Frage an Mike Nagler von Klaus D. bezüglich Familie
Sehr geehrter Herr Nagler,
der Ministerpräsident des Freistaates Thüringen wirbt seit Jahren für eine solidarisches Bürgergeld. http://www.solidarisches-buergergeld.de
Werden Sie als künftiges Mitglied des Deutschen Bundestages diese Initiative unterstützen?
Falls nicht, warum nicht?
Ich freue mich auf Ihre Antwort.
Mit freundlichen Grüßen
Klaus Dreikopf
Sehr geehrter Herr Dreikopf,
vielen Dank für Ihre Anfrage. Ich sehe das Bürgergeld in der Form wie es hier vorgeschlagen wird sehr kritisch. Das Bürgergeld ist als flächendeckender Kombilohn konzipiert, damit die Unternehmen "marktgerechte" Dumping-Löhne zahlen können. Der Staat zahlt dann den Rest der Kosten.
Das Bürgergeld erweckt den Anschein der Gleichstellung aller Menschen. Alle zahlen den gleichen Grundbetrag in die Krankenkassen und je nach Einkommen eine Lohnsteuer. Doch die Wirtschaft wäre an der Finanzierung des Sozialstaats nicht mehr beteiligt. Die Unternehmen zahlen nur noch eine "Lohnsummensteuer" von zwölf Prozent, mit der Rentenzuschläge für ihre Beschäftigten finanziert werden soll.
Auch die Höhe von 800 Euro ist eigentlich Betrug, da hiervon 200 Euro für eine Grund-, Kranken- und Pflegeversicherung gleich wieder abgegeben werden müssen. Netto sind es also gerade mal 600 Euro und damit sogar noch weniger als Hartz IV (359 euro Regelsatz + KdU von durchschnittlich rund 280 euro). Bei ALG II werden Kranken und Pflegeversicherung sowie (allerdings sehr niedrige) Rentenbeiträge vom Amt bezahlt.
Das Hauptargument von Althaus ist: Der jetzige Sozialstaat sei "nicht mehr finanzierbar". Er argumentiert, dass die demografische Entwicklung den Sozialstaat zunehmend belaste. Diese Argumentation ist falsch und begründet die Notwendigkeit sozialer Rückschritte durch das Schüren von Zukunftsängsten. Althaus berücksichtigt dabei nicht die Produktivitätsentwicklung und die Ertragsfähigkeit der Arbeit. Wenn man sich diese vor Augen führt so wird schnell deutlich, dass nicht der Sozialstaat "zu teuer" ist, sondern das der erwirtschaftete Reichtum extrem ungleich verteilt ist.
Ich lehne das Modell in dieser Form aus folgenden Gründen ab:
1. Mit dem Modell sollen Einsparungen für die öffentlichen Haushalte nur durch Kürzungen von sozialen Leistungen erreicht werden. Althaus verspricht sich durch das Bürgergeld enorme Einsparungen, weil folgende Sozialleistungen wegfallen würden: Arbeitslosengeld und Arbeitslosengeld II, alle Formen der Grundsicherung - auch für nicht Erwerbsfähige, Kindergeld, Wohngeld, Bafög und weitere Beihilfen.
2. Das Bürgergeld ist nicht existenzsichernd. Bezieher des ALG II, die alleinstehend bzw. alleinerziehend sind, weden sogar schlechter gestellt. Grundsätzlich liegen alle Bürgergeldeinkommen für Menschen, die bisher auf Hilfe angewiesen waren, unter der EU-Armutsgrenze.
3. Mit dem Modell verabschiedet man sich von der paritätisch durch Beschäftigte und Unternehmen finanzierten Sozialversicherung und vom Solidarprinzip. In der Krankenversicherung soll die Kopfpauschale durch die Hintertür eingeführt werden. Jeder Bürger, ob arm oder reich, bezahlt 200 Euro in die Krankenkasse für eine Minimalversorgung.
4. Erwerbstätige können nach dem Modell zunächst mehr Geld in der Tasche haben als bisher. Aber im Falle plötzlicher Ereignisse, die zu Arbeitslosigkiet oder sogar zu einer Erwerbsunfähigkeit führen, ist keine Lebensstandardsicherung mehr möglich.
5. Althaus stellt durch sein vorgeschlagenes Steuersystem die Bezieher hoher Einkommen besser.
6. Die Arbeitslosenversicherung fällt weg. Das bedeutet auch, dass es keine Arbeitsvermittlung, keine aktive Arbeitsmarktpolitik und keine öffentlich geförderte Arbeit mehr gibt.
7. Das Modell wird den Niedriglohnsektor weiter ausdehnen. Die menschliche Arbeit soll für die Wirtschaft noch billiger werden. Jeder Unternehmer weiß, dass seine Beschäftigten zusätzlich 800 Euro Bürgergeld erhalten. Warum soll er ihnen also ein hohes Gehalt zahlen? Außerdem muss er auf Löhne und Gehälter eine 12%ige Lohnsummensteuer zahlen. Deshalb wird er bestrebt sein, diese Lohnsumme so niedrig wie möglich zu halten.
8. Das Bürgergeld wird ein indirektes Kombilohnmodell, bei dem die Allgemeinheit über Steuern die Lohnzahlungen der Unternehmen subventioniert.
9. Das Modell ist nicht solidarisch, sondern führt zu einer weiteren Entsolidarisierung und Individualisierung der Gesellschaft. Wer Arbeit und Einkommen hat, bekommt zusätzliches Geld. Wer bedürftig ist, bleibt auch weiter bedürftig.
10. Mit der zukünftigen Rente, in der Regel 600 Euro und maximal 1200 Euro, ist eine Lebensstandardsicherung nicht möglich, sie führt zu Altersarmut. Damit wächst der Druck auf die Menschen zur eigenen Vorsorge, die sich Menschen mit geringem Einkommen überhaupt nicht leisten können.
11. Das Bürgergeld soll in Deutschland lebenden ausländischen Mitbürgern verwehrt werden.
Statt dieser Mogelpackung ist es notwendig wieder zum Solidarprinzip zurückzukehren. Notwendig wären u.a.:
1. Die Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns.
2. Eine Steuerreform, die Reiche angemessen an der Finanzierung des Sozialstaats beteiligt und die generell zu mehr Steuergerechtigkeit führt.
3. Die Einführung einer bedarfsorientierten, existenzsichernden sozialen Grundsicherung.
4. Eine radikale Arbeitszeitverkürzung. Arbeit muss fair verteilt werden.
5. Eine aktive und integrative Arbeitsmarktpolitik und den Ausbau eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors für gemeinwohlorientierte Arbeit.
Beste Grüße,
Mike Nagler