (politische und wirtschaftliche Kriterien sowie die Fähigkeiten, den Acquis zu erfüllen), zusätzlich für die Türkei Fortschritte in den türkisch-griechischen Beziehungen, bei der Lösung des Zypern-Problems und bei der Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Assoziierungs-Abkommen EWG/Türkei v. 1963, dem dazugehörenden Anpassungs-Protokoll und der Zollunion EG/Türkei v. 1995, und zusätzlich für Kroatien Fortschritte im Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess einschl. der vollständigen Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das frühere Jugoslawien. Der Europäische Rat hat die Kommission im Dezember 2004 ersucht, diese Fortschritte weiterhin aufmerksam zu verfolgen und dem Rat regelmäßig zu berichten. Wir erwarten die nächsten Fortschrittsberichte der Kommission zum 09.11. diesen Jahres.