Welche Gefahr geht von SF6 beim Verbau in Schaltanlagen in WKAs aus?
Schwefelhexafluorid - kurz: SF6 - hat von allen bekannten Substanzen die stärkste Treibhauswirkung. Es wirkt rund 22.800 Mal so stark wie die identische Menge Kohlendioxid. Welche Gefahr geht von dem Gas beim Verbau in Schaltsystemen bei WKAs aus? Kann es aus dem geschlossenen System entweichen.?
Vielen Dank , jetzt schon für die Antwort,
Jutta
Zur Einordnung vorweg
Ich werde Ihre Frage weiter unten präzise beantworten, möchte zur Einordnung aber vorweg schicken: Die Aussage, SF6 in Windkraftanlagen mache diese zu Klimakillern, ist eine Falschaussage, die regelmäßig in den Medien auftaucht. In Qualitätsmedien wird sie auch umgehend als Falschaussage entlarvt, wenn auch dabei nicht immer alle Aspekte aufgedeckt werden. Es ist eine von vielen Falschaussagen, deren Verbreitung darauf abzielt, den dringend erforderlichen Ausbau der Windkraftnutzung zu diskreditieren. Sie lässt sich dem Falschaussage-Typ "Aus dem Zusammenhang gerissene Aussage" zuordnen. Sie wird im Parteienspektrum vor allem von der AfD vorgetragen, auf Grund ihrer weiten Verbreitung jedoch auch von Vertreter:innen anderer Parteien. Eine Verhinderung des Windkraftausbaus, worauf sie abzielt, nutzt vor allem denjenigen, die mit dem Verkauf von Erdgas oder Kohle sowie mit der Stromgewinnung aus diesen fossilen Energieträgern Geld verdienen.
Mehr Informationen zu den Strategien, die bei Falschaussagen angewandt werden, gibt es u.a. hier: https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/diese-strategien-nutzen-desinformations-verbreiter-faktenfuchs,TYYqbep
Als Abgeordneter des Europaparlaments möchte ich die Strategien zur Abwehr von Falschinformationen, die ich in den letzten Jahren, u.a. als Mitglied von Scientists for Future (S4F) intensiv eingeübt habe, für die parlamentarische Arbeit fruchtbar machen, um dazu beizutragen, dass das Europäische Parlament sachlich fundierte gute Entscheidungen für die Bürger:innen Europas trifft. Ein paar Einblicke in diese Strategien gebe ich in folgendem Video: https://www.youtube.com/watch?v=UTcxBbPa5ik
Zur Desinformation über SF6 im Detail
1. Einen Faktor problematisieren und verschweigen, dass ein anderer Faktor überwiegt
Fakt ist, SF6 ist als eines von mehren F-Gasen eines der stärksten Treibhausgase, es hat eines der höchsten spezifischen globalen Treibhauspotenziale (global warming potential, GWP). Damit ist gemeint, dass eine bestimmte Masse von SF6, das in die Atmosphäre entweicht, eine viel stärkere Treibhausgaswirkung erzielt als die gleiche Masse an CO2. An dieser Stelle beginnt die Desinformation:
- Für die Treibhauswirkung ist das Produkt aus GWP und Masse des in die Atmosphäre emittierten jeweiligen Treibhausgases relevant.
- Bei SF6 ist das GWP sehr hoch, die emittierte Menge aber so viel kleiner, so dass das Produkt erheblich geringer ist als bei anderen Treibhausgasen.
- Es wird nur das GWP erwähnt, nicht aber das relevante Produkt.
Mehr Informationen zu verschiedenen Treibhausgasen, dazu, wo und in welchen Mengen sie emittiert werden, sowie zum GWP gibt es u.a. hier: https://www.umweltbundesamt.de/themen/klima-energie/klimaschutz-energiepolitik-in-deutschland/treibhausgas-emissionen/die-treibhausgase
2. Verschweigen, dass nur im Schadensfall Gas entweicht, nicht regulär
F-Gase sind keine Verbrauchsgase, die regelmäßig in die Atmosphäre entweichen. Sie entweichen immer nur durch Lecks oder Fehler bei der Entsorgung von Geräten, welche F-Gase enthalten. Das wird oft nicht erwähnt.
3. Windkraftanlagen erwähnen, die Hauptemissionsquellen verschweigen
SF6 wird als Isolationsgas in elektrischen Schaltanlagen verwendet. Die Schaltanlagen von Windkraftanlagen machen nur einen kleinen Teil davon aus. Es ist darüber hinaus in vielen anderen Anlagen und Komponenten enthalten. Am meisten entweicht davon aus Schallschutzfenstern, wenn diese nicht fachgerecht entsorgt werden.
4. Verschweigen, wie lange eine Windkraftanlage benötigt, um im Schadenfall die Klimawirkung des entwichenen SF6 zu kompensieren
Dazu habe ich selbst eine Kontrollrechnung durchgeführt, von der ich ein Bild anhänge. Sie zeigt, dass eine Windkraftanlage mit einer Leistung von 6 MW, die an einem Standort 3.000 Volllaststunden erreicht, also 18.000 MWh pro Jahr produziert, binnen einer Woche die Emission von 22.800 kg CO2 vermeidet, die ein Gaskraftwerk ausstöße, wenn es anstelle der Windkraftanlage in dieser Zeit Strom produzierte. Diese Menge vermiedener CO2-Emissionen hat die gleiche Klimawirksamkeit wie die 3 kg SF6, die im Fall eines Maximalschadens aus der Schaltanlage in die Atmosphäre entwichen. Sprich, die Windkraftanlage würde binnen einer Woche den Klimaschaden des entwichenen SF6 kompensieren. Der Klimaschaden ist wäre also vernachlässigbar. SF6 macht mitnichten Windkraftanlagen zu Klimakillern.
Eine gute Zusammenfassung zum Thema SF6 in Windkraftanlagen bietet folgender Artikel der Elektrizitätswerke Schönau, dem ich die Menge SF6 entnommen habe, die in einer Windkraftschaltanlage maximal enthalten ist: https://www.ews-schoenau.de/blog/artikel/sf6-klimakiller-im-windrad/ Der darin zitierte Kollege, der ebenfalls eine Kontrollrechnung durchgeführt hat, kommt noch zu einem mehr als doppelt so günstigen Ergebnis für Windkraftanlagen wie ich. Er hat mit 23.500 ein etwas höheres GWP für SF6 und vermutlich einen anderen Strommix zugrunde gelegt, den die Windkraftanlage ersetzt, als ich.
Fazit: SF6 ist ein Treibhausgas, dessen Entweichen in die Atmosphäre unterbunden werden sollte. Der stärkste Hebel, an dem zuerst anzusetzen ist, ist eine ordnungsgemäße Entsorgung von Schallschutzfenstern. Weiterhin sollten bei den verschiedenen Anwendungsgebieten von SF6 Alternativen gefunden werden - wie bei allen Anwendungen von F-Gasen generell. Windkraftanlagen spielen dabei nur eine zu vernachlässigende Rolle. Diese wird durch Verschweigen relevanter Informationen, welche zur Einordnung erforderlich sind, künstlich hochstilisiert.