Frage an Nikolaus von Hoenning O´Carrol von Dirk M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr von Hoenning O´Carrol,
ein gern gehörtes Argument gegen die große Politikverdrossenheit ist, dass man doch schließlich selbst mitmachen könne, um etwas zu verändern. Fakt ist aber, wenn man sich z.B. die Altersstruktur in der cSU anschaut, dass scheinbar nur im wahrsten Wortsinn "altgediente" Herren überhaupt etwas zu sagen haben. Anders gesagt, ohne Jahre langes Buckeln und dabei Korrumpieren lassen ist von echter Mitwirkung nicht zu träumen.
Wie sieht es daher bei den Grünen aus, wenn man sich (beispielsweise in meinem Fall für München) engagieren will? Bestehen bei Ihnen die Chancen, in weniger als 10-30 Jahren zumindest etwas zu bewegen und "echt" mitzuwirken? Ich denke, dass die Aussicht, ohnehin absehbar nichts zu ändern, bei vielen der Grund ist, sich aus den Parteien herauszuhalten.
mit freundlichen Grüßen,
Dirk Müller
Sehr geehrter Herr Müller,
ich habe mich sehr über Ihre Mail gefreut, bringt sie doch ein wesentliches Problem unseres politischen Systems auf den Punkt.
In den letzten Wochen konnte ich mir bei Veranstaltungen und Infoständen eine Menge Beschimpfungen über Politiker anhören. Diese scheinen mir komplett unberechtigt, schließlich ist es einfach Menschen pauschal zu beschimpfen, sich selber aber nicht die Mühe zu machen was zu verändern.
Auf der anderen Seite ist Ihr Einwand vernünftig. Jeder rationale Mensch muss bei der knappen Ressource Zeit (mal ganz abgesehen von den Nerven, die man in der politischen Arbeit verschleißt) abwägen, wie und wofür er sich engagiert.
Sie sprechen in Ihrer Mail die Probleme auch beim Erscheinungsbild der CSU an. Auf Ihre Frage, ob es sich hier bei den Grünen anders verhält werde ich Sie evtl. entäuschen. Zum einen kommt es auch bei uns darauf an, wo man sich engagiert. Die von Ihnen beschriebenen Probleme sind meines Erachtens nämlich nicht nur der Partei, sondern zu einem Gutteil auch der Konstitution unseres politischen Systems geschuldet. Überall dort, wo sich Macht und Einfluss auf staatliche Ressourcen über einen langen Zeitraum konzentriert entstehen derartige Verkrustungen, Erbhöfe und die Tendenz zur geschlossenen Gesellschaft.
Die Grünen in München sind seit 18 Jahren in einer Koalition mit der SPD an der "Stadtregierung" beteiligt. Der Stadtverband hat einen Bundestags- und eine Landtagsabgeordnete. Die Bayerische Landesvorsitzende ist auch Mitglied des Stadtverbandes. Es sollte einen daher nicht verwundern, dass sich hier ein gut funktionierendes Kadernetzwerk gebildet hat, das in seiner "professionellen" Arbeitsweise denen anderer Parteien in nichts nachsteht.
Trotzdem möchte ich Sie bitten gerade deswegen hier nicht resignieren und sich zu engagieren. Man darf sich nur keinen falschen Illusionen hingeben. Der von Ihnen beschriebene Tatsache, dass "die Aussicht, ohnehin absehbar nichts zu ändern, bei vielen der Grund ist, sich aus den Parteien herauszuhalten", verstärkt diesen Effekt ja gerade noch. Wir können unser politisches System - zumindest friedlich - nur von innen reformieren.
In diesem Sinne würde ich mich freuen, wenn wir Sie dafür gewinnen könnten, sich bei uns für Veränderungen zu engagieren.
Mit freundlichen Grüßen
Nikolaus Hoenning O´Carroll