Frage an Monika Schaal von Heike W. bezüglich Verkehr
Sehr geehrte Frau Dr. Schaal,
zu den ausgehandelten Beteiligungsverträgen zwischen der Stadt Hamburg und Vattenfall bzw. E.on sind mehrere Gutachten erstellt worden. Das Gutachten der Kanzlei Boos, Hummerl & Wegerich ist zu folgenden Ergebnissen gekommen, zu denen ich jeweils eine Frage stelle:
1. Die Mitbestimmung bei der Minderheitsbeteiligung von 25,1% geht nicht über den hierbei üblichen Einfluss hinaus und ist sehr gering. Sehen Sie das auch so?
2. Während der Konzessionsvergabe hat es keine zusätzlichen Verhandlungen mit anderen Unternehmen gegeben. Anderenfalls wären höchstwahrscheinlich bessere Ergebnisse für die Stadt Hamburg erzielt worden. Welche Gründe gab es für den Verzicht auf Verhandlungen mit weiteren Unternehmen?
3. Die Art der Kaufpreisermittlung birgt ein hohes Risiko stark überhöhter Kaufpreise. Wie schätzen Sie das Risiko ein und wie sehen Sie die Möglichkeiten einer späteren Kaufpreisanpassung?
4. Die Garantiedividende, die die Energiekonzerne der Stadt auf den Kaufpreis zahlen, ist zu niedrig bemessen. Sie kann einseitig von den Konzernen gekündigt werden. Bei zu hohem Kaufpreis kann die Stadt den Kredit nicht mehr aus der Gewinnbeteiligung bedienen und müsste aus der Beteiligung aussteigen, wobei die Konzessionen bei den Konzernen verbleiben. Wie beurteilen Sie diese Regelung?
5. Wird z.B. der Volksentscheid gewonnen, wird die Beteiligung beendet und die Stadt erhält nur den Kaufpreis zurück, aber keinen Ausgleich für Inflation oder eine mögliche Wertsteigerung der Unternehmen. Die Stadt könnte außerdem auf einem bereits aufgenommenen und weiter laufenden Kredit sitzen bleiben. Wie beurteilen Sie hier die Risiken für die Stadt Hamburg?
6. Über Dienstleistungsverträge zwischen den Netzgesellschaften und anderen Vattenfall-Töchtern können große Beträge in den Vattenfall-Konzern abgezogen werden. Die Stadt kann dies aber erst nach fünf Jahren überprüfen und beschränken. Wie sehen Sie diese Problematik?
Mit freundlichen Grüßen
Heike Wokon
Sehr geehrte Frau Wokon,
Auf Ihre Fragen möchte ich wie folgt antworten:
zu 1.: In den paritätisch besetzen Aufsichtsräten (50% Arbeitgeber, 50% Arbeitnehmer) aller drei Netzunternehmen besetzt die Konzernholding der Stadt, die Hamburger Gesellschaft für Vermögens- und Beteiligungsmanagement – HGV – die Hälfte der Arbeitgeberbank. Die Mitbestimmungsrechte der HGV beziehen sich auf: Abschluss- und Veränderung von Unternehmensverträgen, Feststellung des Jahresabschlusses und der Gewinnverwendung, Zustimmung zu Maßnahmen nach dem Umwandlungsgesetz, Erlass und Änderungen von Geschäftsordnungen – soweit darin Zustimmungserfordernisse aufgestellt oder geändert werden, Beschlussfassung über den Jährlichen Investitionsplan, die Wahl des Abschlussprüfers, die Zustimmung zu außergewöhnlichen Geschäftsführungsmaßnahmen. Außerdem bestehen Informations- und Prüfungsrechte hinsichtlich der Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung, der Entwicklung der Vermögens- und Ertragslage, der Liquidität und Rentabilität der Gesellschaft, über verlustbringende Geschäfte und die Ursachen von Verlusten sowie über Ursachen eines in der Gewinn- und Verlustrechnung ausgewiesenen Jahresfehlbetrageshaben generell. Darüber hinaus unterliegt der Zustimmung der HGV: Bei der Netzgesellschaft Gas: Investitionen von EUR 500.000,00 oder mehr im Einzelfall; Abschluss, Änderung und Beendigung von Verträgen mit verbundenen Unternehmen, Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen ab einer bestimmten Wertgrenze, Bei der Netzgesellschaft Strom: neben der Investionsplanung, Erwerb von Immobilien und Anlagegegenständen im Wert von mehr als EUR 5 Mio., alle Geschäfte die über den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb hinausgehen (EUR 10 Mio. im Einzelfall oder EUR 30 Mio. in Summe), Bei der Wärmegesellschaft: Eine Reihe von Maßnahmen, soweit sie von den ursprünglich von der Gesellschafterversammlung genehmigten Unternehmensplänen abweichen, z.B.: Erwerb, Belastung oder Veräußerung von Beteiligungen; Stellung von Bürgschaften, Garantien, Patronatserklärungen oder anderer Sicherheiten, wenn der Wert im Einzelfall EUR 10 Mio. übersteigt; Abschluss und Änderung von Miet-, Pacht und anderen Nutzungsüberlassungsverträgen bei Überschreitung bestimmter Wertgrenzen; Erwerb von Grundstücken und grundstücksgleichen Rechten oberhalb eines Kaufpreises von EUR 5 Mio.; Erwerb von Gegenständen des Anlagenvermögens, wenn der Kaufpreis EUR 5 Mio. im Einzelfall oder die Summe der Kaufpreise im Laufe des Geschäftsjahres EUR 25 Mio. übersteigt. Aufsichtsräte haben nur begrenzten Einfluss auf das operative Geschäft. Sie haben vor allem eine Kontrollfunktion. Das gilt auch für die der Netzgesellschaften. Deshalb hat der Senat mit den Konzernen zusätzlich eine Reihe von Zielen und Investitionen für Klimaschutz und Energiewende – u.a. für ein GuD-Kraftwerk für die Fernwärme und die Investition in Speichertechnologien für Erneuerbare Energien – von insgesamt 1,6 Mrd. Euro und deren Unterstützung des „Energiekonzepts für Hamburg“ vereinbart. Hinsichtlich der Investitionsplanungen gilt, dass diese zwischen den Partnern einvernehmlich beschlossen werden müssen. Die FHH kann hier nicht allein entscheiden, aber ohne die Stadt kann auch der Mehrheitsgesellschafter keine Entscheidung treffen. Eine Übertragung von Gesellschaftsanteilen an Dritte ohne ausdrückliche Zustimmung des anderen Partners, ist bis Ende 2017 unzulässig. Danach stehen den Partnern jeweils ein Vorkaufsrecht und ein Mitveräußerungsrecht zu.
Zu 2.: Bei den Verhandlungen mit den beiden Konzernen ging es nicht um die Konzessionen. Die Konzessionen für Strom und Gas müssen entsprechend Gesetz separat ausgeschrieben und diskriminierungsfrei vergeben werden. Das Wegenutzungsrecht für Fernwärme unterliegt nicht diesem Gesetz. Deshalb musste die Stadt beim Sondernutzungsvertrag mit Vattenfall Wärme keine Ausschreibung vornehmen. In den jetzt abgeschlossenen Verträgen ist vereinbart, dass sich die Netzgesellschaften für Strom und Gas jeweils um die Konzessionen bewerben. Sollten Dritte bei der Konzessionsvergabe zum Zuge kommen, werden die Verträge zwischen der Stadt und den Energieversorgern rückabgewickelt. Eine Bindung der Konzessionsvergabe an eine Beteiligung ist nach dem sog. Leitfaden von Bundeskartellamt und Bundesnetzagentur nicht zulässig.
Zu 3.: Die Stadt hat einem Kaufpreisrisiko vorgebeugt. Entsprechend den Verträgen können nach fünf bis sechs Jahren Anpassungen vorgenommen werden, falls erforderlich. Kaufpreisanpassungen für Gas und Fernwärme sind ab 2018 und für Strom ab 2019 vorgesehen. Die Kaufpreisanpassungen sind nach oben und unten begrenzt: für Strom und Fernwärme auf -+/-10%, für Gas auf +/- 20%. Die Höhe der Kaufpreisanpassung war das Ergebnis der Verhandlungen. Ziel einer Deckelung war es, sowohl für die Energieversorgungsunternehmen als auch für die HGV die Folgen einer Kaufpreisanpassung in ihrer Höhe berechenbar zu halten. Die Kaufpreisanpassung kann in beide Richtungen erfolgen: Erweist sich der heute gezahlte Kaufpreis als zu niedrig, muss die HGV die Differenz an die Verkäuferinnen zahlen, im umgekehrten Fall erhält die HGV eine Rückzahlung. Die von der Kanzlei BH&W im Zusammenhang mit der Kritik an der Höhe der Kaufpreisanpassung genannten Vermutungen, nämlich, dass die abgebenden Energienetzbetreiber regelmäßig einen Kaufpreis auf Basis des Sachzeitwertes verlangen und dass es daher naheliege, dass die jetzigen Kaufpreise überhöht seien, trifft auf den hier vorliegenden Fall nicht zu. Den Kaufpreisen lag kein Sachzeitwert, sondern ein nach den Grundsätzen des Standards 1 des IdW ermittelter Ertragswert zugrunde. Schon 10 % bzw. 20% Kaufpreisanpassung sind bei Unternehmensverkäufen nicht üblich und stellen ein gutes Verhandlungsergebnis für die HGV/FHH dar. Ein höherer Prozentsatz würde aus Sicht der FHH auch immer das Risiko zur Folge haben, dass die FHH bei guter Geschäftsentwicklung erhebliche weitere Kaufpreiszahlungen leisten müsste.
Zu 4.: Bei der Garantiedividende handelt es sich nicht um eine Gewinnbeteiligung, sondern um einen festen Zinssatz auf den jeweiligen Kaufpreis der Netze. Die in den Verträgen so genannten Gewinnabführungsverträge (GAV) werden für Gas und Fernwärme bis zum 31.12.2017 und für Strom bis zum 31.12.2018 fest abgeschlossen. Die Stadt erhält aus diesen Verträgen eine garantierte Dividende in gleichbleibender Höhe, unabhängig davon, wie gut oder schlecht das Geschäft im Einzelnen läuft. Für die Strom- und Gasnetzbeteiligung bewegt sie sich im Rahmen dessen, was nach dem Leitfaden von Bundesnetzagentur und Kartellamt für diesen regulierten Energiebereich zulässig ist. Bei der unregulierten Fernwärme ist berücksichtigt worden, dass das Fernwärmegeschäft bei mittelfristig rückläufiger Nachfrage (Erfolg vermehrter Wärmedämmung, Klimawandel!) mit einem betriebswirtschaftlichen Risiko belastet ist. Da dieses Risiko allein vom Fernwärmeversorger getragen wird, muss es sich in der Höhe der an die Stadt zu zahlenden Garantiedividende abbilden. Die Darlehensverträge sind noch nicht geschlossen. Die Finanzierung ist auch noch nicht letztendlich strukturiert, da davon ausgegangen wird, dass die Kaufpreise für die Strom- und Gasnetzgesellschaft erst zum Ende des 2. Quartals, der Kaufpreis für die Fernwärmegesellschaft erst zum Ende des 3. Quartals zu zahlen sein wird. Sollte die Fristigkeit der für die Netzerwerbe aufgenommenen Darlehen wegen vorzeitiger Rückabwicklung der Verträge länger sein als der Mittelzufluss bei der HGV aus der Rückzahlung der Kaufpreise, wird die HGV die ihr zufließende Liquidität im Rahmen ihres mittelfristigen Liquiditätsmanagements anderweitig einsetzen, z.B. zur Vermeidung ansonsten erforderlicherer Kreditaufnahmen für Umschuldungen. Der GAV läuft bis zum 31. Dezember 2017 (Wärme) bzw. bis zum 31. Dezember 2018 (DSO Strom und Gas). Danach kann der GAV gekündigt werden, muss er aber nicht. Wird er nicht gekündigt, läuft er bis zum 31. Dezember 2022 (Wärme) bzw. 31. Dezember 2023 (DSO Strom und Gas), ohne dass Vattenfall/E.ON Hanse den GAV kündigen kann. Damit hat die Stadt eine sehr weitgehende Absicherung erreicht. Garantiedividenden "für die Ewigkeit" sind nicht marktüblich. Sollte der GAV nach fünf Jahren gekündigt werden, kann die HGV/FHH die Zusammenarbeit mit Vattenfall und E.ON Hanse im Grundsatz mit normaler Gewinnverteilung fortsetzen. Das Rückabwicklungsrecht stellt lediglich eine zusätzliche Option für die HGV/FHH dar. Ein Automatismus zwischen einer Kündigung des Gewinnabführungsvertrags und der Rückabwicklung der Beteiligung besteht deshalb keineswegs. Sofern die Energieversorger im Zeitraum von 2018 bis 2022 für Gas und Fernwärme und 2019 bis 2023 für Strom die Gewinnabführungsverträge nicht fortsetzen wollen, hat die Stadt ein einmaliges Rückabwicklungsrecht. Würde die HGV dieses Recht in Anspruch nehmen, verbliebe die Konzession in der Gesellschaft. Die Konzession hängt an der Gesellschaft, nicht an einem Gesellschafter. Da in den Konzessionsverträgen Sonderkündigungsrechte der Stadt vorgesehen sind, beurteile ich das Risiko für die FHH aber als eher gering.
Zu 5.: Da zwischen Kaufpreisaufbringung und Volksentscheid eine Zeitspanne von max. einem Jahr liegt, dürften sich die von ihnen beschriebenen Risiken von Inflations- und/oder Wertausgleichsverlusten bei Rückabwicklung in sehr engen Grenzen halten. Dass die Stadt auf dem von ihr aufgenommenen Kredit „sitzen bleiben“ muss, kann durch entsprechende Gestaltung der Konditionen im Kreditvertrag vermieden werden (plus fristenkongruentes Liquiditätsmanagement siehe unter 4.).
Zu 6.: Die bei der Ausarbeitung der Verträge beauftragten Wirtschaftsprüfer haben nicht feststellen können, dass bestehende Dienstleistungsverträge zwischen Konzern-Müttern und Netz-Töchtern missbräuchlich zum Abzug von Kapital genutzt worden sind. Bei der Berechnung des Kaufpreises ist von der Angemessenheit der Entgelte ausgegangen worden. Wenn nach fünf Jahren der Vertrag endet und durch einen neuen ersetzt werden muss, kann die Stadt die Angemessenheit der Dienstleistungsentgelte erneut überprüfen. Würde dann eine Unangemessenheit etwa in Form überhöhter marktunüblicher Entgelte festgestellt, kann die Stadt eine entsprechende Anpassung verlangen. Im Übrigen sind die Dienstleistungsverträge nicht einseitig gestaltet und beinhalten sowohl bezogene als auch erbrachte Dienstleistungen: Im Jahr 2010 betrug der prozentuale Anteil der Dienstleistungsaufwendungen bei der Hamburg Netz GmbH (Gas) rund 47% der Umsatzerlöse in Höhe von 148,7 Mio. Euro. Durch die geplante Übertragung des Technischen Netzservice Hamburg auf die HHNG im Jahr 2012 wird sich der Anteil der Betriebsführungsaufwendungen als Bestandteil der Dienstleistungsaufwendungen verringern. Aufgrund einer entsprechenden Erhöhung anderer Kostenpositionen der Gesellschaft hat dies keine Auswirkungen auf das Gesamtergebnis. Die Stromnetzgesellschaft hat im Geschäftsjahr 2010 konzerninterne Dienstleistungen im Umfang von 230 Mio. Euro bezogen und im Umfang von ca. 300 Mio. Euro erbracht. Beide Angaben beinhalten auch die Aufwendungen für die Aufnahme und Vermarktung von EEG- und KWKG-Strom. Bezogen auf die Umsatzerlöse 2010 von ca. 516 Mio. Euro ergibt sich für die bezogenen Dienstleistungen eine Quote von rd. 45%, für die erbrachten Dienstleistungen eine Quote von rd. 58%. Bezogen auf die Umsatzerlöse 2010 der Wärmegesellschaft in Höhe von ca. 448 Mio. Euro ergibt sich für bezogene konzerninterne Leistungen eine Quote von 31,5%, für erbrachte konzerninterne Leistungen eine Quote von 47,3%.
Leider ist die Antwort zunächst nicht übermittelt worden, was mir jetzt erst auffiel. Entschuldigung.
Monika Schaal