Frage an Michaela Noll von Artur K. bezüglich Finanzen
Sehr verehrte Frau Noll,
Sie haben mich wirklich positiv überrascht und ich finde es wirklich nett von Ihnen, dass Sie auf meine Frage geantwortet haben. Leider haben Sie nicht alle Aspekte berücksichtigt und daher möchte ich weiter nachfragen. Welche Stellungnahme geben Sie zu der Einschätzung des Steuerzahlerbundes über den ESM/EFSF-Vertrag ab. Hier interessiert mich besonders Ihre Meinung als Juristin zu der Einschätzung, dass
- der Vertrag nicht kündbar ist
- die Beschlussorgane sich Immunität sichern wollen
- da die Beschlussorgane, welche auf europäischer Ebene den Vertrag exekutieren sollen, nicht demokratisch gewählt sind, sind sie dem Wähler der Nationalstaaten auch nicht zur Rechenschaft verpflichtet.
Zudem sind die Kriterien, nach denen ein Staat trotz Fiskalpakt die Obergrenze der Verschuldung (0,5%) umgehen kann, so wachsweich, dass ein Politiker nach meiner Erfahrung immer eine Möglichkeit der Umgehung finden wird. Dies vor allen Dingen dann, wenn er/sie sich z.B. gerade im Wahlkampf befindet. Wie wollen Sie also verhindern, dass Deutschland dafür bezahlen muss, dass in anderen Ländern die Sache mit den Defiziten nicht so eng gesehen wird? Wie wollen Sie verhindern, dass Etatposten, die eigentlich mit zur Verschuldung zählen, bei den berechnungen des Defizits nicht mit heran gezogen werden, wie z.B. in Deutschland die Pensionen von Beamten, Richtern und Abgeordneten? Warum sind Sie eigentlich der Meinung, dass man einen Staat nicht pleite gehen lassen darf, obwohl das aus Sicht vieler eigentlich der richtige Weg ist, um eine gewisse Disziplin zu wahren? Wenn ich kein Geld mehr bekomme, bin ich pleite und muss mir etwas einfallen lassen, wie z.B. Werrtgegenstände verkaufen. Warum werden marode Staaten nicht gezwungen, erst einmal die eigenen Werte (wie z.B. Spanien und Italien Goldbestände) zu versilbern, bevor Bürger anderer Staaten einspringen? Auf Ihre Antworten bin ich gespannt.
Mit freundlichen Grüßen
Artur Klein
Sehr geehrter Herr Klein,
der Fiskalvertrag enthält in der Tat keine Regelungen für seine Kündigung. Dies ist in völkerrechtlichen Verträgen aber durchaus üblich und war auch Jahrzehnte bei den Gründungsverträgen zur EU und ihren Vorläufern nicht enthalten. Ein einseitiges Kündigungsrecht wird von unserer Verfassung her auch nicht gefordert. In diesen Fällen gelten die allgemeinen Regeln des Völkerrechts, die notfalls eine einseitige Loslösung vom Vertrag bei einer grundlegenden Änderung der bei Vertragsabschluss vorliegenden Umstände erlauben. Einen solchen Fall wäre aber wohl nur gegeben, wenn sich die Verfasstheit von EU oder Währungsunion grundlegend änderte.
Bei den in Artikel 32 und 35 ESM-Vertrag vorgesehenen Immunitäten für den ESM, sein Vermögen sowie seine Amtsträger und Bediensteten handelt es sich um bei Internationalen Finanzinstitutionen übliche Regelungen. Die Tätigkeit des ESM beinhaltet äußerst komplexe rechtliche Vorgänge, welche regelmäßig mit erheblichen Risiken behaftet sind. Durch die Regelungen soll der ESM und sein Vermögen vor unberechtigtem Zugriff Dritter geschützt werden. Das ist im Interesse der ESM-Mitglieder und damit auch des deutschen Steuerzahlers. Die persönliche Immunität der Amtsträger und Bediensteten kann durch den Gouverneursrat des ESM, in dem die Finanzminister der Mitgliedstaaten der Eurozone vertreten sind, bzw. den Geschäftsführenden Direktor aufgehoben werden. Dadurch wird Missbrauch entgegengewirkt. Vergleichbare Regelungen gelten u. a. für den IWF, die Weltbank sowie regionale Entwicklungsbanken wie z. B. die Afrikanische Entwicklungsbank (AfDB) und die Asiatische Entwicklungsbank (ADB).
Ansonsten gibt es zur Berechnung des für den Fiskalvertrag maßgeblichen "Maastricht-Defizits" des Gesamtstaats klare Regeln von EUROSTAT, die alle Länder einzuhalten haben. Jüngst wurden die Rechte von EUROSTAT gestärkt, um im Zweifelsfall in den Ländern genau nachzuschauen. Tricksereien wären heute nicht mehr so einfach möglich, wie etwa beim Euro-Beitritt Griechenland.
Bei der Frage, ob man ein Land pleite gehen lässt, spielen immer die Kosten dieser Alternative eine Rolle, die keiner genau abschätzen kann. Durch die enge Verzahnung des Finanzsystems in der Eurozone können die potenziellen Ansteckungseffekte groß sein, und damit auch das politische und ökonomische Risiko. In Bezug auf Griechenland sind durch viele Maßnahmen (Rettungsschirme, Bankrekapitalisierungen) diese Folgekosten reduziert worden, so dass eine Pleite Griechenlands heute bei weitem nicht mehr so kostspielig wäre wie noch vor zwei Jahren.
Mit freundlichen Grüßen
Michaela Noll MdB