Norbert Spinrath 2021
Norbert Spinrath
SPD
Zum Profil
Frage stellen
Die Frage-Funktion ist deaktiviert, weil Norbert Spinrath zur Zeit keine aktive Kandidatur hat.
Frage von Felix M. •

Frage an Norbert Spinrath von Felix M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Spinrath

in Ihrer Eigenschaft als Sprecher der Arbeitsgruppe Angelegenheiten der EU haben Sie vielleicht auch eine Meinung zum geplanten Freihandelsabkommen. Es gibt ja viele strittige Punkte, die viele "rote Linien" auf beiden Seiten berühren. Der "Investitionsschutz" ist eine. Hier weren klar europäische Bürgerrechte verletzt. Die USA wollen offenbar vor allem deshalb nicht darauf verzichten, weil sie schon das nächste Abkommen im Blick haben und keinen Präzedenzfall schaffen wollen. Da kommt eine gewisse imperialistische Attitüde durch, die ich als Europäer nur schwer ertragen kann. Andererseits wären die Vorteile eines Abkommens in den vielen Bereichen ohne Konflikt beachtlich (z.B. KfZ-Sicherheitsstandards). Daher die Frage:

Wäre es nicht sinniger, kleine begrenzte Abkommen zu schließen, durch die nicht die Rechte und die kulturelle Eigenständigkeit einer Seite verletzt werden?

Wenn die Bereiche, in denen man sich versteht mehr werden, können ja immer weitere Harmonisierungen folgen. Wenn. Aber das was jetzt in der Mache ist, ist glasklar antidemokratisch. Ich war immer überzeugter Europäer, selbst bei Fragen wie Eurobonds oder einem Schuldentilgungsfonds. Aber das was die EU-Kommission hier hinter verschlossenen Türen mit den Amerikanern auskaspert, hat das Potential sogar mich in die Arme der AfD zu treiben.

Norbert Spinrath 2021
Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Müller,

haben Sie vielen Dank für Ihre Mail in der Sie sich kritisch zu den geplanten Freihandelsabkommen äußern. Hierzu nehme ich gerne Stellung.

Ihre Besorgnisse sind allzu verständlich, da insbesondere das Handelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika - TTIP - in der gesellschaftlichen Diskussion kritisiert und in seiner Nützlichkeit hinterfragt wird. Allerdings zeigt sich mehr und mehr, dass viele der öffentlich geäußerten Bedenken nicht zutreffen werden und TTIP viele positive Seiten hat, die leider bisher zu wenig wahrgenommen wurden.

Denn grundsätzlich sind internationale Handelsabkommen für die exportorientierte deutsche Wirtschaft und die davon abhängenden Arbeitsplätze von großer Bedeutung. Bislang gibt es keine Handelsabkommen mit den USA oder Kanada. Aufgrund der Bedeutung des großen US-amerikanischen Markts für unsere Hersteller von Industriegütern, landwirtschaftlichen Produkten und unsere Dienstleistungsunternehmen unterstützen wir die Europäische Kommission in dem Vorhaben, TTIP zu verhandeln. Folgerichtig ist es dann auch mit Kanada (unser zwölft wichtigster Handelspartner) ebenso ein umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen zu beschließen, denn die Weltwirtschaft braucht verlässliche Regeln. Begrenzte Abkommen zwischen den Staaten über einzelne Aspekte sind dafür nicht ausreichend. Denn wir wollen globale Standards für einen fairen und nachhaltigen Welthandel setzen und den Abbau von tarifären und nicht-tarifären Handelshemmnisse im gegenseitigen Interesse voran bringen. Denn viele technische Standards beispielsweise in den USA und der EU unterscheiden sich, obwohl sie einem ähnlichen Zweck dienen, wie z.B. im Automobilbau. Wir erwarten deutliche Kostensenkungen durch die gegenseitige Anerkennung von Standards und Zulassungsverfahren, die das gleiche Ziel verfolgen. Es geht dagegen weder bei TTIP noch bei CETA um die Absenkung von Standards, sondern um eine Vereinfachung des Exports, wovon gerade kleine und mittelständische Unternehmen profitieren

Deshalb haben Internationale Handelsabkommen für mich immer eine hohe Priorität gehabt. Die Globalisierung braucht international anerkannte und durch internationales Recht durchsetzbare Regeln. Das ist nicht zuletzt auch eine Lehre der Finanz- und Wirtschaftskrise. Wirtschaft und Handel müssen sich demokratischen Spielregeln unterwerfen. Wenn es mit transatlantischen Freihandelsabkommen gelingt, bessere Regeln für den transatlantischen Handel und die globale Wirtschaft zu entwickeln, wäre dies ein enormer Fortschritt in der politischen und demokratischen Gestaltung der wirtschaftlichen Globalisierung. Fest steht allerdings auch: Diese Freihandelsabkommen dürfen nicht dazu führen, dass europäische Standards etwa im Arbeits- und Umweltrecht, beim Daten- oder Verbraucherschutz in Frage gestellt oder Investoren vor internationalen Schiedsstellen rechtsstaatliche Standards und demokratische Regelungen zum Schutze von Gemeinwohlzielen aushebeln können. Mein Ziel ist es, möglichst fortschrittliche arbeitsrechtliche, soziale und ökologische Standards in den bilateralen und internationalen Handelsbeziehungen zu verankern.

Wir wollen Handelsabkommen - aber nicht um jeden Preis. Die roten Linien der S&D Gruppe und des SPD-Parteikonvents aus dem Jahre 2014 dürfen nicht überschritten werden.

Die Verhandlungen zu CETA konnten im September 2014 erfolgreich abgeschlossen werden. Die Analyse des jetzt vorliegenden Verhandlungsergebnisses zu CETA deutet darauf hin, dass es der Europäischen Kommission gelungen ist, ein den Notwendigkeiten moderner Wirtschafts- und Industriepolitik entsprechendes Handelsabkommen mit Kanada zu verhandeln. Es entspricht weitgehend den deutschen Interessen eines weiteren Abbaus von Handelshemmnissen, von dem in erster Linie auch kleine und mittelständische Betriebe profitieren werden. Durch den Abschluss des Handelsabkommens nehmen Experten eine deutliche Zunahme des Handelsvolumens um ca. 25 % an. Das ist gut für den Erhalt der Arbeitsplätze in Deutschland und Europa. In Zukunft können sich europäische Unternehmen gleichberechtigt auf allen staatlichen Ebenen in Kanada an öffentlichen Ausschreibungen beteiligen, was bisher so nicht der Fall war. Durch den Wegfall der Zölle werden europäische Unternehmen neue Exportchancen bekommen. Gleichzeitig entsteht hierdurch Potenzial für eine Senkung der Verbraucherpreise.

Im CETA-Abkommen sind Öffnungsverpflichtungen zur Daseinsvorsorge ausgeschlossen. Das bedeutet, dass CETA den gleichen Vorbehalt gegen Öffnungsverpflichtungen enthält, wie er bereits in anderen Abkommen der EU enthalten ist und wie er sich insbesondere im WTO-Dienstleistungsabkommen GATS (General Agreement on Trade in Services) seit 1995 bewährt hat. Auch werden durch das CETA-Abkommen keine Marktöffnungsverpflichtungen für die Kommunen eingegangen. Die Kommunen können künftig selbst entscheiden, ob sie ein kommunales Unternehmen privatisieren wollen oder ein privates Unternehmen im Rahmen der Re Kommunalisierung wieder als kommunales Unternehmen führen wollen - ohne Beschränkungen durch das CETA-Abkommen. Audiovisuelle Dienstleistungen sind vom Anwendungsbereich des Dienstleistungskapitels und beim Investitionsschutz ausgenommen. Für den Kulturbereich sind weitere klare Ausnahmen aufgenommen worden, so dass keine Marktöffnung über das bisher schon geltende Niveau hinaus erfolgen wird. Auch Fördermaßnahmen im Kultursektor sind ohne Beschränkung weiterhin möglich. CETA gewährleistet das Recht zur innerstaatlichen Regulierung, aber diese muss für Außenstehende transparent sein. Das heißt, sie darf nicht diskriminieren und es muss Rechtsschutz gewährleistet wer-den. Zum Beispiel: Wird Marktzugang für Architekten oder Ingenieure gewährt, müssen ausländische Anbieter natürlich trotzdem die Anforderungen für Registrierung oder Qualifikation erfüllen, wie deutsche oder europäische Anbieter auch. Solche Regelungen gelten weiter und können auch geändert werden, solange Drittstaatsangehörige nicht diskriminiert werden. Die Regelungen zum Arbeitsschutz und Tarifvertragsrecht werden durch CETA nicht angetastet und gelten genauso weiter wie Regelungen zum Mindestlohn. Zwingende Vorschriften des Arbeitsrechts oder das Streikrecht werden durch dieses Abkommen nicht in Frage gestellt. Alle Anforderungen in Gesetzen und Rechtsvorschriften einer Vertragspartei bezüglich Arbeits- und Sozialschutz bleiben weiterhin in Kraft und können angewendet werden.

Bezüglich des Investorenschutzes hat das Europäische Parlament Anfang Juli 2015 eine Resolution zu den laufenden TTIP-Verhandlungen verabschiedet. Damit setzt das Europaparlament einen wichtigen Maßstab für ein gutes und faires TTIP und verankert eine Ablehnung der bisherigen privaten Schiedsstellen in der TTIP- Resolution. Hierbei war die Rolle der europäischen Sozialdemokraten entscheidend, die sich unter Führung ihres Berichterstatters Bernd Lange nun in entscheidenden Punkten durchgesetzt haben. Am heftigsten gerungen wurde um die privaten Schiedsstellen ISDS (Investor-State Dispute Settlement). Mit der klaren Absage an die privaten Schiedsstellen konnte erreicht werden, dass nur ein demokratisches und transparentes Gerichtsverfahren mit unabhängigen Richtern und eine Revisionsinstanz im TTIP-Abkommen vom Europäischen Parlament akzeptiert wird.

Auch der neuste Entwurf der Europäische Kommission vom 16. September 2015 für ein neues Instrument zum Investitionsschutz in EU-Handelsverträgen ist stark von den Forderungen der Sozialdemokraten geprägt. Dieses soll die Form eines Investitionsgerichtshofes annehmen und stellt eine radikale Kurswende in der EU-Handelspolitik dar, bewirkt durch öffentlichen und politischen Druck vor allem von den Sozialdemokraten aus dem Europäischen Parlament. Das neue Instrument in Form eines Gerichtshofes baut auf einen Pool von 15 Richtern auf (fünf EU-Richter, fünf US-Richter und fünf aus Drittstaaten). Diese werden von den Vertragsparteien, also den Staaten, nominiert, müssen höchste Anforderungen erfüllen und dürfen ausschließlich in dieser Funktion tätig sein - eine entscheidende Verbesserung gegenüber dem ISDS-Instrument. In diesem wurden Schiedsleute gemeinsam von Staaten und den klagenden Firmen nominiert und durften auch in beratender Funktion tätig werden - Interessenkonflikte waren so vorprogrammiert. Auch das Recht von Staaten, im Sinne des Allgemeinwohls zu regulieren, ist fest in dem neuen Instrument verankert, inklusive einer Nicht-Stabilisierungsklausel: Investoren wird das Recht genommen, eine Änderung des regulatorischen Umfelds als Klagegrund zu nehmen.

Neben der Forderung, das ISDS-System durch ein neues System zu ersetzen, haben sich die Sozialdemokraten auch für die Verankerung von starken Arbeitnehmerrechten eingesetzt. Außerdem sind der unmissverständliche Schutz unserer öffentlichen Daseinsvorsorge sowie der kulturellen Vielfalt in der Resolution verankert. Auch sind die europäischen Standards im Verbraucher-, Umwelt- und Datenschutz nicht verhandelbar. Damit hat sich das Europäische Parlament sehr eindeutig positioniert. Nur unter diesen Voraussetzungen wird es einem TTIP-Verhandlungsergebnis zustimmen. Die Europäische Kommission hat in ersten Reaktionen bereits ein Eingehen auf die Forderungen des Europäischen Parlaments angekündigt. Mit einem solchem Abkommen wird es keine Herabsetzung der europäischen Standards geben.

Die zehn Forderungen der SPD-Abgeordneten im Europäischen Parlament aus der Resolution an TTIP füge ich dieser E-Mail als Übersicht bei.

Die Resolution ist dabei nicht nur eine klare Position für die TTIP-Verhandlung, sondern auch für andere zukünftige Handelsabkommen. Dass ISDS ersetzt werden muss, ist eine Forderung, die sich auf alle EU-Handelsabkommen bezieht - auch auf das bereits ausgehandelte CETA-Abkommen mit Kanada. Die Abstimmung im Europäischen Parlament hat gezeigt, dass es keine privaten Schiedsstellen geben wird. Wir Sozialdemokratinnen und -demokraten kämpfen im Europäischen Parlament - genauso wie in der SPD-Bundestagsfraktion - für ein demokratisches, transparentes System für unabhängige, von Staaten ernannten, Richter, für die vollständige Transparenz der Verfahren sowie für eine Revisionsinstanz. Statt Schiedsstellen, die zum Missbrauch einladen, wollen wir unabhängige Gerichte, die auf der Grundlage von parlamentarischen Gesetzen arbeiten. Nicht umgekehrt.

Dies gilt im Übrigen auch für das CETA-Abkommen. Denn auch in Bezug auf CETA wird es ein Zurückfallen hinter den Resolutionsbeschluss des Europäischen Parlaments zu TTIP nicht geben.

Die Europäische Kommission hat in dem Abkommen bereits erste Schritte hin zu einem modernen Investitionsschutz vorgenommen. Dennoch halten wir die Rechtssysteme in den USA und Kanada für grundsätzlich vergleichbar mit denen der EU und daher Investor-Staat-Schiedsverfahren für Auslandsinvestitionen für nicht erforderlich. Das derzeitige Recht des internationalen Investitionsschutzes und die darauf beruhende Schiedsgerichtsbarkeit bedürfen aus Sicht der SPD-Bundestagsfraktion jedenfalls einer umfassenden Reform. Der nun von der Handelskommissarin Cecilia Malmström vorgestellte Entwurf eines Investitionsgerichtshofes, ist der richtige Weg vorwärts und der "Todesstoß" für ISDS. Nach einer ersten Prüfung des Entwurfes werden sich die Sozialdemokraten im Europäischen Parlament insbesondere für die Verankerung von Pflichten von Investoren für die soziale Verantwortung in Unternehmen und eine weitere Verengung des Anwendungsbereichs des Instruments auf Nicht-Diskriminierung einsetzten. Zudem sollte dieses Instrument eines Investitionsgerichtshofes alle bestehenden Investitionsabkommen der EU und ihrer Mitgliedstaaten ersetzen.

Der Entwurf wird aktuell im Europäischen Parlament und in den EU-Mitgliedstaaten, also auch in Deutschland, diskutiert, bevor die Europäische Kommission sich auf ein endgültiges Instrument festlegt. Dies soll Ende des Jahres in die TTIP-Verhandlungen eingebracht werden.

Ich möchte Ihnen abschließend versichern, dass es mit der SPD nur ein Abkommen geben wird, das den Interessen der Bürgerinnen und Bürgern und der Wirtschaft unseres Landes nützt.

Freundliche Grüße
Norbert Spinrath