Frage an Nicolette Kressl von Thomas J. bezüglich Finanzen
Guten Tag Frau Kressl,
wie stehen sie zu der Einführung von Eurobonds zur Rettung der Banken ?
Frau Merkel hat uns damals versprochen dass es keine Schuldenunion oder Transferunion geben wird.
Wie soll ich meinen Kindern erklären, dass sie später für die Schulden der südlichen Länder bezahlen müssen ?
Mit freundlichen Grüßen,
Thomas Jung, Baden-Baden
Sehr geehrter Herr Jung,
Sie haben sich bezüglich der aktuellen Diskussionen um die Eurokrise und die damit einhergehende Erwägung so genannter Euro-Bonds an mich gewandt. Für Ihre Anfrage danke ich Ihnen und nehme gerne dazu Stellung.
Auch wenn die an sich schlichte Frage „Sind Sie für oder gegen Euro-Bonds?“ vielleicht eine simple und klare Antwort suggeriert, so stellt sich der Sachverhalt anders und dabei äußerst komplex dar. Ja, wir Sozialdemokraten halten die Einführung von Euro-Anleihen für sinnvoll – als eine Maßnahme unter vielen, die strenge Auflagen erfüllen sollte.
Doch zuerst einmal möchte ich auf zwei wesentliche Aspekte hinweisen, die bedauerlicherweise in der öffentlichen Wahrnehmung zu wenig Beachtung finden. Zum einen wären nicht etwa Euro-Anleihen der Eintritt in eine europäische Haftungsgemeinschaft – denn faktisch gibt es bereits eine Vergemeinschaftung der Schulden. Die Trias aus dem Rettungspaket für Griechenland, dem Aufkauf von Staatsanleihen der Krisenländer durch die Europäische Zentralbank und der Kompetenzausweitung des Euro-Rettungsschirms EFSF (auf die ich im Weiteren näher eingehe) führt dazu, dass alle EU-Staaten und der gesamte Euro-Raum eine gemeinsame Verantwortung tragen und somit auch gemeinschaftlich für die Risiken haften.
Zum anderen muss man sich vor Augen führen, was ein Auseinanderbrechen der Währungsunion zur Folge hätte. Eine Rückkehr zur „alten Währung“ würde ein so wirtschaftsstarkes Land wie Deutschland isolieren und in eine tiefe Depression stürzen. Denn: Die D-Mark wäre so stark, dass deutsche Exporte – welche einen wesentlichen Anteil der Wirtschaftskraft des Landes ausmachen – sich enorm verteuern und deshalb einbrechen würden. Folglich wären unzählige Arbeitsplätze bedroht (allein für das Land Baden-Württemberg geht die IG Metall von 200.000 Arbeitsplätzen aus), exportabhängige Unternehmen würden insolvent. Laut einer jetzt von der UBS Bank veröffentlichten Studie schätzen Analysten, dass bei einem Ausstieg aus der Eurozone sich die Kosten pro Bundesbürger im ersten Jahr auf 6.000 bis 8.000 Euro, im Anschluss zwischen 3.500 und 4.500 Euro jährlich belaufen würden. Auf das Bruttoinlandsprodukt umgemünzt, entspräche dies einem Anteil von 25 Prozent allein im ersten Jahr. Zum Vergleich: Die Kosten eines so genannten Bailout, also einer Schuldentilgung Griechenlands, Irlands und Portugals, beliefen sich insgesamt auf etwas mehr als 1.000 Euro pro Bürger.
Ich möchte im Folgenden versuchen, wesentliche Fragen und Eckpunkte zur gegenwärtigen Lage in Europa sachlich darzulegen, um unsere Position besser zu erläutern.
Die „Krise“. Haben wir es nun eigentlich mit einer Finanz-, Wirtschafts-, Euro- oder EU-Krise zu tun? Allein schon diese Sprachverwirrung zeigt, dass ein Mangel an Orientierung und somit an Entschlusskraft und Aufklärung in dieser akuten Situation herrscht. Deshalb kritisieren wir Sozialdemokraten die Führungslosigkeit der Bundeskanzlerin und die lavierende Haltung der gesamten Bundesregierung. Tatsächlich ist die allgemein als „Euro-Krise“ bezeichnete Lage in Europa eine Staatsschuldenkrise: Einzelne Staaten wie Griechenland, Irland oder Portugal sind in eine Finanzierungskrise geraten, deren Ursachen zum Teil so eigen sind wie die Staaten selbst. Während Griechenland die Last einer extrem hohen Staatsverschuldung einerseits und einer schwindenden Wettbewerbsfähigkeit andererseits zu tragen hat, haben sich anderen Staaten wie Irland oder Spanien unter anderem mit Hilfs- und Rettungsmaßnahmen für in Schieflage geratene Banken und Unternehmen übernommen – und befinden sich jetzt in einer wirtschaftlichen Abwärtsspirale.
Knapp zehn Jahre nach seiner Einführung krankt also nicht der Euro als gemeinsame Währung, sondern die Europäische Union hat, wie außereuropäische Staaten auch, weiterhin mit den Folgen der 2008 ausgebrochenen Finanz- und Wirtschaftskrise zu kämpfen. Dies muss man sich klar machen, um zu verstehen, dass hier kein kurzfristiges und vor allen Dingen kein kurzatmiges Krisenmanagement gefragt ist. Die aktuelle Lage muss in diesem großen und globalen Zusammenhang gesehen und angegangen werden – anhand eines soliden und strukturierten Gesamtkonzepts, das sowohl die Haushalte konsolidiert als auch Wachstumsimpulse schafft. Denn eine ausschließlich restriktive Sparpolitik lähmt auf Dauer jede Volkswirtschaft.
Der sozialdemokratische Ansatz. Uns ist bewusst, dass es keine einfache Lösung gibt. Die Krise betrifft alle EU-Staaten, wenn auch in heterogener Ausgestaltung. Und deshalb gibt es auch keine Hilfsmaßnahmen, die „an uns vorbei“ eingesetzt werden könnten. Hier geht es vielmehr darum, ein solides Gerüst für eine nachhaltige Stabilisierung sowohl der einzelnen Volkswirtschaften als auch des Euro-Raumes insgesamt zu schaffen. Ein Gerüst, dessen Bauplan wiederum an strenge Auflagen geknüpft sein muss.
Kurzfristig geht es darum, am 29. September im Deutschen Bundestag über die Reform des Euro-Rettungsschirms EFSF abzustimmen. In Anbetracht der akuten Krisensituation ist es wichtig, dass einerseits die nervösen Finanzmärkte das Signal erhalten, die EU-Staaten seien zu jeder Zeit handlungsfähig und andererseits dass die Kontrollmechanismen und -möglichkeiten gegenüber „Krisenstaaten“ verschärft werden. Beides wäre durch den „neuen“ EFSF erst einmal gewährleistet. Die SPD hat ihre Zustimmung signalisiert, diese allerdings an klare Bedingungen geknüpft. Das Parlament muss in Zukunft bei jedem Schritt, den der Fonds tätigt, ein umfassendes Mitspracherecht erhalten – denn schließlich ist das Budgetrecht das „Königsrecht des Parlaments“ und darf nicht unterhöhlt werden. Dies hat auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 7. September unterstrichen. Außerdem müssen die Finanzmarktakteure als Verursacher der Krise sich an den Kosten derselben beteiligen. Dabei bestehen wir weiterhin auf die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, auf die ich später noch genauer eingehen werde.
Doch ist dies nur der erste Schritt hin zu einer nachhaltigen und tragfähigen EU-Konsolidierung. Wenn die SPD in der aktuellen Diskussion Euro-Anleihen befürwortet, dann nur unter klaren Prämissen. Doch zuerst möchte ich erläutern, was konkret die Folgen von Euro-Bonds wären:
Diese Staatsanleihen würden von den Regierungen der Mitgliedsstaaten oder von Institutionen des Euro-Raums begeben und von den Mitgliedsstaaten insgesamt garantiert. Somit würde aus Sicht der Märkte die Glaubwürdigkeit des Euro-Raumes gestärkt, Spekulationen gegen Staaten würde der Boden entzogen werden – was sich wiederum positiv auf den Zinssatz dieser Anleihen auswirken würde und Deutschland somit eine geringere Zinssteigerung als oftmals befürchtet zu erwarten hätte.
Durch Euro-Anleihen würde einer der größten Anleihemärkte weltweit entstehen. Diese hohe Liquidität könnte weitere Anleger locken, die Nachfrage steigern und die Zinsen fallen lassen.
Euro-Anleihen sollten nur einen Teil der Staatsschuld refinanzieren. Wird dieser Schwellenwert (eine denkbare Obergrenze wären 60 Prozent – in Anlehnung an das Maastrichter Stabilitätskriterium) überschritten, müssten die zusätzlichen Schulden in eigener, nationaler Verantwortung emittiert werden. Aufgrund sehr hoher Zinsen auf diese Anleihen wären die betroffenen Staaten zusätzlich gezwungen, entsprechende Maßnahmen zur Konsolidierung ihrer Volkswirtschaft und ihres Haushalts zu treffen und auch einzuhalten.
Wer die wirtschafts- und finanzpolitischen Vorgaben nicht einhält, müsste für diese Zeit ein Stück seiner nationalstaatlichen Souveränität an die EU abgeben. Letztere hätte eine Kontrollfunktion gegenüber den einzelnen Staaten und ihren Haushalten. In diesem Zusammenhang wäre eine verfassungsrechtlich festgelegte Schuldenbremse nach deutschem Vorbild in den betroffenen Ländern denkbar, um ein noch höheres und verbindlicheres Maß an Haushalts-Disziplin zu erreichen.
Wie bereits erwähnt, können nach sozialdemokratischer Auffassung Euro-Anleihen nicht isoliert und für sich genommen überlegt werden. Folgende Rahmenbedingungen müssten geschaffen werden:
Dieses Anleihensystem kann nur mit einem intelligenten Schuldenschnitt funktionieren. Denn Ausgabenkürzungen und Strukturreformen reichen nicht aus, um Krisenstaaten aus der Schuldenfalle herauszuführen. Deshalb muss der Privatsektor auf einen Teil seiner Forderungen verzichten – und nicht nur die Rückzahlungsfristen verlängern, wodurch die Schuldenlast ja nicht reduziert würde.
Eine „Vergemeinschaftung“ der Staatsschulden erfordert eine koordinierte Europäische Wirtschafts- und Finanzpolitik. Dass Sie mich nicht falsch verstehen: Es ginge nicht darum, die Souveränität jedes einzelnen Staates zu Gunsten einer supranationalen Führung aufzugeben. Vielmehr müsste ein Versäumnis bei der Einführung der gemeinsamen Währung behoben werden, nämlich das Fehlen einer koordinierten Leitlinie anhand einer gemeinsamen Wirtschaftsregierung – die neben den gewachsenen nationalstaatlichen Strukturen auf EU-Ebene handlungsfähig wäre. Die Strukturen, Vernetzungen und Herausforderungen innerhalb der Europäischen Union sind zu komplex und erfordern inzwischen eine zu schnelle Reaktionsfähigkeit, als sie nur über gelegentliche bilaterale Krisengipfel à la Merkel-Sarkozy bewältigt werden könnten.
Als vorerst letzten, aber nicht minder wichtigen Punkt möchte ich die Finanztransaktionssteuer anführen. Nach Maßgabe des Verursacherprinzips würden durch eine Steuer auf alle börslichen und außerbörslichen Transaktionen von Wertpapieren, Anleihen und Derivaten auch die Akteure der Finanzmärkte an den Kosten der Krise beteiligt – und zwar international, mindestens jedoch im Euro-Raum. Banken und sonstige Finanzakteure stehen in der Pflicht und in der Verantwortung – und es kann nicht sein, dass ihre Gewinne privatisiert, ihre Verluste aber sozialisiert werden. Diesem Leitsatz folgen wir Sozialdemokraten seit jeher. Vor diesem Hintergrund ist es nicht zu verstehen, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung, gerade vom kleinen Koalitionspartner FDP angetrieben, die Einführung einer Finanztransaktionssteuer weiterhin blockiert.
Nach diesen Ausführungen komme ich auf einen wesentlichen Punkt zurück: Was wir (das heißt wir Europäer, wir Deutsche, wir Steuerzahler, wir Arbeitnehmer) jetzt brauchen, ist eine politische Linie, die uns Sicherheit, Beständigkeit und Zuversicht bietet. Das kurzatmige „Staccato“ aufeinanderfolgender Rettungsmaßnahmen ist auf Dauer keine Lösung. Es schürt Sorgen und Ängste, anstatt den Menschen in Europa eine greifbare Perspektive zu geben, die es aus unserer Sicht jedoch tatsächlich gibt. Es behauptet niemand, der Weg sei einfach. Aber eines müssen wir uns bewusst machen: Ein Auseinanderbrechen des Euroraumes hätte fatale Folgen – auch und gerade für unser Land. Nur ein starkes Europa ist in der Lage, unseren Wohlstand und unsere Zukunft zu sichern.
Mit freundlichen Grüßen
Nicolette Kressl, MdB