Dr. Michael Stöhr: Was Europa jetzt braucht.
Michael Stöhr
ÖDP
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Frage von Kathrin W. •

Als katholischer Christ sollten Sie vom konziliaren Prozess, den Lernzielen der christlichen Kirchen, gehört haben: "Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung". Wie stehen Sie dazu?

Meine Frage bezieht sich auf Ihre Einstellung zu europäischer Aufrüstung. Die Aufrüstung ist nicht nur ein Zeichen für Remilitarisierungsprozesse, die leider von einer Nation angestoßen (Russland) und jetzt von anderen aufgegriffen werden und somit die Kriegsgefahr erhöhen können, sondern verschlingt auch Unsummen an Geld, das sozialen Projekten, aber auch dem Naturschutz fehlt. Außerdem ist zu beobachten, dass mit Remilitarisierung regelmäßig auch innerhalb von Staaten eine Haltung, die weniger auf Konsens und demokratischem Aushandeln als auf Durchsetzen und starker Hand beruht, einhergeht, die zudem deutlich geringer werdende Sensibilität für Schwächere und Natur mit einschließt. Letztendlich widerspricht Remilitarisierung allen christlichen Lernzielen! Ein Festhalten an den Lernzielen würde aber bedeuten, dass diese Entwicklungen viel stärker reflektiert würden, ggf. frühzeitig UNO und andere friedliche Bündnisse hinzugezogen, etc. würden.

Dr. Michael Stöhr: Was Europa jetzt braucht.
Antwort von
ÖDP

Als katholischer Christ bin ich zunächst dem evangelischen Christen Dietrich Bonhoeffer dankbar für seinen Anstoß zu einem allkirchlichen Friedenskonzil, der in einen jahrzehntelangen fruchtbaren Prozess gemündet ist, welcher seit der 6. Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen in Vancouver (1983) als „Konziliarer Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“ firmiert.

Dietrich Bonhoeffer ist für mich in einer Zeit des Erstarkens rechtspopulistischer und rechtsextremer Bewegungen ein Vorbild hinsichtlich seiner Klarsichtigkeit, Aufrichtigkeit und Selbstlosigkeit, mit der er seiner Berufung nachging.

Friede

Ihre Frage fokussiert auf das zweite Ziel des Konziliaren Prozesses, den Frieden, das Sie an die erste Stelle rücken. Dazu habe ich bereits auf eine andere Frage vom 2.5.2024 geantwortet. https://www.abgeordnetenwatch.de/profile/michael-stoehr/fragen-antworten/wie-stehen-sie-zum-krieg-ukraine-waffenlieferungen-aufruestung

Bitte beachten Sie bei meiner Antwort zu dieser Frage insbesondere den vierten Punkt: … Die Forderung der ÖDP nach strikter Lobbykontrolle sollte gleichrangig mit der notwendigen militärischen Geheimhaltung berücksichtigt werden. Zu erwägen ist in diesem Zusammenhang eine Begrenzung der Gewinnausschüttungen von Rüstungsunternehmen zumindest in Krisenzeiten, nicht zuletzt, damit privatwirtschaftliche Interessen nicht zum Grund für militärische Aktionen werden können. Um es noch einmal deutlicher zu sagen: Ich erkenne sehr wohl die Gefahr, dass der Überfall Russlands auf die Ukraine und die Gefahr weiterer Angriffe auf europäische Staaten, die von einem von Putin regierten Russland ausgehen, als Vorwand für eine Aufrüstung dient, deren Umfang sich weniger an militärischen Notwendigkeiten als an privatwirtschaftlichen Interessen der Rüstungsindustrie orientiert. Darum meine Forderung nach strikter Kontrolle und Begrenzung der Gewinne von Rüstungsunternehmen.

Mir widerstrebt die Forderung von Verteidigungsminister Pistorius, wir müssten kriegstüchtig werden. https://www.bmvg.de/de/mediathek/verteidigungsminister-wir-muessen-kriegstuechtig-werden-5701664 Krieg ist immer das letzte Mittel. Wir müssen uns effektiv verteidigen können und das im europäischen Rahmen, mehr nicht. Darum plädiere ich für eine vollständige Ausschöpfung der Möglichkeiten wirtschaftlicher Sanktionen gegen Russland, damit Russland möglichst schnell den Krieg beendet und sich aus der Ukraine zurückzieht – parallel zur Herstellung einer europäischen militärischen Verteidigungsfähigkeit, die aktuell nicht gegeben zu sein scheint.

Die aktuelle Europaabgeordnete der ÖDP und Kandidatin auf Listenplatz 1, Manuela Ripa, sowie der Bundesvorstand haben sich zum Überfall Russlands auf die Ukraine mehrmals geäußert. Ich unterstütze folgende Erklärungen voll und ganz:

Gerechtigkeit

Meine Antwort auf eine Frage vom 11.5.2024 enthält einige Aussagen zum ersten Ziel des Konziliaren Prozesses, der Gerechtigkeit: https://www.abgeordnetenwatch.de/profile/michael-stoehr/fragen-antworten/sollte-sich-die-eu-sozialpolitisch-staerker-einmischen-und-wenn-ja-wie

Bewahrung der Schöpfung

Erlauben Sie mir noch kurz auf das dritte Ziel des Konziliaren Prozesses, die Bewahrung der Schöpfung, näher einzugehen. Dazu hatten wir vor zwei Jahren eine Diskussion in der ÖDP, bei der ich dafür plädierte, stärker die Werte ins Zentrum der Aussagen zur Schöpfung / Natur zu rücken, um für die wachsende Zahl der Menschen, die sich weder zum Christentum, noch zum Judentum bekennen, besser die konkreten politischen Forderungen zu begründen, welche viele in der ÖDP aus ihrem christlichen Glauben ableiten. Meine Überlegungen habe ich in folgendem Artikel vorgestellt: https://www.oekologiepolitik.de/2022/08/01/schoepfung-bewahren/ Sie wurden bei der Neuformulierung von Überschrift und Präambel des Kapitel 1 des Bundespolitischen Programms teilweise aufgegriffen. Weitere Teile dieses Kapitels zu Klima, Energie, Mobilität, Siedlungstrukturen, Kreislaufwirtschaft und elektromagnetischer Luftverschmutzung wurden im Mai 2023 umfassend aktualisiert. https://www.oedp.de/programm/bundesprogramm

Rolle der Religion in der Politik

Einer Frage, die sich in dem hier diskutierten Zusammenhang oft stellt, möchte ich nicht ausweichen: Welche Rolle sollte Religion denn überhaupt in der Politik spielen. Es gibt viele Gründe dafür, dass sie eine Rolle spielen sollte. Einen für mich wesentlichen hat der Sozialethiker Prof. Dr. Markus Vogt formuliert: Bei einer solchen Vermittlung der Vorstellungen des Guten in den Bereich der handlungsprägenden Emotionen, Sinnvorstellungen und Gewohnheiten kann die Religion eine entscheidende Rolle spielen. […] durch den Reichtum an Traditionen, die die Ethik in ein gelebtes Ethos zu übersetzen suchen, indem sie gleichermaßer Herz und Verstand, tiefe Hoffnungen und alltägliche Lebenspraxis ansprechen. [M. Vogt, Christliche Umweltethik, 2021, S. 42-43]

Sprich, Religionen haben in der Diskussion über die dringend erforderliche soziale und ökologische Transformation einen Schatz an Traditionen und erprobten Lebenspraktiken anzubieten, welcher helfen kann, die Brücke von der Erkenntnis zum Tun zu schlagen.

In der ÖDP erlebe ich ganz konkret einen konziliaren Prozess von Menschen verschiedener christlicher Konfessionen und Menschen ohne Religionszugehörigkeit, welche gemeinsam um Lösungen für die Ziele Gerechtigkeit, Friede und Bewahrung der Schöpfung ringen.