Frage an Niema Movassat von Wolf S. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrter Herr Movassat,
durch den Zuzug von 100 tausenden Menschen nach Deutschland wird u.a. das Arbeitskräfteangebot auf dem Arbeitsmarkt sehr stark anwachsen. Dies führt gemäß den volkswirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten mittelfristig zu einem Arbeitgebermarkt. Das heißt, die Arbeitgeberseite wird durch ein höheres Angebot gestärkt, die Arbeitnehmerseite tendenziell geschwächt. Die logischen Folgen sind u.a. eine Schwächung der Arbeitnehmer.
Löhne werden geringer oder nicht steigen, Arbeitnehmerschutzrechte werden tendenziell geschwächt, Sozialstandards eher abgebaut.
Mit welchen Maßnahmen werden Sie dieser Entwicklung begegnen wollen?
Mit freundlichen Grüßen
W. S.
Sehr geehrter Herr S.,
herzlichen Dank für Ihre Anfrage, die ich gerne beantworte.
Die bloße quantitative Ausweitung des Arbeitsangebotes durch geflüchtete Menschen bzw. Zuwanderung macht noch nicht den angeführten "Arbeitgebermarkt" aus. Erst einmal müssen alle diese Personen die entsprechenden umfassenden Qualifikationen erwerben, dass sie auf dem Arbeitsmarkt faktisch nachgefragt werden. Bereits in den letzten Jahrzehnte gab es stets das Machtungleichgewicht zwischen den Beschäftigten und Unternehmen bzw. Arbeitgebern. Der massenhafte Mitgliederschwund bei den Gewerkschaften, die fatale Arbeitsmarktgesetzgebung und die rapide wachsenden ökonomischen Ungleichheiten zu Gunsten hoher/höchster Einkommen und Vermögen sowie die Bevorzugung der Gewinneinkommen sind hierfür ausschlaggebend, nicht quantitative Betrachtungen der Entwicklung von Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage oder die ständige, grundfalsche Litanei vom vermeintlichen flächendeckenden "Fachkräftemangel".
Genau deshalb haben wir Jahre früher als alle anderen Parteien etwa einen Mindestlohn gefordert, um eine untere Haltelinie zu ziehen und den Konkurrenzdruck auf dem Arbeitsmarkt und Lohndumping zu beenden. Aktuell fordern wir eine Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro. Nur damit lassen sich erstens die Ausgaben im Alltag einigermaßen finanzieren und zweitens die millionenfach drohende Altersarmut trotz Vollzeitarbeit verhindern. Natürlich ist dies allein nicht ausreichend, um das Machtungleichgewicht zwischen Unternehmen und Beschäftigten zu korrigieren. Wir wollen zugleich die gesetzlichen Bedingungen verändern, damit Millionen von Menschen den prekären Niedriglohnbereich verlassen können und den ständigen Kreislauf von permanenter Leiharbeit, Kettenbeschäftigung durch Werkverträge, befristeter Jobs, Dequalifizierung und Demotivierung durchbrechen können. Auch diese Entwicklung hat lange vor der Zuwanderung und der Aufnahme von geflüchteten Menschen begonnen und wird sich nicht von selbst durch eine Reduktion "der Köpfe" und eines abstrakten Arbeitsangebots wie von Zauberhand umkehren. Dies zu glauben wäre realitätsfern. Genau deshalb kämpfen wir für klare Reformen bei der Arbeits-, Steuer- und Sozialgesetzgebung, den Einsatz finanzieller Mittel und investive Maßnahmen der öffentlichen Hand und eine stärkere Verpflichtung der Unternehmen auf ihre soziale Verantwortung. DIE LINKE steht für eine solidarische Gesellschaft und verschließt dabei auch nicht die Augen vor den Aufgaben und der oft bewusst in Kauf genommene Konfrontation von Menschen auf dem Arbeitsmarkt, um bezahlbare Wohnungen oder soziale Leistungen.
Mit freundlichen Grüßen
Niema Movassat