Frage an Mike Nagler von Antje W. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr Nagler
ich würde gerne wissen, ob soziale und ökologische Kriterien im öffentlichen Beschaffungswesen Berücksichtigung finden. Wird beim Einkauf z.B. von Büromaterialien, Kaffee, etc. für den Bundestag auf Nachhaltigkeit, gerechte Löhne und Arbeitszeiten geachtet ?
Wenn nein, warum nicht? Würden Sie sich als Abgeordneter für faire Beschaffung einsetzen?
Mit freundlichen Grüßen,
Antje Weber
Sehr geehrte Frau Weber,
vielen Dank für Ihre Frage. Zunächst einmal möchte ich mich entschuldigen, dass die Antwort ein wenig auf sich hat warten lassen. Der Wahlkampf nimmt derzeit meine ganze Kraft in Anspruch, sodass es mir nicht immer möglich ist, sofort auf alle Fragen zu antworten, zumal ich bemüht bin, fundiert und ausführlich zu antworten. Was das von Ihnen angesprochene Thema betrifft, so bin ich mir der gesamten Problematik nicht zuletzt durch meinen Arbeitsaufenthalt in Indien und eine Reise nach Bolivien sehr bewusst. Und so wie das bewusste Erleben der Misere der Wasserversorgung in der sog. "Dritten Welt" für mich ein Ansporn war, mich hier gegen Privatisierungen zu engagieren, so gilt das gleiche auch für die Frage der Arbeits- und Umweltbedingungen. Aber nun konkret zu Ihren Fragen.
Wie Sie vielleicht wissen, haben sich eine Reihe deutscher Städte (z.B. Chemnitz, Dortmund, Marburg, München oder Saarbrücken) durch eigene Entscheidung darauf verpflichtet, Kriterien des "fairen Handels" bei der Beschaffung von Waren und Dienstleistungen einzuhalten - auch und gerade gegen den Widerstand neoliberaler Kräfte, die darin "Wettbewerbsverzerrungen" sehen.
Ich denke, dass man nicht nur diese Ansätze unterstützen muss, sondern dass wir von politischer Seite her für die Festschreibung in Vergabegesetzen (Vergabe öffentlicher Aufträge über Bezug von Leistungen und Investitionen) die Einhaltung von Tariftreueregelungen und die zwingende Einhaltung von Mindestarbeitsbedingungen und Gesetzen bzw. Verordnungen zum Umwelt-, Gesundheits- und Arbeitsschutz eintreten müssen. Und das nicht nur für im Inland erbrachte Leistungen und Investitionen, sondern genauso für die Beschaffung von Produkten aus anderen Ländern. Wer dagegen verstößt, muss sofort und zukünftig von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen werden. Aus diesem Grund setze ich mich auch für eine gerechte, an sozialen wie ökologischen Kriterien orientierte Handels- und Entwicklungspolitik ein.
Ich halte es für enorm wichtig, dass staatliche Einrichtungen bzw. die "öffentliche Hand" hier mit gutem Beispiel vorangehen und Nachhaltigkeit sowie soziale und ökologische Kriterien verstärkt in die Auftragsvergabe mit einbeziehen. Schließlich legt die Auftragsvergabe nicht nur eine Grundlage für die Produktionsbedingungen und -verhältnisse, sondern auch für den späteren Konsum und das weitere Nutzungsverhalten bestimmter Güter und Dienstleistungen. Auch hier gilt es also umzudenken und dem Primat des Preises sowie den (kurzfristigen) Renditeabsichten etwas entgegenzusetzen. Dazu braucht es nachhaltige Konzepte. Denn nur mit einer stärkeren Berücksichtigung umweltpolitischer und sozialer Gesichtspunkte lassen sich die ungerechten Verhältnisse im Welthandel ändern. Darüber hinaus, so denke ich, kann - von Bund, Ländern, Kommunen und öffentlichen Unternehmen - auf diesem Weg auch ein entscheidender Beitrag gegen rassische, Geschlechter- und soziale Diskriminierung geleistet werden. Denn was wir nicht brauchen und auch nicht wollen ist ein Wettbewerb, der über Lohn-, Sozial- und Umweltdumping ausgetragen wird. Ich sehe es daher als meine Aufgabe an, dieses Thema gemeinsam mit Gruppen und Initiativen aus der Zivilgesellschaft (Solidaritäts-, Menschenrechts- und Frauengruppen, Gewerkschaften) ins Parlament zu tragen.
Was den Bundestag selbst betrifft, so kann ich Ihnen mitteilen, dass dort seit 2001 Gepa-Kaffee getrunken wird, "eine faire Handelspolitik betreibt er", wie Oliver Pye schreibt, den ich hier zustimmend zitieren möchte "dadurch aber trotzdem nicht". Und weiter: "Anstatt die Fair Trade Bewegung zu einer Lifestyle- und Konsumentscheidung von Besserverdienenden zu entpolitisieren, brauchen wir eine Rückbesinnung auf die emanzipatorische Sprengkraft, die im konkreten Projekt den Schrei gegen ein menschenverachtendes Handelssystem mit der Vision einer menschenwürdigen Alternative verband." ( http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=12593 )
Was die von Ihnen angesprochenen sozialen und ökologischen Kriterien im öffentlichen Beschäftigungswesen, speziell im Bundestag betrifft, so möchte ich Sie auf die kleine Anfrage zum Thema "Soziale und ökologische Kriterien im öffentliche Beschaffungswesen" verweisen, die DIE LINKE im März 2007 an die Bundesregierung gestellt hat. Die Anfrage sowie die Antwort der Bunderegierung finden Sie - zusammen mit einer ganzen Reihe weiterer Informationen zum Thema - hier http://www.cora-netz.de
Als langjähriges Mitglied von Attac (www.attac.de) möchte ich an dieser Stelle auch auf die Attac-Mitgliedsorganisation weed (www.weed-online.org) verweisen, welche die Mitverantwortung der Industrienationen für die ungerechte Weltwirtschaftsordnung und globale Umweltzerstörung stärker ins Zentrum der Arbeit sozialer Bewegungen und Nichtregierungsorganisationen rückt. Die Ziele und Lösungsansätze von weed teile ich.
Abschließend möchte ich noch auf meine Antworten auf die Wahlprüfsteine des Forums Fairer Handel hinweisen, http://mikenagler.linkeblogs.de/wp-content/uploads/2009/08/antwortenfairerhandel.pdf wo ich die Frage, wie der Staat fairen Konsum unterstützen und der Stellenwert sozialer und ökologischer Kriterien in der Öffentlichen Beschaffung gesteigert werden kann, ebenfalls beantwortet habe. Darüber hinaus finden Sie dort meine weiteren, zum gesamten Themenkomplex gehörenden Positionen, etwa zur Frage nach Möglichkeiten zur Erleichterung nachhaltiger Kaufentscheidungen oder bezüglich Maßnahmen zur Erhöhung der Ernährungssicherheit in Entwicklungsländern und den Kampf gegen den Hunger.
Ich würde mich freuen, wenn Sie mal reinschauen und verbleibe mit den besten Grüßen,
Mike Nagler