Frage an Norbert Geis von Bernd R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Geis,
hatten Sie an der Abstimmung zur Änderung des Melderechtsrahmengesetzes teilgenommen ? Wenn ja, wie war Ihr Abstimmungsverhalten ?
Ich finde die Art und Weise wie dieses Gesetz kurz vor der Abstimmung praktisch ins Gegenteil verkehrt wurde skandalös.
Gesetzentwurf: "[...] die Auskunft verlangende Person oder Stelle erklärt, die Daten nicht zu verwenden für Zwecke a) der Werbung oder b) des Adresshandels, es sei denn die betroffene Person hat in die Übermittlung für jeweils diesen Zweck eingewilligt."
finalen Gesetzesfassung vom 27. Juni 2012 : "Es ist verboten, Daten aus einer Melderegisterauskunft zu Zwecken der Werbung oder des Adresshandels zu verwenden, [...] wenn die betroffene Person gegen die Übermittlung für jeweils diesen Zweck Widerspruch eingelegt hat. Dies gilt nicht, wenn die Daten ausschließlich zur Bestätigung oder Berichtigung bereits vorhandener Daten verwendet werden."
Warum werden hier mit Steuergelder die Interessen von Adresshändlern und Werbefirmen statt Rechte der Bürger gefördert ?
Als IT-Fachmann habe ich öfters Diskussionen mit Anhängern der Piratenpartei. Entscheidungen wie diese sind Wasser auf den Mühlen der Piraten und auch ich kann mich immer weniger dem Argumenten verschließen, das die etablierten Parteien keine vernünftigen Lösungen auf die Herausforderungen neuer Technologien haben.
mit freundlichen Grüßen,
Bernd Rosenkranz
Sehr geehrter Herr Rosenkranz,
als stellvertretendes Mitglied des Innenausschusses habe ich dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zugestimmt. Denn im Vergleich zum bisher geltenden Melderecht der Länder schreibt das neue Bundesmeldegesetz eine wesentlich restriktivere Handhabe mit den Daten vor und stellt damit in jedem Fall eine Verbesserung zum Status Quo für den Datenschutz dar. So dramatisch wie in den Medien teilweise dargestellt wird, ist die Lage also gar nicht. (Sommerloch?) Richtig ist aber, dass man diese Chance hätte nutzen sollen, um den Datenschutz noch weitgehender zu stärken. Man sollte aber auch beachten, inwiefern das in der Praxis tatsächlich Verbesserungen bringt. In jedem Fall spricht sich die CSU für einen effektiven Datenschutz aus.
Bisher kann nach § 21 Absatz 1 Melderechtsrahmengesetzes (MRRG) jede Person oder Stelle eine Auskunft zu Vor- und Familiennamen, Doktorgrad und Anschriften einzelner Einwohner bei der Meldebehörde erhalten. Die Angabe eines Zweckes o.ä. ist nicht erforderlich. Der Bürger hat hier nur die Möglichkeit, der automatisierten Auskunft über das Internet zu widersprechen (§ 21 Absatz 1a Satz 2 MRRG). Die Beauskunftung im manuellen, schriftlichen Verfahren bleibt bisher stets erhalten und kann nicht gesperrt werden.
In der Folge des Urteils des Bundesverwaltungsgerichtes von 2006 (Urteil des 6. Senats vom 21. Juni 2006 – BVerwG 6 C 05.05) wurde ein Widerspruchsrecht in den Ländern nach § 6 MRRG eingeführt, allerdings nicht als gesetzlich normiertes Widerspruchsrecht. Da in der jetzigen Melderegisterauskunft keine Zwecke angegeben werden müssen, greift diese Widerspruchsregelung nur, wenn offensichtlich zu Zwecken der Werbung eine Anfrage auf Melderegisterauskunft erfolgt, bspw. durch eine „Direktwerbung GmbH“ oder „Quick Adresshandels GmbH“. In der Praxis läuft diese Widerspruchsregelung ins Leere, da es meist an der Offensichtlichkeit fehlt. Bisher gibt es also weder ein effektives Widerspruchsrecht, noch ein Einwilligungsrecht.
Im Gegensatz zum noch geltenden Melderecht, das für die sog. einfache Melderegisterauskunft keinen speziellen Voraussetzungen vorsieht, soll künftig die Erteilung der einfachen Melderegierauskunft für Zwecke der Werbung und/oder des Adresshandels im Hinblick auf die o.g. Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes aus dem Jahr 2006 an folgende enge Voraussetzungen und Rechtsfolgen geknüpft werden:
1. Notwendigkeit der Angabe der Zwecke „Werbung“ und/oder „Adresshandel“, soweit dieser Zweck seitens der die Auskunft begehrenden Stelle verfolgt wird (§ 44 Absatz 1 Satz 2 BMG).
2. Der betroffenen Person steht ein Widerspruchsrecht zu (§ 44 Absatz 1 Satz 3 1. Halbsatz BMG).
3. Die Meldebehörde hat die Pflicht, die betroffene Person bei ihrer Anmeldung sowie einmal jährlich durch ortsübliche Bekanntmachung auf das Widerspruchsrecht hinzuweisen (§ 44 Absatz 1 Satz 3 2. Halbsatz BMG).
4. Eine Nutzung zu den Zwecken Werbung und Adresshandel ist verboten, wenn dieser Zweck bei der Anfrage nicht angegeben wurde oder wenn die betroffene Person Widerspruch eingelegt hat. Dies gilt nur dann nicht, wenn die Daten ausschließlich zur Bestätigung oder Berichtung vorhandener Daten verwenden werden (§ 44 Absatz 4 BMG). Dabei ist das Merkmal der „Berichtigung“ datenschutzfreundlich auszulegen.
5. Der Verstoß gegen eine solche verbotene Nutzung von Daten aus einer Melderegisterauskunft zum Zwecke der Werbung und des Adresshandels ist bußgeldbewehrt (§ 54 Absatz 2 Nummer 12 i.V.m Absatz 3 BMG).
6. Eine einfache Melderegisterauskunft ist gebührenpflichtig. Dies ist entscheidend, da bei Kosten von rund 10 Euro, die pro Adressauskunft anfallen, ein kommerzieller Handel in keinster Weise wirtschaftlich nutzbar wäre.
Der Regierungsentwurf vom 31. August 2011 sah im Rahmen der einfachen Melderegisterauskunft eine Einwilligungslösung (Opt-in) für die Bereiche Werbung und Adresshandel vor. Die betroffene Person hätte danach gegenüber der Meldebehörde oder dem anfragenden Unternehmen in die Nutzung ihrer Daten zu diesen Zwecken einwilligen müssen. Da es keinen zwingenden Grund für eine solche völlige Abkehr vom geltenden (Landes)recht gab, wurde der Regierungsentwurf in dem Punkt im weiteren parlamentarischen Verfahren wieder geändert. Diese Änderung war falsch, da man damit eine Chance verpasst hat, den Datenschutz noch weitgehender zu stärken.
Die Presseberichterstattung, wonach ein Erlangen der Adressdaten zu einer Person, deren Widerspruchsrecht nach § 44 Absatz 1 Satz 3 1. Halbsatz BMG dauerhaft aushebelt, ist falsch. Vielmehr gilt die Ausnahme für Bestandsdaten gemäß § 44 Absatz 4 Satz 2 BMG nur bei einer Bestätigung (Anfragedaten sind komplett identisch mit Auskunftsdaten) oder bei einer Berichtigung vorhandener Daten. Die Berichtigung ist verfassungskonform eng auszulegen, Berichtigungen sind bspw. Eintragung des Doktortitels nach erfolgreicher Promotion, Namensänderungen wegen Heirat, Zahlendreher bei der Hausnummer, offensichtliche Schreibfehler im Straßennamen oder falsche Postleitzahl und dergleichen. Ein Umzug innerhalb der Gemeinde oder in eine andere Gemeinde kann nach meiner Auffassung nicht unter „Berichtigung“ gefasst werden. In diesem Bereich gilt die o.g. Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes als Richtschnur, entsprechend würde eine erweiterte Auslegung der Anwendungsfälle einer „Berichtigung“ dem Urteilsinhalt widersprechen.
Ich hoffe, dass ich mit meinen Ausführungen einige Ihrer Sorgen zerstreuen konnte.
Mit freundlichen Grüßen
Norbert Geis MdB