Frage an Norbert Geis von Karl-Jürgen H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Geis,
eigentlich finde ich es gut, dass Ex-Pius-Bruder Richard Williamson für seine verantwortungslosen Äußerungen, mit denen er den Holocaust geleugnet haben soll, verurteilt worden ist. Vgl. Bericht des Bayerischen Rundfunks vom 16.1.2013. Nur: Williamson ist britischer Staatsbürger und hat sich zu dem Thema in der schwedischen Öffentlichkeit geäußert. Er hat damit in beiden Ländern verbriefte Grundrechte in Anspruch genommen, denn leider hat sich die deutsche Strafvorschrift zum Verbot der Holocaust-Leugnung dort nicht oder noch nicht durchgesetzt. Mitnichten hat Williamson schwedischen Boden missbraucht, um von dort aus verbotene Propaganda nach Deutschland zu senden. Das sieht auch das mit dem Fall befasste Gericht so. Allein dadurch, dass er damit habe rechnen müssen, dass seine Äußerungen auch in Deutschland weiterverbreitet würden (durch eine widerrechtliche YouTube-Kopie!), hat ein deutsches Gericht einen Erfolgsort (und damit Tatort) in Deutschland konstruiert und damit seine eigene Zuständigkeit begründet.
Im Internet-Zeitalter sind alle öffentlichen Äußerungen mehr oder weniger weltweit verfügbar. Die deutsche Gerichtsbarkeit leitet daraus ihre eigene weltweite Zuständigkeit ab. Wenn diese Rechtspraxis im Ausland ebenfalls Schule macht, dann könnten zum Beispiel nach einem EU-Beitritt der Türkei deutsche Bürger wegen islamkritischer Äußerungen in der deutschen Öffentlichkeit per EU-Haftbefehl an die Türkei ausgeliefert werden, um sich dort z.B. wegen Beleidigung des Islam verantworten zu müssen.
Muss ich künftig bei sämtlichen öffentlichen Äußerungen die Rechtsordnungen aller EU-Länder und womöglich weiterer Staaten beachten? Die grundgesetzlich garantierte Meinungsfreiheit wäre nicht mehr viel wert!
Welche rechtlichen Änderungen halten Sie für geeignet, um diese Entwicklung zu verhindern?
Mit freundlichen Grüßen
Karl-Jürgen Hanßmann
Sehr geehrter Hanßmann,
haben Sie vielen Dank für Ihre Frage. Ihre Sorge kann ich zwar nachvollziehen, halte sie jedoch für unbegründet.
Herr Williamson wurde in Deutschland wegen Volksverhetzung angeklagt, weil das besagte Interview zwar von einem schwedischen Fernsehteam geführt wurde, jedoch in der Nähe von Regensburg, also auf deutschem Hoheitsgebiet, aufgezeichnet wurde. Daher wird dieser Fall jetzt auch in Deutschland, genauer gesagt vor dem Amtsgericht Regensburg, verhandelt.
Den von Ihnen geschilderten Fall, dass Sie nach einem EU-Beitritt der Türkei, aufgrund islamkritischer Äußerungen eine Anklage in der Türkei und eine Auslieferung aus Deutschland zu befürchten hätten, halte ich für äußerst unwahrscheinlich. Natürlich gilt die grundgesetzlich garantierte Meinungsfreiheit und zwar nicht nur in Deutschland, sondern in der gesamten Europäischen Union. Rechtliche Änderungsbedarf sehe ich daher nicht.
Dieser Unterschied zur Türkei, insbesondere in der Bewertung von demokratischen Grundprinzipien wie der Meinungsfreiheit, ist einer der zentralen Gründe, warum ich einen Beitritt der Türkei in die EU auch ablehne. Der Streit über die Karikaturen des islamischen Propheten Mohammed, die verschiedene europäische Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht haben, hat doch zuletzt eindringlich und leider auch mit fatalen Folgen gezeigt, wie hoch die Meinungsfreiheit in Europa geachtet wird. Allerdings möchte ich dabei als gläubiger Christ anmerken, dass das Recht auf Meinungsfreiheit auch nicht missbraucht werden darf, um mutwillig die religiösen Gefühle anderer Menschen zu verletzen. Leider kommt es gerade in Bezug auf die katholische Kirche immer wieder zu abstoßenden Verunglimpfungen und Herabwürdigungen, die weitgehend folgenlos bleiben.
Mit freundlichen Grüßen
Norbert Geis MdB