Frage an Norbert Spinrath von Wolfgang P.
Sehr geehrter Herr Spinrath,
wie ist Ihre Haltung in der Frage eine 3. Hilfspaketes für Griechenland?
Ich fordere Sie eindringlich auf, an Ihren Eid zu denken und Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. Ein 3. ESM Paket ist ganz einfach rechtswidrig, da Griechenland nicht die Stabilität der gesamten EU gefährdet.
Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Pruß
Sehr geehrter Herr Pruß,
vielen Dank für Ihre E-Mail vom 16. Juli 2015, die ich gerne beantworte.
Ich bin sehr froh, dass es gelungen ist, zu einer Einigung mit Griechenland zu kommen. Wir müssen Griechenland jetzt helfen, die aktuelle Krise zu meistern - sowohl im Interesse der zehn Millionen Griechen, für die die aktuelle Situation schlimm ist, ein "GREXIT" aber ein Desaster wäre, als auch im Interesse der Europäischen Union.
Deshalb habe ich am 17. Juli 2015 im Deutschen Bundestag für ein Verhandlungsmandat und damit für die Aufnahme von Verhandlungen über die konkrete Ausgestaltung eines neuen Hilfsprogramms gestimmt.
Worum geht es?
Es geht um einen Finanzierungsbedarf in Höhe von insgesamt 82 Mrd. bis 85 Mrd. Euro an Darlehen und Garantien über die nächsten Jahre.
Die griechische Regierung hat am 8. Juli einen Antrag auf ein dreijähriges Hilfsprogramm beim Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) gestellt, nachdem sie sich zuvor geweigert hatte, die Bedingungen der europäischen Partner für die Verlängerung des seit 2012 laufenden Hilfsprogramms zu akzeptieren. Nach äußerst schwierigen Verhandlungen haben sich die Staats- und Regierungschefs der 19 Mitgliedsländer der Eurozone am 12./13. Juli auf einen Kompromiss verständigt, unter welchen Bedingungen ein neues Hilfsprogramm möglich wäre. Das griechische Parlament hat diesen Kompromiss am 15. Juli mit großer Mehrheit gebilligt (229 der 300 Abgeordneten stimmten dafür) und bereits vier konkrete Gesetzesänderungen beschlossen, u.a. erste Elemente einer Mehrwertsteuerreform und einer Rentenreform.
Der aktuelle Vorschlag für ein drittes Anpassungsprogramm unterscheidet sich hinsichtlich der Programmdauer, des Programmvolumens und der angekündigten Möglichkeit für weitere Schuldenerleichterungen maßgeblich von der Verlängerung des zweiten Anpassungsprogramms. Er stellt damit eine echte Möglichkeit dar, Griechenland mit Hilfe seiner europäischen Partner auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zu führen.
Dennoch: Unsere Hilfe ist von bestimmten Bedingungen abhängig. Denn Deutschland und die EU haben die Krise nicht zu verantworten, die Ursachen liegen in Griechenland. Und die griechische Regierung muss nun alles daran setzen, die Sparauflagen der Institutionen umzusetzen.
Wichtig ist aus meiner Sicht: Im Zentrum der Eurogipfel-Erklärung stehen nicht pure Haushaltsvorgaben und Sparziele, sondern strukturelle Verbesserungen der griechischen Wirtschaft und Verwaltung. Griechenland muss sich im eigenen Interesse endlich in die Lage versetzen, Steuern einzutreiben, eine effiziente Verwaltung aufzubauen, den Bürgern ein leistungsfähiges und finanzierbares Sozialsystem zu bieten und das teilweise oligarchische und verkrustete Wirtschaftssystem aufzubrechen. Nur dann können Staatseinnahmen und Investitionen dauerhaft steigen sowie dringend benötigte Arbeitsplätze entstehen. Nur dann kann das skandalöse Miss-verhältnis zwischen dem Reichtum einer traditionellen Elite und der deutlich zugenommenen Armut in der griechischen Bevölkerung endlich beendet werden. Und nur dann können die Verpflichtungen Griechenlands gegenüber seinen Gläubigern auch erfüllt werden.
Warum der Kompromiss eine Chance verdient hat:
Zweifelslos hat auch die EU in der Vergangenheit Fehler gemacht. Zu einseitig waren die austeritären Auflagen, zu wenig wurden die Folgen für die ganz normale Bevölkerung, für Arbeitnehmer, Arbeitslose und Rentner gesehen. Zu wenig wurden Programme für Wachstum und Beschäftigung berücksichtigt. Es fehlte schlicht die soziale Komponente. Die soziale Gerechtigkeit. Das hat dazu geführt, dass die Arbeitslosigkeit zum größten griechischen Problem wurde. Derzeit sind 25 Prozent arbeitslos, das ist die höchste Quote in der EU in welcher durchschnittlich 11 Prozent von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Besonders schlimm: 50 Prozent der Jugendlichen zwischen 15- bis 24jährigen sind arbeitslos gemeldet.
Die griechischen Staatsschulden lagen nach offiziellen Angaben Ende 2014 bei ca. 324 Mrd. Euro - mehr als 175 Prozent des BIP.
Griechenland I
Mit dem ersten Hilfsprogramm seit Mai 2010 erhielt Griechenland 73 Mrd. Euro. 52,9 Mrd. Euro als bilaterale Hilfskredite der Euro-Mitgliedstaaten (über die "Greek Loan Facility" gebündelt und ausgereicht) 20,1 Mrd. Euro vom IWF. Der deutsche Anteil der europäischen bilateralen Kredite im Rahmen des 1. Programms beträgt 15,19 Mrd. Euro. Zum 30.04.2015 wurden 10,3 Mrd. SZR von Griechenland an den IWF zurückgezahlt. Dies entspricht rund 12,9 Mrd. Euro (Umrechnungskurs 30.04.2015).
Griechenland II
Seit März 2011 erhielt Griechenland weitere Hilfskredite über den europäischen Rettungsschirm EFSF (Europäische Finanzstabilisierungsfazilität). Zugesagt wurden 144,6 Mrd. Euro, bislang ausbezahlt bis Ende 2014 wurden 141,9 Mrd. Euro.
Hinzu kamen Kredite des IWF in Höhe von 19,1 Mrd. Euro, von denen bislang 11,8 Mrd. Euro ausbezahlt wurden.
Nach vielen unerfüllten Reformzusagen griechischer Regierungen und dem Verhandlungschaos der letzten Monate fällt es nicht leicht, dem Weg zu einem neuen Programm zuzustimmen.
Kann das, worauf sich die Staats- und Regierungschefs verständigt haben, überhaupt funktionieren?
Ich bin überzeugt, dass es funktionieren kann, und dass man alles dafür tun sollte, dass es funktioniert. Den Beleg, dass ein wirtschaftliches Anpassungsprogramm funktionieren kann, liefern nicht nur andere "Programmländer" wie Irland, Portugal und Spanien, in denen es nach der Krise wieder aufwärts geht, sondern in Ansätzen auch Griechenland selbst. Denn trotz aller Probleme, die es bisher bei der Umsetzung von Reformen gab, war 2014 in Griechenland eine positive Entwicklung erkennbar: es gab erstmals wieder ein gewisses Wirtschaftswachstum, der griechische Staat konnte mit den laufenden Einnahmen zwar seine Schulden noch nicht zurückzahlen, aber immerhin schon wieder seine laufenden Ausgaben bestreiten. Es kam dann aber in den letzten zwölf Monaten zu einer Lockerung der Reformmaßnahmen, die zu einer Verschlechterung der Wirtschaftslage in Griechenland geführt hat. Jetzt muss dringend an die vorherige positive Entwicklung angeknüpft werden. Griechenland braucht dringender denn je Rahmenbedingungen für Investitionen und Wachstum, Binnennachfrage. Eine einseitige Fiskalpolitik, die nur Sparen im Sinn hat kann die aktuelle Krise nicht lösen. Es muss um die Menschen in Griechenland gehen und um die Interessen der Europäischen Union. Für beide wäre der GREXIT ein Desaster.
Die Alternative zu einer weiteren Chance für Griechenland wäre nämlich ein umgehender Staatsbankrott Griechenlands und ein ungeordnetes Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone. Diese Alternative birgt aus meiner Sicht die deutlich größeren Gefahren. In Griechenland wären die Folgen verheerend: das Bankensystem würde zusammenbrechen, die medizinische Versorgung wäre nicht mehr gewährleistet, noch mehr Arbeitsplätze würden vernichtet, viele Griechinnen und Griechen würden in Armut absinken und müssten dann humanitäre Hilfe aus EU-Mitteln erhalten.
Aber auch die Folgen für Deutschland wären dramatisch. Selbst wenn ein "Grexit" für Deutschland und die Eurozone kurzfristig ökonomisch verkraftbar wäre - die langfristigen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen für unseren Kontinent wären es womöglich nicht. Deutschland ist das wirtschaftlich stärkste Land in Europa. Gerade deswegen haben wir am meisten zu verlieren. Kein anderes Land profitiert so von der europäischen Einigung, vom Binnenmarkt und vom Euro wie wir. Hinzu kommt: Die Krisen unserer Zeit werden wir nur bewältigen, wenn Europa geschlossen und gemeinsam agiert. Das gilt für die Situation in der Ukraine genauso wie für die Flüchtlingskrise, aber auch für globale Themen wie den Klimawandel. Ein Auseinanderbrechen Europas hätte schwerwiegende Folgen und muss deswegen vermieden werden.
Da auch Deutschland seinen Beitrag für den Zusammenhalt Europas leisten muss, habe ich dem Antrag der Bundesregierung auf Verhandlungen der Regierung über die Gewährung von Finanzhilfen an die Hellenische Republik zugestimmt, denn es geht auch um ein solidarisches und soziales Europa.
Freundliche Grüße
Norbert Spinrath