Frage an Nadine Schön von Stefan Peter L. bezüglich Familie
Sehr geehrte Frau Schön,
ich verfolge z.Zt. die Diskussion im deutschen Bundestag zur Frage der Präimplantationsdiagnostik (PID). Für mich als Katholik ist diese Diskussion eine Herausforderung zum Schutz des Lebens. Da im Ethos des christlichen Glaubens das Leben mit der Befruchtung der Eizelle beginnt, ist jede Manipulation oder Eingriff an Embryonen nicht hinnehmbar. Zudem wird m.E. mit der Zulassung der PID Tür und Tor geöffnet das, in Kreisen die es sich leisten können, nur noch "Designerbabys" mit "TOP-Erbanlagen" geboren werden. Ärme Schichten hätten nur "normale" Kinder, vielleicht sogar mit einer Behinderung was natürlich dann ein "Schandfleck" wäre, da man das Kind ja hätte "verhindern" können.
Ich möchte gerne Ihre Position zu dieser Frage erfahren.
Mit freundlichen Grüßen
Stefan Leinenbach
Sehr geehrter Herr Leinenbach,
der Wunsch von Paaren nach einem gesunden, eigenen Kind ist verständlich. Eltern und Paare, die wiederholt Tot- oder Fehlgeburten erleiden oder den Tod des eigenen Kindes verkraften müssen, tragen eine schwere körperliche und seelische Belastung. Ich verstehe deshalb, dass insbesondere Familien, die dieses Leid erfahren mussten, ihre Hoffnung auf die Anwendung der PID setzen. Diese Paare und Eltern, die sich um ein Kind mit einer schweren Erkrankung und Behinderung kümmern, verdienen all unsere gesellschaftliche Anerkennung und Unterstützung. In der Diskussion über die PID müssen wir ihre Interessen genauso berücksichtigen wie die Folgen einer Zulassung der PID für die Gesellschaft und für Menschen mit einem speziellen Betreuungsbedarf, die bereits heute mitten unter uns leben. Die vermeintliche Sicherheit, die die PID für betroffene Paare in Aussicht stellt, ist gegen die absehbaren gesellschaftlichen Folgen einer Zulassung der PID abzuwägen.
Monogenetischen Erbkrankheiten, die mittels PID diagnostiziert werden können, führen in der Regel nicht zu einer Fehlgeburt oder zu einem Tod des Kindes in den ersten Lebensjahren. Für viele der Erkrankungen stehen in westeuropäischen Ländern mittlerweile gute Therapie- und Hilfsangebote zur Verfügung, so dass viele der Betroffenen zumindest das Erwachsenenalter erreichen. Durch das Fortschreiten der medizinischen Forschung sind hier auch in den nächsten Jahrzehnten kontinuierliche Verbesserungen zu erwarten. Bei einigen Erkrankungen unterscheidet sich schon heute die Lebenserwartung nicht mehr von der gesunder Menschen. Die PID lässt all diese Aspekte außen vor. Sie erklärt einen (werdenden) Menschen allein aufgrund seiner Veranlagung bereits für nicht erwünscht und nicht lebenswert. Das lehne ich - wie viele meiner MdB-Kollegen auch - ab.
Bei manchen Erkrankungen wie z.B. Mukoviszidose lässt sich zudem vorab schlecht abschätzen, in welcher Stärke sie auftreten werden. Andere Erkrankungen treten erst in späteren Lebensjahren auf, teilweise erst im Erwachsenenalter. Daher ist völlig unklar, was Ärzte und betroffene Paare später einmal als „schwerwiegenden Erkrankung oder Schädigung des Embryos“ auffassen werden, die eine PID zulässig machen könnte. Somit besteht die Gefahr, dass der Anwendungsbereich kontinuierlich ausgeweitet wird.
Zudem ist in den letzten Jahren im Ausland eine stetige Ausweitung der Anwendungen der PID zu beobachten. In Großbritannien wurde die PID bereits durchgeführt, um Embryonen mit einer Disposition für Brustkrebs auszuschließen - obwohl man nie vorhersagen kann, dass die Personen später wirklich einmal an Brustkrebs erkranken werden. In Frankreich wurde vor kurzem zum ersten Mal ein Kind mittels PID danach ausgewählt, ob es später als Gewebespender für seine Geschwister dienen kann. In den USA ist das sog. social sexing erlaubt und etabliert, dass Paaren die Auswahl des Geschlechtes ermöglicht. Dort wie auch in Belgien wurde auch bereits diskutiert, mittels PID die Veranlagung für Fettleibigkeit auszuschließen. Eine solche Ausweitung wäre auch in Deutschland nur eine Frage der Zeit.
Krankheiten und körperliche, psychische oder intellektuelle Beeinträchtigungen sind ein Bestandteil des Lebens und werden dies auch künftig sein. Ich sehe die Gefahr, dass Eltern sich dem Druck ausgesetzt sehen, die PID in Anspruch zu nehmen, um möglichst ein gesundes Kind zur Welt zu bringen. Bereits heute berichten Eltern behinderter Kinder vor dem Hintergrund der Pränataldiagnostik von einem zunehmenden Druck, sich für die Geburt eines behinderten Kindes rechtfertigen zu müssen.
Der Staat ist nach Art. 3 GG verpflichtet, behindertes Leben vor Diskriminierung zu schützen. Dieser Schutzauftrag entspricht auch der UN-Behindertenkonvention, die Deutschland unterzeichnet hat. Wir stehen deshalb in einer gesellschaftlichen Verantwortung für die Akzeptanz und Integration behinderter Menschen und Eltern, die sich bewusst gegen die Möglichkeit des medizinisch Machbaren entscheiden und vielleicht bereits ein Kind mit einer Behinderung haben. Eine Embryonenauswahl allein aufgrund einer Behinderung würde gegen diesen Schutzpflicht verstoßen. Sie würde die Bemühungen um eine größere Akzeptanz von Menschen mit Behinderungen unglaubwürdig machen und liefe dem Wunsch nach Teilhabe, Vielfalt und Inklusion behinderten Lebens zuwider.
Nicht zu vergessen ist auch, dass viele Familien mit behinderten Kindern heute vom Staat und der Gesellschaft immer noch nicht die Unterstützung und Hilfe erhalten, die sie verdienen. Statt den Ausweg in einer Auswahl nach genetischen Qualitätsmerkmalen zu suchen, ist es mein Ziel, Menschen mit schweren Krankheiten und Behinderungen und ihren Angehörigen bestmöglich zu unterstützen und ein weitestgehend normales und gleichberechtigtes Leben zu ermöglichen. Hier ist noch viel zu tun. Es bedarf umfassender gesellschaftlicher Bemühungen im Bereich der Antidiskriminierung und Barrierefreiheit sowie angemessene Maßnahmen zur individuellen Unterstützung zu ermöglichen.
In dieser Abwägung sprechen für mich persönlich die gewichtigeren Gründe gegen die Zulassung der PID und deshalb werde ich für ein generelles Verbot stimmen.
Mit freundlichen Grüßen
Nadine Schön MdB