Frage an Misbah Khan von Petra M. bezüglich Gesundheit
Wie stehen Sie zur Pflegereform und was gedenken sie gegen den Pflegenotstand zu unternehmen?
Sehr geehrte Frau M.,
vielen Dank für die interessante Frage.
Gesundheitspolitik ist meiner Meinung nach eine zentrale Säule unserer Gesellschaft. Ich bin der Meinung, dass wir verstärkt wertschätzen sollten, welche enorme Leistung von viel zu wenigen Menschen im Gesundheits- und Pflegesektor für wenig Geld geleistet wird. Das vorweg. Das liegt denke ich auch daran, dass Pflegearbeiten immer noch zu wenig als „echte“ Arbeit gesehen werden, was auch an der Tradition liegt, diese gesellschaftlich elementaren Aufgaben Frauen unbezahlt aufzubürden werden. Insbesondere werden Angestellte in der Pflege schlechter als vergleichbare „Männerberufe“ bezahlt. Weil sich an dieser konservativen Grundhaltung (von konservativen Regierungen) lange nicht gerüttelt wurde, beginnen wir jetzt erst viel zu spät, konstruktiv und professionell die Themen Gesundheitserhaltung, Medizin und Pflege zu besprechen. Gesundheit und Pflege sind Teil der Daseinsvorsorge. Die Patientinnen und Patienten gehören in den Mittelpunkt, an ihren Bedürfnissen muss sich die Versorgung ausrichten. Wir wollen eine qualitativ hochwertige, wohnortnahe Versorgung unabhängig von Alter, Einkommen, Geschlecht, Herkunft und Behinderung sicherstellen sowie regionale Über- und Unterversorgung gleichermaßen korrigieren.
Ich denke, dass man einem Pflegenotstand mit mehr Akzeptanz, fairerer Bezahlung, besseren Arbeitsbedingungen und mehr Personaleinplanung entgegen arbeiten kann. Das alles bedeutet höhere Kosten, die zum Teil zum Beispiel durch eine fairere Vereinheitlichung des Gesundheitssystems ausgeglichen werden können und zum anderen aber einfach von einer solidarischen Gesellschaft geleistet werden müssen. Aktuellerleben wir heute in Deutschland eine Zwei-Klassen-Medizin. Gesetzlich Versicherte bekommen später einen Termin bei Fachärztin oder Facharzt als privat Versicherte. In der privaten Krankenversicherung (PKV) zahlen Alte und Kranke mehr als Junge und Gesunde. Oft sind Versicherte durch die hohen Beiträge in der PKV schnell überfordert. Gleichzeitig werden viele Gutverdienende in der PKV nicht an der Solidarität mit den sozial Benachteiligten beteiligt. Das übernehmen die gesetzlich Versicherten, also vor allem die mit geringen und mittleren Einkommen. Ein solches System ist ungerecht und nicht solidarisch.
Wir GRÜNE wollen die gesetzliche und private Krankenversicherung zu einer BürgerInnenversicherung weiterentwickeln. Alle BürgerInnen, auch BeamtInnen, Selbständige und Gutverdienende, beteiligen sich. Auf Aktiengewinne und Kapitaleinkünfte werden ebenfalls Beiträge erhoben. ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen übernehmen wieder jeweils die Hälfte des Beitrags und die bisher allein von den ArbeitnehmerInnen getragenen Zusatzbeiträge werden wieder abgeschafft. Bei den Arzthonoraren soll nicht mehr zwischen gesetzlich und privat Versicherten unterschieden werden. Zuzahlungen für Medikamente und andere Selbstbeteiligungen wollen wir abschaffen. Mit der BürgerInnenversicherung wäre Gesundheit stabil, zukunftsfest und fair finanziert und alle Kassen würden auf Grundlage eines weniger manipulationsanfälligen Risikoausgleichs um die beste Versorgung konkurrieren. Schließlich wollen wir auch die Pflegeversicherung zu einer BürgerInnenversicherung machen und so langfristig ausreichend finanzieren.
Pflegerinnen und Pfleger müssen besser bezahlt werden. Durch ausreichendes Personal wollen wir Überlastung vermeiden. Der Pflegeberuf muss aufgewertet und die Arbeitsbedingungen verbessert werden. Eine gemeinsame Pflegeausbildung ist dabei ein wichtiger Schritt. Dabei muss sichergestellt sein, dass das Ziel ohne Verlust bisher bestehender spezifischer Kompetenzen und ohne Verlust von Ausbildungskapazitäten erreicht werden kann. Und wir treten in den Dialog mit den AkteurInnen in der Pflege über neue Wege, die Qualität in der Pflege zu sichern, zum Beispiel auch mit einem unabhängigen Institut für Qualität in der Pflege. Zu einer guten Pflege gehört auch, Sterbenden ein Lebensende in Würde zu ermöglichen. Einen wichtigen Beitrag hierfür leisten die Hospizbewegung und die Palliativversorgung, deren Rahmenbedingungen wir verbessern wollen.
Gute Versorgung erfordert ausreichendes Personal. Dazu setzen wir uns für bundesweit verbindliche Bemessungsinstrumente bei den Personalbesetzungen in der Pflege ein. Ebensolche Regelungen braucht es in der Altenpflege. Um die Qualität der Versorgung zu verbessern, streben wir auch bei Berufsgruppen wie Hebammen und EntbindungspflegerInnen im Krankenhaus Regelungen für eine ausreichende Personalbesetzung an. Die Geburtshilfe wollen wir stärken und insbesondere bei angestellten und freiberuflichen Hebammen und EntbindungspflegerInnen für eine bessere Vergütung sorgen. Freiberufliche Hebammen brauchen eine dauerhafte Lösung für die hohen Beiträge der Haftpflichtversicherung. Hierfür wollen wir eine gesetzliche Haftpflichtversicherung für Hebammen und die anderen Gesundheitsberufe.Wir setzen uns ein für eine gute, zahlenmäßig ausreichende und kostenlose Ausbildung aller Gesundheitsberufe. Zudem wollen wir die PsychotherapeutInnenausbildung reformieren, auch um eine angemessene Ausbildungsvergütung zu ermöglichen. Es ist wichtig, eine bessere Mitspracherechte für die Pflege- und die anderen Gesundheitsberufe in den Gremien der Selbstverwaltung zu ermöglichen, damit sie mit ihren Erfahrungen und ihrem Wissen zu einer guten Weiterentwicklung des Pflege- und Gesundheitssystems beitragen können. Es bedarf zusätzlicher Ausbildungsplätze für die Gesundheitsberufe an Hochschulen und Universitäten, auch für Ärztinnen und Ärzte. Zur Finanzierung müssen Bund und Länder zusammenarbeiten. Mit einer Reform wollen wir Qualität verbessern, Fehlanreizen zur Leistungsausdehnung entgegenwirken und die Investitionsfinanzierung auf die Schultern von Ländern und Krankenkassen verteilt neu aufstellen.
Ich wünsche mir eine Stärkung der Tarifautonomie und ergänzend zu den einzelnen Tarifverträgen eine Mindestausbildungsvergütung. Gleichzeitig setzen wir uns dafür ein, dass die Berufsausbildungsbeihilfe einfacher in Anspruch genommen werden kann und sich die Höhe realistisch an den Lebenshaltungskosten orientiert. Um Mobilität während der Ausbildung zu garantieren, setzen wir uns für ein kostengünstiges Auszubildendenticket ein. Dadurch entstehen endlich bessere Bedingungen für den Fachkräftenachwuchs und diese gesellschaftlich zentrale Branche wird aufgewertet.
Ebenso wollen wir die Wohn- und Pflegesituation für die Bewohnerinnen und Bewohner in den bestehenden Einrichtungen deutlich verbessern. Beim Aufbau von Hilfenetzen wollen wir die Kommunen unterstützen und ihnen mehr Rechte geben, selbst aktiv zu werden. Wir wollen, dass die Angebote vor Ort Familien und Mitarbeiter entlasten und dass auch Menschen mit kleiner Rente die Hilfe bekommen, die sie brauchen. Damit pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen das für sie passende Angebot finden, schaffen wir einen Rechtsanspruch auf unabhängige Beratung durch FallmanagerInnen. Menschen, die Verwandte oder Freundinnen und Freunde pflegen, wollen wir darüber hinaus besser unterstützen. Dafür schlagen wir die dreimonatige PflegeZeit Plus und jährlich zehn Tage für akute Notsituationen vor. Pflegende erhalten eine Lohnersatzleistung und werden von der Arbeit freigestellt.
Heute noch leisten pflegende Angehörige einen sehr hohen Anteil an der Pflege und Sorgearbeit. Auch aufgrund des demografischen Wandels wird dieses Potenzial zukünftig weniger werden. Ein verlässliches Wohn- und Pflegeangebot, bei Bedarf auch „rund um die Uhr“, ist immer stärker gefragt. Statt weiterer Großeinrichtungen setzen wir dabei auf einen umfassenden Ausbau an ambulanten Wohn- und Pflegeformen. Notwendig sind auch Tages-, Nacht- und Kurzzeitpflege sowie Einrichtungen wie Quartierstützpunkte oder Nachbarschaftszentren, die auch „rund um die Uhr“ eine Pflege und Unterstützung sichern. Dabei müssen die unterschiedlichen kulturellen, religiösen, sexuellen oder geschlechtsspezifischen Identitäten der Menschen Eingang in die Gestaltung der sozialen Infrastruktur und Pflegekonzepte vor Ort finden. Für Kinderbetreuung, Pflege und Weiterbildung soll es möglich sein, finanziell abgesichert die Arbeitszeit zu reduzieren.
In Bezug auf die Pflegereform finde ich wichtig, dass der Begriff der Pflegebedürftigkeit mit der neuen Pflegereform erweitert wird und geistige und psychische Einschränkungen stärker berücksichtigt werden. Wie wir uns konkrete Reformen vorstellen würden, habe ich in den letzten Absätzen dargelegt – die jetzige Große Koalition wird hingegen nicht in der Lage sein, die drängenden Probleme wirklich anzugehen und mit ihrer Flickschusterei in den Reformen den Angestellten in der Pflege nur zusätzliche Mehrarbeit schaffen.
Alle, die hier leben, sollen sich verwirklichen und selbstbestimmt leben können, wenn der alleinerziehende Krankenpfleger es sich leisten kann, Pflegemanagement zu studieren, wenn der schwerhörige Junge zusammen mit den Nachbarskindern in der Schule um die Ecke lernt und seinen Traum einer Ausbildung als Altenpfleger erfüllen kann und die aus Syrien nach Deutschland geflüchtete Frau Medizin studiert, dann haben wir viel erreicht. Dann sind wir unserem Ziel, allen Menschen in Deutschland eine Chance auf ein gutes Leben zu ermöglichen, ein gutes Stück näher gekommen.
Ich wünsche Ihnen alles Gute und hoffe, dass Sie an der Bundestagswahl teilnehmen werden. Wenn ich Sie mit meinen Vorstellungen überzeugen konnte, würde ich mich freuen, wenn sie am 24.09. eine GRÜNE Zweitstimme für gute und moderne Pflege im 21. Jahrhundert abgeben würden!
Mit den besten Wünschen,
Misbah Khan