Frage an Monika Heinold von Kai D. bezüglich Kultur
Als ehemals überzeugter Wähler der Grünen würde mich interessieren, wie es mit weiteren Kriegen aussieht. Hat es die Grünen da gejuckt, auch mal am Hebel des Tötens zu sitzen, oder wie sind bisherige Entscheidungen im Gegensatz zu früheren Verlautbarungenen zu erklären?
Desweiteren interessiert mich die Antwort der Grünen zum EU-Beitritt der Türkei. Eine Nation, die foltert...die sich glaubensmäßig stark vom Westen separiert, in der Frauen nichts gelten...
...in der Andersdenkende nichts gelten.
Dies soll eine Nation der EU werden?
Ist das Meinung der Grünen?
Ich würde mich über eine zügige Antwort freuen.
Mit freundlichem Gruß,
Kai Denz
Sehr geehrter Herr Denz,
Ich stehe zur Außenpolitik von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und glaube, dass wir mit Außenminister Fischer einen ausgesprochen kompetenten Minister haben, welcher sehr genau abwägt, wann und wo Auslandseinsätze notwendig sind. Ich bin sehr froh, dass sich meine Partei und die Bundesregierung insgesamt gegen eine Beteiligung am Irak-Krieg entschieden hat.
Zur Frage der EU hier die Position meiner Partei:
EU und die Türkei:
Bündnis 90/ Die Grünen setzen sich für eine Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union ein. Deshalb unterstützen wir den Beginn von Beitrittsverhandlungen im Herbst dieses Jahres. Wie für jedes andere Land gelten für eine Mitgliedschaft bestimmte Bedingungen. Sie wurden von den Regierungschefs der damaligen EU-Mitgliedstaaten 1993 in Kopenhagen beschlossen. Auch alle dreizehn neu aufgenommenen Mitgliedstaaten seitdem haben sie erfüllt - von Estland bis Zypern.
Diese Kriterien verlangen:
Demokratie und Rechtsstaat als gelebte und verlässliche Praxis, die Garantie der Menschenrechte und des Schutzes von Minderheiten. Funktionierende Marktwirtschaft und die Fähigkeit, am EU-Binnenmarkt teilzunehmen, ohne dass die Wirtschaft des Landes zusammenbricht. Übernahme des gemeinschaftlichen EU-Regelwerks, des sogenannten "acquis communitaire", also der Verfahren und gesetzlichen Standards, die in allen EU-Mitgliedstaaten gelten. Neben diesen Bedingungen für neue Mitglieder gilt allerdings auch: die EU selbst muss beitrittsfähig sein. Sie muss ihre Institutionen und ihre Entscheidungsprozesse der Zahl der Mitglieder entsprechend reformieren. Und sie muss die Verwendung ihrer Haushaltsmittel auf die Anforderungen und Möglichkeiten der größeren Mitgliederzahl hin überprüfen und korrigieren.
Natürlich können nicht alle "Kopenhagener Kriterien" von vornherein und gleichzeitig erfüllt werden. Besonders die ökonomische Leistungsfähigkeit, die gesetzlichen Normen, die die Wirtschaft erfüllen muss, der Apparat an Gesetzen und Verordnungen, der eingeführt und umgesetzt werden muss, bedürfen einer mehr oder weniger langen Einführungszeit. Aber die Erfüllung eines Teils der Kriterien ist Voraussetzung schon für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen: die Menschen- und Minderheitenrechte, Demokratie und Rechtsstaat. Diese Forderung ist nicht verhandelbar, es gibt keine Ausnahme. Darüber sind sich auch all jene politischen Kräfte in Europa einig, die den Beitritt der Türkei befürworten.
Um diese Bedingungen zu erfüllen, müssen in der Türkei umfangreiche Reformen durchgesetzt werden. Die gegenwärtige Regierung hat sich dazu verpflichtet, und sie wird von einer Mehrheit in der Gesellschaft darin unterstützt. Solche Reformen betreffen vor allem das Strafrecht, das Gerichtswesen, die Pressefreiheit und nicht zuletzt die Rechte von Minderheiten - ethnische Gruppen wie die Kurden und Armenier, religiöse Gruppen wie die Alawiten, Christen und Juden. Die Liste der Reformen ist umfangreich und kann hier nicht vollständig wiedergegeben werden. Vor allem aber besteht natürlich ein Unterschied zwischen der Verabschiedung von Gesetzen und ihrer Durchsetzung. Grund dafür ist nicht nur die Bürokratie, sondern auch Widerstand in vielen Institutionen: Polizei, Justiz, Armee, einigen Ministerien und nicht zuletzt den Verwaltungsapparaten der Provinzen. Politischen Urteile gegen Journalisten, Folter in den Gefängnissen und Polizeidienststellen, Behinderungen der kurdischen Sprache oder der freien Diskussion über den Völkermord an den Armeniern 1915 muss auch in Zukunft entschieden entgegengetreten werden.
Die Umsetzung der politischen Reformen ist ein langwieriger und innenpolitisch riskanter Prozess. Viele Menschen in der Türkei haben jedoch erkannt, dass ohne diese Reformen die Modernisierung der türkischen Gesellschaft und des türkischen Staates nicht möglich ist. Die Perspektive einer Mitgliedschaft in der EU ist ein starkes Motiv für die Reformkräfte und ihre gesellschaftliche Basis. Die Bedingungen der EU stoßen seit vielen Jahren auf Ablehnung bei wichtigen politischen Kräften in der Türkei. Aber die derzeitige Regierung des religiös-konservativen Ministerpräsidenten Erdogan hat erkannt, dass nur die EU-Perspektive eine dauerhafte Zukunft für eine moderne, der Globalisierung und ihren Folgen gewachsene Türkei ermöglicht.
Die heutige Türkei ist nicht beitrittsfähig. Nur bei erfolgreichen Reformen in der Türkei und bei einer ebenso erfolgreichen wirtschaftlichen Entwicklung dort wird die EU-Mitgliedschaft am Ende des Verhandlungsprozesses stehen können. Es wird mit einem Zeitraum von 10 bis 15 Jahren gerechnet. Der Beginn von Verhandlungen soll also nicht zuletzt die Anerkennung der bisherigen Reformbemühungen markieren und gleichzeitig Zielpunkte für die weitere Entwicklung setzen. Dadurch werden die Reformkräfte gestärkt und ermutigt.
Wir sind davon überzeugt, dass eine Mitgliedschaft der Türkei auch für Deutschland und die EU als Ganzes einen Gewinn an Sicherheit und Stabilität bringen würde. Eine EU-Mitgliedschaft der Türkei kann dazu beitragen, in Ländern mit überwiegend islamischer Bevölkerung universelle Werte stärker zur Geltung zu bringen. Zudem erwarten wir uns von einem Beitritt der Türkei positive Effekte für die deutsche Wirtschaft und somit mehr Arbeitsplätze. Schon die Osterweiterung des vergangenen Jahres hat gezeigt, dass der Arbeitsplatzsaldo in Deutschland, soweit er darauf zurückzuführen ist, positiv ausfällt.
Mit freundlichen Grüßen
Monika Heinold
Direktkandidatin im Wahlkreis 8