Frage an Michael Theurer von Lothar M. bezüglich Recht
Wie Sie vielleicht wissen, wurde ein “Entwurf eines Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite” eingebracht und wird heute (6.11.2020) von 9 bis 10 Uhr vom Bundestag beraten und soll danach in den Gesundheitsausschuß überwiesen werden.
Art. 1 Nr. 18 hat es in sich:
Menschen, die nach Deutschland einreisen und eventuell “einem erhöhten Infektionsrisiko” für COVID-19 ausgesetzt waren, sollen in Zukunft verpflichtet werden können, eine Impfdokumentation bezüglich SARS-CoV-2 vorzulegen. (Zuvor war in § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b noch von einer “Impf- oder Prophylaxebescheinigung” die Rede!)
Das Infektionsrisiko gilt als erhöht, wenn man sich in einem ausländischen Risikogebiet (und zwar ab dem Tag nach Veröffentlichung auf der RKI-Webseite) aufhält.
Mit Bahn, Bus, Schiff und Flugzeug sollen Betroffene nur noch nach Deutschland reisen dürfen, wenn sie die Impfung vor der Beförderung nachweisen!
Das bedeutet: Man soll keine Auslandsreise mit diesen Verkehrsmitteln mehr antreten können, ohne sich vorher impfen zu lassen – denn das Zielgebiet kann von einem Tag auf den anderen zum Risikogebiet erklärt werden.
Damit wird die Rückreise unmöglich, es sei denn, man lässt sich noch vor Rückreise im Ausland impfen!
Die Impfdokumentation soll übrigens bei Grenzübertritt stichprobenartig polizeilich kontrolliert und mit den Reisedokumenten abgeglichen werden. Das soll auch für ein ebenfalls notwendiges ärztliches Zeugnis “oder Testergebnis”, dass COVID-19 nicht vorliegt, gelten.
Es wird explizit erwähnt, dass das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit (Art. 2 GG) durch diese und weitere Regelungen eingeschränkt wird.
Wie stehen Sie zur geplanten Änderung und den damit einhergehenden Grundrechtseinschränkungen?
Ist aus Ihrer Sicht diese Änderung verfassungswidrig?
Vielen Dank für die Beantwortung meiner Fragen.
LM
Sehr geehrter Herr Müller,
vielen Dank für Ihre Frage zum Entwurf eines Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite.
Der Entwurf des Dritten Bevölkerungsschutzgesetz und insbesondere der im Eilverfahren durch die Große Koalition beschlossene §28a IfSG ist zur Zeit ein wichtiges politisches Thema was viele Menschen umtreibt, wie viele hundert Zuschriften pro Tag zeigen. Ihre Sorgen dazu kann ich gut verstehen. Als FDP-Bundestagsabgeordneter teile ich viele Kritikpunkte, die hinsichtlich der Einschränkung von Grund- und Freiheitsrechten vorgetragen werden.
Der Gesetzentwurf enthält aus meiner Sicht wichtige und richtige Punkte, wie z.B. die Abschaffung der Meldepflicht bei Corona-Selbsttests, die Verbesserung der digitalen Anbindung der Labore oder die Nutzung von tier- und zahnärztlichen Laboren für Coronatests. Viele dieser Punkte haben wir bereits seit Monaten gefordert.
Als FDP-Fraktion fordern wir jedoch eine stärkere Beteiligung des Parlaments bei der Bekämpfung der Pandemie und insbesondere eine konkretere gesetzliche Grundlage für die Maßnahmen und die mit ihnen verbundenen tiefgreifenden und flächendeckenden Grundrechtseingriffe. Eine dauerhafte Akzeptanz der Bevölkerung für die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung ist unserer Auffassung nach nur dann zu gewährleisten, wenn diese nachvollziehbar sind und in transparenten Entscheidungsprozessen gefunden werden. Die Diskussionen und Entscheidungen der Bundeskanzlerin und der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten fanden hinter verschlossenen Türen statt, letztlich wurden die Bürgerinnen und Bürger und das Parlament vor vollendete Tatsachen gestellt, ohne die ausgetauschten Argumente hinreichend nachvollziehen zu können. Wir fordern, dass diese Debatten in den Parlamenten geführt werden. Dass die Große Koalition noch wenige Stunden vor der Beratung in den Ausschüssen weitreichende Änderungsanträge nachlegt, ohne dass das Parlament angemessene Beratungszeit bekommt, wird dem Verfahren nicht gerecht. Derart grundrechtsbeschränkende Maßnahmen können nur dann weitreichende Legitimation erhalten, wenn sie eine konkrete gesetzliche Grundlage haben, über die im Bundestag und in den Landtagen ausführlich beraten und abgestimmt wird.
Die aktuelle Regelung (§ 28 IfSG) wird dem nicht gerecht. Sie ist nicht darauf ausgerichtet, flächendeckend das wirtschaftliche und soziale Leben im Land zu regeln, sondern nur für punktuelle Krankheitsausbrüche. Auch namhafte Verfassungsrechtler (z.B. der ehem. Präsident des Bundesverfassungsgerichts Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier, https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/papier-kritisiert-neues-corona-gesetz-als-persilschein-fuer-regierung) und Gerichte (zuletzt Bayerischer VGH, Beschluss vom 29.10.2020 - 20 NE 20.2360) bestätigen dies und halten eine neue Rechtsgrundlage für erforderlich, in der der Gesetzgeber die Grenzen und Voraussetzungen der Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie festlegt.
Der Vorschlag der Bundesregierung (§ 28a IfSG) ist dafür aber ungeeignet und behebt keines der benannten Probleme. So werden die einzelnen Maßnahmen nicht näher bestimmt, sondern nur katalogartig aufgezählt. Es ist dadurch z.B. nicht ersichtlich, welche Schutzmaßnahmen zuerst verhängt werden sollen, weil diese weniger als andere in Grundrechte von Bürgerinnen und Bürgern eingreifen oder wann eine Härtefallregelung vorzusehen ist. Auch eine Orientierung am 7-Tage-Inzidenzwert wird den unterschiedlichen lokalen Infektionsgeschehen nicht gerecht. Oberhalb eines 7-Tage-Inzidenzwertes von 50 pro 100.000 Einwohnern wird die Regelung als Blankoscheck für die Bundesregierung eingeschätzt (so Hans-Jürgen Papier, s.o.).
Diese und auch weitere Mängel des Gesetzentwurfes und insbesondere den Umgang der Bundesregierung mit den Rechten des Parlaments kritisieren wir. Wir fordern eine Befristung der Maßnahmen und eine Berichtspflicht der Bundesregierung an das Parlament. Wir haben hierzu bereits Initiativen in den Deutschen Bundestag eingebracht und werden dies auch weiterhin tun.
Nach aktuellem Stand werde ich gegen die Änderungen des IfSG am 18.11.2020 stimmen.
Herzlichst
Ihr
Michael Theurer