Frage an Norbert Geis von Gerhard R. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Geis,
die Zeitungen des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlages veröffentlichten am 20.10. zur Euro-Rettung einen Leitartikel des Handelsblattes unter der Überschrift
"Denn sie wissen nicht, was sie tun".
Daraus:
Die gesunden Institute, wie die Deutsche Bank, brauchen kein Staatsgeld. Die kranken Banken bräuchten das Geld zwar dringend. Aber der Steuerzahler braucht diese Banken nicht.
Die gesunden Banken wollen nicht vom Staat gerettet werden. Merkels Rettung könnte für sie den Todeskuss bedeuten. Sie drohen damit, ihre Eigenkapitalquote dadurch zu erhöhen, dass sie die Kreditvergabe an die Privatwirtschaft drosseln. Damit würde das eintreten, was die Retter so dringend verhindern wollen: Abschwung, Firmenpleiten, Massenarbeitslosigkeit.
Der Kartenhaus-Charakter der bisherigen Rettungspolitik ist unübersehbar. Man muss kein Ökonom sein, um eine Ahnung des Kommenden zu besitzen: Der Tag rückt näher, an dem zusammenfällt, was zusammenfallen muss.
Wie beurteilen Sie diesen Leitartikel?
In meinem Bekanntenkreis wird Frau Merkel als Lobby-Kanzlerin bezeichnet. Wird sie tatsächlich die Banken mit Eigenkapital ausstatten und so die Staatsverschuldung erhöhen?
Wenn der Bundestag das nicht verhindern kann: Wäre das mit dem Grundgesetz vereinbar?
Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Reth
Sehr geehrter Herr Reth,
haben Sie vielen Dank für Ihre Frage. Den besagten Leitartikel habe ich leider nicht gelesen, weswegen ich ihn nicht beurteilen kann. Die Kritik ist mir aber grundsätzlich bekannt und auch sicherlich nicht einfach von der Hand zu weisen.
Was die Banken wollen, ist unerheblich. Es geht darum, was die Banken können müssen. Das ist in erster Linie die aktuelle Krise zu überstehen, ohne wieder die Wirtschaft in Mitleidenschaft zu ziehen. Die Erhöhung der Eigenkapitalquote halte ich deshalb für unabdingbar, um die Systemstabilität zu gewährleisten. Dies müssen die Banken zunächst aus eigener Kraft schaffen. Die deutschen Banken werden dazu aller Voraussicht nach in der Lage sein. Anschließend sind die Nationalstaaten für ihre jeweiligen Banken zuständig. Der EFSF kann erst als letztes Mittel, wie im Falle Griechenlands genutzt werden.
Die Bundeskanzlerin hatte bereits vor Jahren bei den Verhandlungen zu Basel II auf eine Erhöhung der Kapitalquote gedrängt, stieß mit ihren Forderungen aber auf massiven Widerstand gewisser Länder. Deren Fehleinschätzungen hinsichtlich der in Deutschland unter Rot-Grün deregulierten Finanzmärkte zeigen sich nun in einer erschreckenden Deutlichkeit.
Eine Frage müssen sich die Kritiker der Bundesregierung gefallen lassen: Wo sind ihre tragfähigen Gegenvorschläge? So angebracht die Kritik hinsichtlich des Risikos sein mag, ein viel größeres Risiko wäre es, nichts zu tun und den Euro und damit Europa dem Verfall Preis zu geben. Wir befinden uns in einer Finanzkrise, in der sich auch die führenden Ökonomen bei ihren Lösungsvorschlägen zum Teil gegenseitig diametral widersprechen. Die Expertenanhörung zum EFSF im Bundestag hat dies noch einmal bestätigt. Zahlreiche Risiken wurden uns von den Experten aufgezeigt. Aber eine Garantie auf einen richtigen Lösungsweg wollte und kann uns niemand geben. Unter diesen Bedingungen, wo selbst die Experten nur schwer verlässliche Prognosen dazu abgeben können, welche Konsequenzen eine Entscheidung haben wird, ist verantwortungsvolles Regieren extrem schwierig. Im Gegensatz zu den Finanzmärkten kann es sich die Bundesregierung nicht erlauben zu spekulieren. Die Bundeskanzlerin, Frau Dr. Angela Merkel, bleibt in dieser Situation zum Glück für Deutschland ruhig und besonnen. Sie trifft keinerlei Entscheidungen, deren Konsequenzen sie nicht abschätzen kann.
Eine unkontrollierte Pleite Griechenlands als Folge deutscher Untätigkeit wäre eine solche Entscheidung. Der Kollaps der Euro-Zone und eine Weltwirtschaftskrise wären wohl unausweichlich. Eine Umschuldung Griechenlands durchzuführen, wie sie nun endlich von den Euro-Staaten beschlossen und an der der private Sektor massiv beteiligt wurde, ohne gleichzeitig dafür vorzusorgen, dass die damit verbundenen Abschreibungen nicht zu einem Konkurs der Banken führen, wäre ebenso verantwortungslos.
Niemand behauptet, dass die Politik der Bundesregierung risikolos sei. Würde die Bundeskanzlerin aber vor diesem Risiko zurückschrecken, würde sie damit ein viel größeres und vor allem völlig unkontrollierbares Risiko eingehen. Mit dieser pragmatischen Vorgehensweise hat sie unser Land durch die vergangene Krise geführt. Deutschland geht es heute so gut wie seit langem nicht mehr. Ein Blick auf den Arbeitsmarkt genügt. Die gestrigen Beschlüsse zwischen den Euro-Staaten zeigen, dass die Bundeskanzlerin auch in der Lage ist, Deutschlands Interessen auf internationaler Ebene zu wahren. Angesichts der komplizierten und fehlerhaften Strukturen in der EU bzw. der Euro-Zone ist das eine ungleich schwierigere Aufgabe.
Die Patentlösung wird es nicht geben. Wehmütige Blicke zurück nützen ebenfalls nichts. Ein Blick auf den rasant aufgewerteten Schweizer Franken macht klar, dass Deutschland mit der D-Mark in der aktuellen Krise der Staatshaushalte in den Industriestaaten der Welt, nicht weniger großen Schwierigkeiten wäre und vor allem die vergangene Krise nie so schnell hinter sich hätte lassen können.
Nun gilt es, trotz aller Unsicherheiten, gemeinsam im Verbund der Euro-Staaten und der EU einen tragfähigen Weg aus diese Krise zu finden und dabei unsere Stabilitätsvorstellungen durchzusetzen. Es zeigt sich immer deutlicher, dass es die souveräne nationalstaatliche Wirtschafts- und Finanzpolitik in der heutigen Welt nicht mehr gibt. Dazu sind die Staaten via die Märkte zu sehr miteinander vernetzt. Das ist auch der Grund, warum wir Institutionen wie die EU und den Euro für die Zukunft sichern müssen.
Mit freundlichen Grüßen
Norbert Geis MdB