Frage an Mike Nagler von Matthias M. bezüglich Tourismus
Werden Sie sich dafür einsetzen, dass die Bundeswasserstraße „Saale – Leipzig – Kanal“ (Elster-Saale-Kanal) fertig gestellt wird und somit die Hafen Leipzig - Lindenau eine Funktion erhält?
Werden Sie sich dafür einsetzen, dass für die Leipziger Fliessgewässer eine Schiffbarkeitserklärung erfolgt und somit mit Motorbooten bis ins „Leipziger – Neuseenland“ gefahren werden kann?
Sehr geehrter Herr Malok,
zunächst bitte ich um Verständnis, dass ich Sie mit meiner Antwort ein paar Tage habe warten lassen. Ich bin derzeit im Wahlkampf täglich unterwegs und komme meist erst am späten Abend dazu mich um die Beantwortung von Anfragen zu kümmern. Nun zu Ihren Fragen:
1. Werden Sie sich dafür einsetzen, dass die Bundeswasserstraße "Saale -
Leipzig - Kanal" (Elster-Saale-Kanal) fertig gestellt wird und somit die
Hafen Leipzig - Lindenau eine Funktion erhält?
Auch wenn Teile der Stadtratsfraktion der Linken und Ordnungsbürgermeister Heiko Rosenthal hier anderer Meinung sind und den Elster-Saale-Kanal unbedingt und baldmöglichst wollen, so bin ich in diesem Punkt anderer Meinung. Für mich hat dieses Großprojekt nicht nur keine Priorität, ich stehe ihm auch generell kritisch gegenüber. Der Grund dafür ist ganz einfach: Aufwand und Nutzen stehen hier einfach in einem krassen Missverhältnis.
Gewiss, es existiert eine „Touristische Potenzialanalyse“ inklusive „Betrachtung der Grobvarianten der Trassen des Projektes Anbindung des Elster-Saale-Kanals an die Saale für das Gebiet der sächsischen und sachsen-anhaltinischen Kommunen und Landkreise“, aber die Zahlen dieser „Analyse“ - das Wort gehört in diesem Fall tatsächlich in Anführungszeichen - sind bei genauerem Hinschauen nichts als Wunschträume von (männlichen) Motorbootenthusiasten. Da geht man schon mal von ein paar hundert Kanal-Durchfahrten pro Tag aus. Am Wochenende dürfen es auch gern an die 1.000 sein. Wohlgemerkt von lokalen Motorbootbesitzern, die es - das nur nebenbei - so gut wie gar nicht gibt. In der „Analyse“ heißt es dazu:
„Lediglich 70 Boote mit Motorantrieb, davon 12 private, sind in Leipzig und den Seen im Südraum gemeldet." Eine reale Nachfrage gibt es also nicht. Aber die will, d.h. die muss man erzeugen, schließlich rechnet man in diesem Wunschtraum aus Papier mit fast 4.000 Motorbootbesitzern, die ihr geliebtes Boot dann auch ca. 50 Mal pro Jahr nutzen, weshalb man auf fast 200.000 Nutzungen kommt, wobei nicht ganz klar ist, wie viele davon durch den Elster-Saale-Kanal gehen sollen bzw. werden. Selbst wenn es nur die Hälfte macht, wären das die oben genannten hunderten Durchfahrten pro Tag, in der Hauptsaison und am Wochenende wohl eher eintausend. Aber wie gesagt, eigentlich gibt es aktuell nur 12 private Motorbootbesitzer in und um Leipzig. Die ganze Rechnung ist also ein empirisch haltloser Wunschtraum - allerdings ein sehr teurer.
Sowohl was den Kanal, als auch was das zugehörige Schiffshebewerk (Kostenpunkt: 35 Millionen Euro) und Marina Lindenau (geschätzte 45 Millionen, Hauptzielgruppe: Motorboote) betrifft. Aber zu den Kosten später mehr. Erst einmal rechnet die „Analyse“ noch mit zahlreichen auswärtigen (Motor-)Boot-Enthusiasten, und das, obwohl die Zahl der Schleusungen in der Saale, an die man - koste es, was es wolle - angeschlossen werden will, seit zehn Jahren rückläufig ist. Auch an der Saale hatte man Großes vor. Auch da wurden Millionen ausgegeben. Auch da sind die Wunschträume (nicht ihre Macher!) baden gegangen. Trotzdem träumen einige auch dort noch immer den Traum vom großen, zusammenhängenden Wassersportrevier über die Elbe bis rauf nach Hamburg, um nicht zu sagen bis in die ganze weite Welt. Was dabei gern verschwiegen wird: Eine entsprechende Verbindung zwischen Saale und Elbe würde nochmal 500 Millionen Euro kosten. Mindestens. Gewiss, was den Elster-Saale-Kanal betrifft, so rechnet man auch mit den Gästen der Fahrschiffe, die dann über den Kanal gondeln sollen. Anderthalbtausend Fahrgastschifftouren pro Saison sollen das sein. Eine schöne Zahl, nur leider auch die ohne jegliche empirische Grundlage. Und die vorausgesagten Kanu- und Paddeltouristen machen die Sache auch nicht besser, denn die „Analyse“ geht davon aus, dass diesbezüglich auf und am Kanal auf Grund seiner monotonen Gewässerstruktur „ und des unattraktiven Gewässerrands (Eindeichung) keine kanutouristischen Entwicklungspotenziale vorhanden sind.“ Was im Umkehrschluss für die „Analysten“ heißt, ja heißen muss: Motorboote müssen her. Möglichst viele und möglichst große.
Allerdings scheinen die Macher der Studie selbst nicht so recht an das Märchen vom großen Kanaldurchstich mit anschließender finanzieller Landnahme zu glauben, zumindest nicht, was dessen tatsächliche wirtschaftliche Bedeutung oder besser gesagt: den tatsächlichen Mehrgewinn eines solchen Projektes betrifft. Und dabei sind wir noch gar nicht einmal bei den ökologischen Kosten. Nein, es soll hier erstmal nur um die ökonomischen Erwartungen gehen, und da sagt die Analyse gerade einmal 5% Gäste aus dem überregionalen Bereich voraus. Mit anderen Worten: das Gros der Leute, die hier das Geld heranbringen sollen (durch landseitigen Tourismus, Bootsverkehr, Übernachtungen, Gastronomie usw.) kommt aus dem Umland. Man könnte auch sagen: das Geld, was bisher in der Region bereits für - im weitesten Sinne - Tourismus und Freizeitgestaltung ausgegeben wurde, würde dann einfach nur woanders ausgegeben, nämlich am und auf dem Elster-Saale-Kanal. Ein ökonomischer Mehrwert wird dadurch in der Region selbst kaum geschaffen.
Bei veranschlagten 18,5 Millionen Euro Nettoumsatz wären das deutlich weniger als eine Million Euro pro Jahr. Bei Baukosten von - geschätzt - weit über 100 Millionen Euro (ein Großteil davon verzinste Kredite) ist diese Rechnung eine Mogelpackung, schließlich rechnet man allein mit 4-5 Millionen Euro Zinsen und Tilgung - pro Jahr!
Die kürzlich in den Leipziger Stadtrat eingebrachte „Wirtschaftlichkeitsrechnung“ des Projektes zeigte ebenfalls, dass man von irgendeiner Form der Kostendeckung weit entfernt ist. Kurzum: die Sache rechnet sich nicht, weder ökonomisch noch ökologisch. Und Leipzig hat auch andere Probleme, braucht das Geld an ganz anderen Ecken und Ende, z.B. für Kita-Plätze. Was aber den Tourismus angeht, so sehe ich für die Stadt und die Region rund ums Neuseenland Leipzig eine echte Chance in einem „sanften“ (Wasser-)Tourismus, einer, der so weit als möglich auf Motorboote verzichtet und auf aktive und - das ist mir besonders wichtig - ökologische und für viele bezahlbare Formen der Freizeitgestaltung am und auf dem Wasser setzt.
Man könnte auch sagen: Wer Leipzigs Seen, Flüsse und Kanäle mit dem Ruderboot erkundet, der läuft nicht Gefahr, dass ihm die Kosten aus dem Ruder laufen. Im Gegenteil. Selbst die Macher der „Potenzialanalyse“ rechnen „im Leipziger Stadtgebiet mit weiterem kanutouristischen Wachstum […], denn Kanutourismus ist, wie viele bundesweite Untersuchungen zeigen, vor allem Tagestourismus.“ Gewiss, Kanutouristen und einheimische Paddler und Naturliebhaber bringen nicht das ersehnte große Geld. Aber sie kosten auch nicht hunderte von Millionen. Und schonen im Vergleich zu den Motorbooten auch noch die Natur.
2. Werden Sie sich dafür einsetzen, dass für die Leipziger Fliessgewässer
eine Schiffbarkeitserklärung erfolgt und somit mit Motorbooten bis ins
"Leipziger - Neuseenland" gefahren werden kann?
Nein, denn das ist - wie ich bereits darzulegen versucht habe - weder ökologisch noch ökonomisch sinnvoll. Deshalb - und um nicht falsch verstanden zu werden - noch einmal: Leipzigs Flüsse, Seen und Kanäle haben, samt dem Neuseenland, ein riesiges Potential, aber nicht für Motorboottouristen, sondern für Menschen, die ihre Freizeitgestaltung am und auf dem Wasser mit dem Schutz und Erhalt der Auen- und Seenlandschaft verbinden wollen.
Beste Grüße,
Mike Nagler