Frage an Michaela Noll von Artur K. bezüglich Finanzen
Sehr verehrte Frau Noll, demnächst steht die Abstimmung zum ESM/EFSF an.
Sie wissen, worum es beim ESM/EFSF geht. Nachdem in letzter Zeit der Umfang, den dieser ESM/EFSF haben soll, immer größer wurde, geht es mir auch darum, dass
- die Beschlussorgane des ESM/EFSF nicht demokratisch gewählt und besetzt sein sollen
- sich diese Organe unbegrenzte Immunität garantieren lassen wollen
- es keinen Einfluss der nationalen Parlamente, und damit keinerlei demokratische Kontrolle, des ESM/EFSF geben soll
- der ESM/EFSF-Vertrag nach Inkrafttreten nicht kündbar sein soll, es also keinerlei Möglichkeit zum Ausstieg aus der Umverteilung von Steuergeldern zwischen den Staaten geben soll
- der ESM/EFSF-Vertrag nach Meinung einiger Verfassungsrechtler gegen das Grundgesetz verstößt
- in den letzten Tagen schon diskutiert wird, wie man es hin bekommen kann, dass Banken direkt auf den ESM/EFSF zugreifen können und das Geld ihnen nicht, wie ursprünglich geplant, durch die einzelnen Staaten und deren Nationalbanken zugeteilt wird
Der Bund der Steuerzahler hat den Vertrag dankenswerter Weise übersetzt, einer juristischen Prüfung unterzogen und kommentiert. Unter dem Titel „Blendwerk für leichtgläubige Bundestagsabgeordnete“ heißt es hier u.a.: „Die Kündigung des Fiskalpaktes oder des ESM ist nicht möglich. Kein vernünftiger Bürger unterschreibt in Gelddingen, speziell bei Bürgschaften und Garantien, einen Vertrag auf Ewigkeit, verzichtet auf Rechenschaft, überlässt die Honorarfestsetzung seines Beauftragten diesem selbst und gewährt ihm zusätzlich, gewissermaßen als Sahnehäubchen, umfassende Immunität gegen Strafverfolgung auch bei Veruntreuung und Geldverdummung. Wer dies im normalen Leben tut, wird üblicherweise als nachweislich unzurechnungsfähig entmündigt. Und dabei geht es beim ESM sogar um Hunderte Milliarden, wenn nicht Billionen“.
Aus meiner Sicht sollten Sie diesem Werk nicht zustimmen. Wie stehen Sie dazu? Auf Ihre Antwort bin ich gespannt.
MfG
Artur Klein
Sehr geehrter Herr Klein,
vielen Dank für Ihre E-Mail vom 06.05.2012. Ich freue mich, dass Sie sich so intensiv den Mechanismen des Europäischen Stabilitätsmechanismus – besser bekannt als Rettungsschirm – auseinandergesetzt haben. Auch ich habe das immer wieder tun müssen. Der Fiskalvertrag und der permanente Europäische Stabilitätsmechanismus sind wesentliche Bausteine einer neuen Stabilitätsarchitektur für Europa. Sie schaffen eine vernünftige Balance zwischen Krisenprävention und Krisenreaktion. Um die Zukunft der Währungsunion zu sichern, brauchen wir in Europa eine glaubhafte Verpflichtung zu soliden Staatsfinanzen, gleichzeitig sind Strukturreformen für mehr Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit unabdingbar. Und auch in Zukunft ist es nicht ausgeschlossen, dass akut in Schwierigkeiten geratene Euro-Länder von ihren Partnern unterstützt werden müssen. Der ESM bietet diese temporäre Krisenhilfe unter strikten Auflagen.
Eine direkte Hilfe aus dem ESM an Banken wird es mit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion nicht geben. In Schwierigkeiten geratene Banken müssen zunächst eigene Anstrengungen unternehmen. Wenn dies keinen Erfolg hat, müssen die betreffenden Staaten Unterstützungen an ihre Banken leisten. Erst wenn dies nicht mehr möglich ist, kann eine konditionierte Hilfe aus dem ESM an den betreffenden Staat erfolgen, der damit wiederum auf seine Banken zugehen kann.
Sie kritisieren, es gebe keinen Einfluss der nationalen Parlamente und damit keine demokratische Kontrolle. Wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, wollen sicherstellen, dass ein solches Kontrolldefizit nicht entsteht. Genauso wie beim temporären Rettungsschirm EFSF nehmen wir als Parlament dieses wichtige Thema selbst in die Hand. Gemeinsam mit den Haushältern und den anderen Parlamentarischen Geschäftsführern der Koalition habe ich in den vergangenen Wochen folgenden Vorschlag erarbeitet, der auf der Grundstruktur der Beteiligungsrechte bei der EFSF aufbaut.
Wesentliche Aspekte des Vorschlags der Regierungskoalition sind:
• Das Plenum des Deutschen Bundestages muss immer dann vorher zustimmen, wenn der ESM ein neues finanzielles Risiko eingeht. Das ist insbesondere bei Entscheidungen über neue Hilfsprogramme bzw. bei finanzwirksamen Änderungen von bestehenden Programmen des ESM der Fall. Zudem muss das Plenum über mögliche Kapitalerhöhungen nach Art. 10 Absatz 1 ESM-Vertrag sowie Ausweitungen des maximalen Darlehensvolumens des ESM abstimmen.
• Der Haushaltsausschuss begleitet die Umsetzung der Programme und muss z.B. Änderungen der Bedingungen von Hilfsprogrammen zustimmen, wenn das Gesamtfinanzierungsvolumen des Hilfsprogramms unverändert bleibt. Zudem hat er das Recht, vor Auszahlung der einzelnen Hilfstranchen durch den ESM gegenüber der Bundesregierung eine Stellungnahme abzugeben, die diese dann berücksichtigen muss.
• Das sog. „9er-Gremium“ kommt nur zum Einsatz, wenn im Rahmen eines Hilfsprogramms Anleihekäufe auf dem Sekundärmarkt vorgesehen sein sollten. Damit setzen wir genau die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts um: Grundsätzliches ins Plenum, Technisches in den Haushaltsausschuss und Vertrauliches ins Sondergremium.
Es war uns wichtig, mit unserem Vorschlag einen Ausgleich zwischen einer umfassenden Beteiligung des Parlaments und der Wahrung der Funktionsfähigkeit des Rettungsschirmes zu erreichen. Einerseits gilt es, die fundamentalen, durch die Verfassung geschützten Rechte der einzelnen Abgeordneten und des gesamten Parlaments zu wahren. Andererseits sollten wir es mit dem Wunsch nach Mitsprache nicht übertreiben und bei allem und jedem mitbestimmen wollen. Die Grenze zwischen exekutiven und parlamentarischen Zuständigkeiten muss klar gezogen werden. Ich denke, das ist uns mit unserem Vorschlag gelungen.
Der Koalitionsvorschlag zur Parlamentsbeteiligung wird Gegenstand der öffentlichen Anhörung des Haushaltsausschusses am 7. Mai 2012 zum gesamten Gesetzespaket sein.
Ich bin überzeugt, dass der ESM in dieser Form nicht gegen das Grundgesetz verstößt. Vielmehr ist er notwendig, um die Währungsunion dauerhaft zu erhalten und die Zukunft der Europäischen Union nicht zu gefährden.
Mit freundlichen Grüßen
Ihre Michaela Noll MdB