Frage an Norbert Geis von Ludwig N. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Geis,
aus der Presse habe ich entnommen, dass Sie für Beschneidungen aus religiösen Gründen sind. Damit stellen Sie die Religionsfreiheit über das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit. Was sagen Sie einem beschnittenen Jungen, der im entscheidungsreifen Alter einmal sagt, er will mit dieser Religion nichts zu tun haben, auf seine Religionsfreiheit besteht, sich aber für alle Zeit "gebrandmarkt" fühlt Warum gibt es nicht für Mädchen vergleichbare Möglichkeiten, die Verbindung zu Gott herzustellen, oder ist das Ausdruck von Geringschätzung der Weiblichkeit im Islam und im Judentum? Sind Sie dafür, dass es das Recht der Eltern bei den Zeugen Jehovas ist, dass sie aus religiöser Überzeugung Bluttransfusionen für ihre Kinder ablehnen mit jeder Konsequenz. Sind Sie dafür, dass Muslime aus religiöser Überzeugung ein Kopftuch tragen dürfen, z.B. auch muslimische Lehrerinnen (entsprechend auch von Ordenstrachten)? Sind Sie dafür, dass in Schulen auch Symbole anderer Religionen als der Christlichen aufgehängt oder ausgestellt werden, entsprechend dem Kreuz?
Mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrter Herr Niederberger,
haben Sie vielen Dank für Ihre Fragen. Ich möchte mich bei meiner Antwort jedoch auf das Urteil von Köln beziehen. Ihre Kritik halte ich durchaus für verständlich und nachvollziehbar.
Dennoch bin ich der Auffassung, dass es sich um ein Fehlurteil handelt. Das Urteil aus Köln hat nun eine Diskussion über eine religiöse Tradition angestoßen, die in anderen rechtsstaatlichen Ländern wie z.B. den USA vollkommen normal und ganz alltäglich ist. Auch in Deutschland hat bislang nie ein Gericht an dieser religiösen Praxis Anstoß genommen. Wohlgemerkt sprechen wir hier von der Beschneidung von Jungen. Im Falle von Mädchen ist es etwas ganz anderes.
Natürlich ist das Prinzip der körperlichen Unversehrtheit ein hohes Rechtsgut. Man darf aber nicht vergessen, dass die Religionsfreiheit und das Recht der Eltern auf Erziehung (Art. 6 Abs 2 GG) ebenfalls hohe Rechtsgüter sind, die genauso geschützt werden müssen. Diese Rechtsgüter gilt es gegeneinander abzuwägen. Ich denke daher, man sollte zunächst abwarten, wie die höheren gerichtlichen Instanzen in dieser Frage entscheiden, bevor man hier vorschnell Gesetzesänderungen einfordert oder ablehnt. Wie ich auch bereits im Interview ausgeführt habe, bin ich der Auffassung, dass unser derzeitiges Recht in diesem Punkt ausreicht und eine Beschneidung, wie bisher auch, erlaubt sein muss.
Der Staat muss in Sachen Religionsfreiheit sehr vorsichtig vorgehen, da er dort einen besonders sensiblen Bereich der Privatsphäre betritt. Zudem würde ein Verbot dieser bisher kaum umstrittenen Tradition in der Praxis wohl kaum Verbesserungen bringen. Es ist zu befürchten, dass ein Verbot lediglich dazu führen würde, dass die Gläubigen mit ihren Kindern in das Ausland fahren und dort die Beschneidung vollziehen lassen würden. Denn uralte Traditionen lassen sich nicht einfach per Gerichtsurteil beenden. Dafür sind die kulturellen Wurzeln viel zu stark. Ob dort dann immer dieselben medizinischen Standards herrschen wie in Deutschland, ist ebenfalls fraglich. Insofern könnte man durch ein Verbot dem Kindeswohl einen sogenannten Bärendienst erweisen.
Mit freundlichen Grüßen
Norbert Geis