Frage an Nese Erikli von Bettina S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Guten Tag Frau Erikli,
im November 1918 erhielten Frauen in Deutschland das aktive und passive Wahlrecht. Seither haben Frauen viel erreicht. Sie selbst wurden gewählt, sind Abgeordnete und Mitglied des NSU-Untersuchungsausschusses im baden-württembergischen Landtag.
--> Welche Bedeutung hat das Frauenwahlrecht für sie in Zeiten erstarkender rechter Gruppierungen / Parteien, die erzkonservative Frauen- und Familienbilder propagieren und ihre antifeministische Haltung kaum verbergen?
--> Demokratie im Betrieb - Betriebsratswahlen 2018: Ist die Kandidatur rechter Gruppen ein Thema, welche Position haben Sie als Mitglied im NSU-Untersuchungsausschuss dazu?
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrte Frau S.,
vielen Dank für Ihre Fragen. Vorab muss ich Sie darauf aufmerksam machen, dass ich im NSU-Untersuchungsausschuss lediglich stellvertretendes Mitglied bin. Die Grünen Mitglieder dieses Untersuchungsausschusses sind Susanne Bay, Jürgen Filius, Petra Häffner und Alexander Salomon.
Das Frauenwahlrecht ist mittlerweile glücklicherweise eine Selbstverständlichkeit. Der mutige Kampf vieler Frauen über viele Generationen beeindruckt mich und gibt Mut, auch heute noch bestehende Benachteiligungen von Frauen in den Blick zu nehmen und zu beseitigen. Doch so selbstverständlich wie das aktive Wahlrecht für Frauen mittlerweile ist: Beim passiven Wahlrecht, also der Frage, ob Frauen auch selbst gewählt werden, sehen die Statistiken düster aus. Im Deutschen Bundestag sind nur 219 Frauen unter den 709 Abgeordneten – das entspricht einem Anteil von nur 31 Prozent. Im Landtag von Baden-Württemberg sieht es mit 37 Frauen von 143 Abgeordneten, also 26%, noch schlechter aus. Was mich daran besonders bedrückt ist, dass nach jahrzehntelangen Verbesserungen des Frauenanteils in den Parlamenten dieser nun wieder schrumpft. Wer sich die Frauenanteile der einzelnen Fraktionen anschaut stellt fest, dass insbesondere die AfD, aber auch FDP und CDU und im Landtag sogar die SPD, durch inakzeptabel niedrige Frauenanteile auffallen. Das Zurückdrängen von Frauen in klassische Rollenbilder ist Ziel rechter Politik und darf nicht toleriert werden. Insofern sind Fragen von Gleichberechtigung und moderner Familienpolitik in der aktuellen politischen Lage von zentraler Bedeutung. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Uhren in die 50er-Jahre zurückgedreht werden, sondern müssen unsere Bemühungen um stetige Verbesserungen beibehalten.
Die Kandidaturen rechter Gruppierungen bei den Betriebsratswahlen verfolge ich mit Sorge. Das Beispiel eines langjährigen rechtsextremen Betriebsratsmitglieds aus Untertürkheim, der auch vor dem NSU-Untersuchungsausschuss aussagen musste [1], macht beklommen. Es wäre eine dramatische Entwicklung, würde die Strategie der Rechten aufgehen, auch die Betriebsräte zu vereinnahmen und zu instrumentalisieren. Ich habe die Hoffnung, dass hier durch klare Information sowie ein deutliches Benennen der Problematik rechtsextremer Brandstifter durch die anderen sich zur Wahl stellenden Listen und letztlich die Klugheit der Belegschaften diese Strategie nicht aufgehen wird. Auf die Betriebsratswahlen kann die Politik zum Glück keinen unmittelbaren Einfluss nehmen. Mittelbar ist es unsere Aufgabe als PolitikerInnen, denjenigen, die sich von unserer freiheitlich-demokratischen, republikanischen und die Würde des Menschen in den Mittelpunkt stellenden Grundordnung abwenden, gleichzeitig zu widersprechen und ihnen konsequent die Hand zu reichen, um ihnen eine Rückkehr zu diesen Werten zu ermöglichen.
Mit freundlichen Grüßen
Nese Erikli