Frage an Monika Hohlmeier von Dieter S.
Sehr geehrte frau Hohlmeier,
ist es zutreffend, dass vor kurzem im Europaparlement eine neue Asylregelung beschlossen wurde. Diese Regelung ermöglicht Asylbewerbern, die behaupten bereits in Deutschland Verwandte zu haben, die Einreise nach Deutschland. In einer namentlichen haben angeblich 20 Unionsabgeordnete, darunter auch Sie, dieser neuen Regelung zugestimmt.
Sind diese Angaben zutreffend?
Für eine baldige Antwort wäre ich dankbar.
Mit freundlichen Grüßen
D. S.
Seit 26 Jahren Mitglied der CSU
Sehr geehrter Herr S.,
entschuldigen Sie, dass eine zeitnahe Beantwortung Ihrer Anfrage nicht möglich war. Wir erhalten stets eine Vielzahl an Bürgeranfragen, von denen wir jede einzelne sehr ernst nehmen. Dies führt jedoch auch dazu, dass die Beantwortung manchmal leider länger dauert, als wir uns das wünschen.
Mit freundlichen Grüßen
i.A. Julia Storkenmaier
Frau Hohlmeiers Antwortschreiben auf Ihre Anfrage finden Sie unten stehend.
Sehr geehrter Herr Schmidt,
diverse Meldungen zur Dublin Reform haben in den letzten Wochen für Wirbel gesorgt. Leider waren viele Darstellungen und Behauptungen irreführend und so manches Mal sogar völlig neben der tatsächlichen Faktenlage. Deshalb darf Ihnen die tatsächliche Situation und Faktenlage in Rahmen des Diskussions- und Entscheidungsprozesses im Europäischen Parlament aufzeigen und Falschmeldungen klarstellen.
1. Das Hauptanliegen unserer politischen Bemühungen in der Flucht- und Migrationsproblematik liegt auf Behebung potentieller oder bereits eingetretener Fluchtursachen und somit dem Entstehen von Migranten- und Flüchtlingsströme nach Europa entgegenwirken. Dafür setzen sich die CDU/CSU-Europagruppe und auch meine EVP- Fraktion ein. Erst im September letzten Jahres hat die EU eine Verordnung zur Einrichtung eines Europäischen Fonds für nachhaltige Entwicklung („EFSD“) angenommen. Hauptziel dieser Investitionsoffensive ist es, ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum anzukurbeln und eine der Ursachen von Migration insbesondere in den Krisengebieten und ihren Nachbarländern auf dem afrikanischen Kontinent zu bekämpfen. Darüber hinaus hat die EU ihre Unterstützung für Jordanien und den Libanon seit Ausbruch der Syrienkrise massiv erhöht. 4,7 Mrd. Euro wurden an humanitärer, Entwicklungs-, Wirtschafts- und Stabilisierungshilfe zur Verfügung gestellt. Denn allein die beiden direkt an Syrien grenzenden Staaten, der Libanon und Jordanien, haben rund 1,7 Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen, was etwa einem Fünftel ihrer Bevölkerung entspricht. Im Rahmen des EU-Treuhandfonds für Afrika wurde bisher eine Gesamtmittelausstattung von 2,5 Mrd. EUR genehmigt. Erst diesen März hat die EU die zweite Tranche der Fazilität für Flüchtlinge in der Türkei in Höhe von 3 Milliarden EUR freigegeben.
2. Bereits aus diesem Grund wird die Bedeutung der Reform der Dublin-Verordnung in der deutschen Medienlandschaft in eher überzogener Weise dargestellt. Das Problem der Migrationsströme kann eine Reform der Dublin-Verordnung nicht lösen. Denn diese regelt lediglich, welcher der vielen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union für die Bearbeitung eines Asylantrages zuständig ist. Sie regelt nicht, wer als Flüchtling einzustufen ist, wie die Unterbringung und Versorgung aussehen soll, welche Standards im Rahmen der Asylverfahren in den Mitgliedsstaaten einzuhalten sind oder wie eine effiziente Registrierung an den europäischen Außengrenzen durchgesetzt werden kann. Diese und noch viele mehr sind für die europäische Asyl- und Migrationspolitik bedeutende Fragen, die aber nicht von der Dublin-Verordnung, sondern von anderen Regelungen erfasst werden.
3. Zudem ist die Überarbeitung der Dublin Verordnung auf EU-Ebene bei weitem nicht abgeschlossen. Eine neue Dublin IV-Verordnung gibt es noch nicht. Vielmehr befindet sich die Europäische Union derzeit noch mitten im Gesetzgebungsverfahren, also in den Verhandlungen. Endgültige Beschlüsse gibt es nicht. Nur durch eine mehrheitliche Entscheidung über einen Bericht in einem Ausschuss des Europäischen Parlaments ist das Gesetzgebungsverfahren auf EU-Ebene noch lange nicht beendet. Denn Gesetzgebung auf europäischer Ebene erfolgt innerhalb eines institutionellen Dreiecks. Neben dem Europäischen Parlament sind auch die Kommission und der Ministerrat („Rat“) beteiligt. Im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens (Artikel 294 AEUV) verfasst die Kommission einen Gesetzesvorschlag. Im Parlament gelangt der Vorschlag dann in den zuständigen Ausschuss, der über einen, von einem Berichterstatter erstellten Bericht und über die dazugestellten Änderungsanträge, mehrheitlich entscheidet. Dieser Bericht stellt eine Verhandlungsposition dar, mit der der Berichterstatter des Ausschusses dem Rat, vertreten durch die Ratspräsidentschaft gegenübertritt. Umso knapper die mehrheitlichen Entscheidungen im Ausschuss waren, umso schwächer ist das Verhandlungsmandat des Berichterstatters dahingehend, diese Position beim Rat einfordern und durchsetzen zu können. Wurde etwa ein von mir gestellter Änderungsantrag nur mit knapper Mehrheit im Ausschuss abgelehnt, so ist es durchaus möglich, dass sich der von mir gestellte Änderungsantrag bei den Verhandlungen mit dem Rat durchsetzen kann. Ebenso ist es auch anders herum möglich, dass ein Änderungsantrag der S&D, der im Ausschuss mit geringer Mehrheit gewählt wurde, sich bei den Verhandlungen mit dem Rat nicht durchsetzen kann. Das heißt, wir wissen bereits jetzt, dass das Endergebnis einer neuen Dublin-Verordnung gerade angesichts der sehr unterschiedlichen Meinungen ganz anders als das mehrheitliche Meinungsbild im Ausschuss aussehen wird. Ein Teil der Abgeordneten, wie z.B. ich, hat zu bestimmten Passagen der EP-Verhandlungsposition eine ganz andere Meinung und bringe diese nun gegenüber den Vertretern der Mitgliedsstaaten persönlich zum Ausdruck.
Wir konnten im Ausschuss aber bereits verhindern, dass sehr extreme Änderungsanträge von GUE, S&D sowie ALDE und anderen Abgeordneten sich durchsetzen konnten.
Die Dublin-Verordnung regelt nur die Familienzusammenführung in der EU und nicht wie fälschlich öffentlich behauptet den Familiennachzug aus Drittstaaten. Die EU-Regelungen zum Familiennachzug aus Drittstaaten ist deutlich strenger als das Aufenthaltsgesetz in Deutschland. Die EU sieht einen Familiennachzug nur für Flüchtlinge und nicht für subsidiär Geschützte (z.B. Bürgerkriegsflüchtlinge) vor. Bei dieser Regelung ist keine Reform vorgesehen.
Bei der Abstimmung zur Dublin-Verordnung im Ausschuss konnten wir insbesondere bei der Begriffsbestimmung von Familienangehörigen eine extreme Ausweitung verhindern. So regelt Artikel 2 des Entwurfs der neuen Dublin-Verordnung wer „Familienangehöriger“ im Sinne der Vorschrift ist. Während der Kommissionsentwurf für mich nachvollziehbar minderjährige Kinder von Ehepaaren als Familienangehörige definiert, beantragte die Fraktion der Grünen im EP, aber auch Abgeordnete der Linken wie die deutsche Abgeordnete Cornelia Ernst, dass auch volljährige Kinder erfasst sein sollten. Eine derartige Regelung wäre viel zu weitgehend und wurde auch mit unseren Stimmen abgelehnt.
Leider sieht der Vorschlag der Kommission den Begriff Geschwister vor, ohne dies auf Minderjährige einzugrenzen. Auch dies ist meiner Ansicht nach viel zu weitreichend und wird in den Verhandlungen mit dem Rat hoffentlich keinen Bestand haben.
Artikel 15 des Kommissionsentwurfs zur neuen Dublin Verordnung regelt die Zuständigkeit von Mitgliedsstaaten für das Asylverfahren. Bis jetzt gilt das Prinzip des Ersteinreisestaats. Einige Abgeordnete beantragten im Ausschuss, dass nicht der Mitgliedsstaat der Ersteinreise zuständig sein soll, sondern derjenige Mitgliedsstaat, in dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz stellt, sodass die Überbelastung Deutschlands, Schwedens und Luxemburgs als beliebteste Zieldestinationen noch verstärkt würde. In dem Bericht des Ausschusses ist nun ein fairer Lastenausgleich zwischen den Mitgliedsstaaten vorgesehen. Es sollen also Personen, die höchstwahrscheinlich asylberechtigt sind, fair zwischen den Mitgliedsstaaten verteilt werden. Der von der Berichterstatterin gewählte Modus der Umverteilung entspricht zwar nicht genau den Vorstellungen der EVP oder CDU/CSU- Europagruppe, aber er stellt einen Verhandlungsansatz dar. Von einer solchen Umverteilung werden jedoch Wirtschaftsmigranten über eine Zulässigkeitsprüfung ausgeschlossen. Hier bleibt das Ersteinreisland zuständig. Ziel ist es, die Wirtschaftsmigranten sofort wieder zurückzuführen.
Bei den Sicherheitsgefährdern konnte ich mich mit meinem Änderungsantrag zu Artikel 7 durchsetzen. Wenn beim Gespräch mit dem Antragsteller Indizien auftreten, die den Schluss zulassen, dass der Antragsteller in Terrorismus oder organisierte Kriminalität verwickelt sein könnte, sind nunmehr die zuständigen Sicherheitsbehörden und Europol zu involvieren. Mögliche Gefährder müssen so frühzeitig wie möglich identifiziert und abgeschoben werden.
4. Trotz des noch vorläufigen Charakters des im Ausschuss abgestimmten Berichts, bin ich also mit einigen der gefundenen Regelungen zufrieden, mit anderen nicht. So ist es der EVP-
Fraktion erstmals gelungen, eine Regelung durchzusetzen, dass Mitgliedsstaaten, die ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Registrierung nicht nachkommen und die Aufnahme von Flüchtlingen generell verweigern, finanziell sanktioniert werden, zumal oftmals über sie die Flüchtlinge und Migranten unkontrolliert nach Deutschland oder Schweden gelangen. Wir haben es geschafft, einen Korrekturmechanismus einzuführen, bei dem ein Asylbewerber, sofern er falsche Angaben macht oder seiner Pflicht, sich im Ersteinreiseland zu registrieren, nicht nachkommt, automatisch einem anderen als seinem Wunschmitgliedsstaat zugewiesen wird. Persönlich wäre mir bei der Lastenverteilung eine Regelung lieber, nach der die Umverteilung erst dann einsetzt, wenn eine Überlastung des Ersteinreisestaates eintritt. Über alle Artikel wird jedoch im Trilog zwischen Rat, Europäischem Parlament und Kommission nochmals intensiv diskutiert und beraten werden. Wie bereits dargestellt, wird ein Endergebnis der Verhandlungen ganz anders aussehen als derzeitige Ausschussbericht.
Leider sehen sich etliche Abgeordnete derzeit mit vielen öffentlichen Fehlinterpretationen und Fake News der AFD oder willkürlichen Falschmeldungen von links- oder rechtsradikalen Gruppen zur Dublin Reform konfrontiert, was die Darstellung der ohnehin komplizierten Materie erschwert. Je komplizierter eine Sachlage ist, desto leichter tun sich Denunzianten oder Falschinformanten. Ist erst einmal eine Fehlmeldung lanciert, dann ist sie auch schon millionenfach verbreitet. Missverständnisse sind in letzter Zeit insbesondere bei dahingehend aufgetreten, dass die Behauptung eines Verwandtschaftsverhältnisses genüge, um eine Familienzusammenführung durchzuführen.
Die Behauptung eines Verwandtschaftsverhältnisses ist nicht ausreichend
Die Behauptung eines Verwandtschaftsverhältnisses ist auch nach dem, im Parlament mehrheitlich verabschiedeten Berichtsentwurf nicht ausreichend, um eine Familienzusammenführung innerhalb der EU durchzuführen. Dies wurde etwa von Spiegel Online fälschlicherweise behauptet. Die Journalisten beziehen sich dabei auf den im Ausschuss entgegen meiner Stimme angenommenen Änderungsantrag, der in dem Bericht zu der Einführung eines neuen Artikel 24a führte. Zwar wird danach das Verfahren für die Bestimmung des für die Bearbeitung des Asylantrags zuständigen Mitgliedsstaates dadurch eingeleitet, dass der Antragsteller behaupten kann, in einem anderen Mitgliedsstaat Familienangehörige zu haben. Jedoch muss diese Behauptung von den Mitgliedsstaaten verifiziert werden. Dies bedeutet, dass der Asylbewerber Pässe oder andere Dokumente vorlegen muss, die die angebliche Familienzugehörigkeit nachweisen. Bei dieser Verifizierung müssen sich die Behörden der beiden betroffenen Mitgliedsstaates gegenseitig unterstützen. Das heißt, dass der aufnehmende und der abgebende Mitgliedsstaat an der Prüfung beteiligt sind und nicht nur der abgebende. Bei Unklarheit wird nicht zusammengeführt.
Mit freundlichen Grüßen
Monika Hohlmeier