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Niema Movassat
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Frage von Norbert W. •

Frage an Niema Movassat von Norbert W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Niema Movassat,

die Mehrheit der Bundesbürger hält Volksentscheide auch auf Bundesebene für sinnvoll.

Ich unterstütze die Vorschläge des Vereins Mehr Demokratie e. V. zur Einführung der Volksabstimmung in Deutschland.

Die Vorschläge sehen ein dreistufiges Verfahren vor:
- Volksinitiative: Mit 100.000 Unterschriften kann dem Bundestag ein Gesetzentwurf vorgelegt werden.
- Volksbegehren: Lehnt der Bundestag die Volksinitiative ab, kann ein Volksbegehren eingeleitet werden. Für dessen Erfolg müssen in sechs Monaten eine Million Unterschriften zusammenkommen.
- Volksabstimmung: Hier entscheidet - wie bei Wahlen - die Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Jeder Haushalt bekommt im Vorfeld eine Abstimmungsbroschüre mit wichtigen Informationen und allen Pro- und Kontra-Argumenten.
Zusätzlich sollen die Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit haben, eine Volksabstimmung gegen Beschlüsse des Bundestages einzuleiten (fakultatives Referendum) und bei wichtigen EU-Reformen und Grundgesetzänderungen mitzuentscheiden (obligatorisches Referendum).

Sehr geehrter Herr Niema Movassat, bitte teilen Sie mir Ihre Ansicht zu diesen Fragen mit.

Mit freundlichen Grüßen
Norbert Wagner

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Wagner,

sehr gerne beantworte ich Ihre Fragen zum Bereich direkte Demokratie. Ich möchte zunächst etwas grundsätzliches dazu einleiten und dann zu Ihren konkreten Fragen kommen.

DIE LINKE. versteht sich nicht als Partei, die klassische Stellvertretungspolitik im Parlament machen will. Für uns ist klar, dass linke und soziale Kräfte im Parlament eine starke soziale Bewegung und den Druck der Bevölkerung brauchen, um erfolgreich einen Politikwechsel einläuten zu können.

Demokratie und Mitbestimmung dürfen sich nicht in Parlamentswahlen erschöpfen. DIE LINKE. will Menschen ermutigen, selber Entscheidungen zu treffen, Politik vor Ort und politische Initiativen zu entwickeln, um ihr Lebensumfeld nach ihren Bedürfnissen zu gestalten. Hierfür ist die direkte Demokratie – also die Beteiligung aller Bürgerinnen und Bürger – unabdingbar.

Neben den von Ihnen bereits angesprochenen Initiativen und Bürgerbegehren müssen hierzu aber auch weitreichende Veränderungen im Wahlrecht erfolgen. Bei Kommunalwahlen beispielsweise müssen alle Einwohnerinnen und Einwohner eines Bundeslandes ab 16 Jahren das Wahlrecht erhalten. Nicht-EU-Bürgerinnen und -Bürger dürfen nicht von der politischen Teilhabe auf kommunaler Ebene ausgeschlossen werden. Die Briefwahl muss portofrei abgesendet werden können.

Nun zu Ihren konkreten Punkten:

-Volksinitiative: Mit 100.000 Unterschriften kann dem Bundestag ein Gesetzentwurf vorgelegt werden.
-Volksbegehren: Lehnt der Bundestag die Volksinitiative ab, kann ein Volksbegehren eingeleitet werden. Für dessen Erfolg müssen in sechs Monaten eine Million Unterschriften zusammenkommen.

Als Bundestagsabgeordneter der LINKEN unterstütze ich die Forderung nach Volksinitiativen selbstverständlich. Wir setzen uns als Partei allerdings dafür ein, dass Die Unterschriftenhürde für die Volksinitiative auf 30.000 Unterschriften gesenkt wird. Eine erfolgreiche Volksinitiative muss dann automatisch als Zulassungsantrag auf ein Volksbegehren gelten. Das Quorum für die Unterschriften für Volksbegehren ist ebenfalls auf zwei Prozent zu senken und die Sammelfrist soll nach Willen der LINKEN von acht Wochen auf sechs Monate verlängert werden.

-Volksabstimmung: Hier entscheidet - wie bei Wahlen - die Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Jeder Haushalt bekommt im Vorfeld eine Abstimmungsbroschüre mit wichtigen Informationen und allen Pro- und Contra-Argumenten.

Eine Broschüre ist sicher ein Schritt in die richtige Richtung auf dem langen Weg zu einem Entscheid. Es stellt sich natürlich recht schnell die Frage, welche Institution diese Broschüre letztlich produzieren sollte, denn hier muss eine möglichst objektive Darstellung aller Argumente zu einem Thema vorgelegt werden. Aus meiner Sicht kann dies nicht von einem Ministerium übernommen werden, sondern muss in einer Initiative mit parlamentarischen und außerparlamentarischen Kräften geleistet werden.

Darüber hinaus muss eines ganz klar sein: direkte Demokratie passt nicht in das starre parlamentarische Zeitkorsett! Die Erstellung und Verbreitung einer Broschüre wird keinesfalls ausreichend sein, um den Bürgerinnen und Bürgern genügend Informationen an die Hand zu geben. In unserem europäischen Nachbarland Schweiz, hat die Entscheidung zum Tunnelbau am Gotthard mehrere Jahre benötigt und wurde schließlich 1994 endgültig entschieden. Bis zum Tunneldurchbruch im vergangenen Oktober vergingen nun fast zwanzig Jahre , doch der Entscheid wird nach wie vor breit getragen. Als LINKE fordern wir die verpflichtende Einführung von Volksabstimmungen bei Verfassungsänderungen, denn die Bürgerinnen und Bürger müssen bei Verfassungsänderungen die letzte Entscheidung treffen dürfen. Für einen solchen Entscheidungsprozess muss allerdings eine geeignete Zeitspanne zur Verfügung stehen!

-Zusätzlich sollen die Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit haben, eine Volksabstimmung gegen Beschlüsse des Bundestages einzuleiten (fakultatives Referendum) und bei wichtigen EU-Reformen und Grundgesetzänderungen mitzuentscheiden (obligatorisches Referendum).

Auch diese Forderung trifft auf meine volle Unterstützung. Kriege wie in Afghanistan wären so nicht von deutschen Soldaten unterstützt und die menschenunwürdigen Hartz-Gesetze wären in dieser Form nicht beschlossen worden. Beides Beispiele an denen deutlich wird, dass selbst solch bedeutende parlamentarische Entscheidungen entgegen der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger getroffen werden.
Die Beteiligung an Entscheidungen auf EU-Ebene ist zusätzlich eine von vielen Möglichkeiten das „Raumschiff Europäische Union“ für Bürgerinnen und Bürger greifbarer zu machen und sie so auch mehr für europäische Prozesse zu interessieren.

Mit freundlichen Grüßen
Niema Movassat