Frage von Martin. F. D. • 12.05.2024
Die EU unter v. d. Leyen hat den sogenannten "Green Deal" auf den Weg gebracht. Dieser ist umstritten, insbesondere bei der EVP. Was möchten Sie für einen echten, besseren Naturschutz erreichen?
Antwort von Michael Stöhr ÖDP • 14.05.2024
Der Green Deal ist eine unzureichende Antwort auf die mehrfache Überschreitung planetarer Grenzen:
- Nach dem 6. Sachstandsbericht des Weltklimarats muss die Welt bis etwa 2050 klimaneutral werden, wenn das 1,5-Grad-Ziel mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 % eingehalten werden soll. Nun ist zum einen diese Prognose wohl zu optimistisch, denn seit 2023 steigen die Temperaturen sprunghaft, die 1,5-Grad-Marke dürfte in Kürze überschritten werden, zum anderen verbraucht die EU ihr Restbudget etwa doppelt so schnell wie die Welt im Durchschnitt. Klimaneutralität sollte in der EU also eher 2030 erreicht werden als 2050.
- Vom Ressourcenverbrauch abgekoppeltes Wachstum ist zu wenig und grünes Wachstum eine Illusion. Auf einem begrenzten Planeten kann es kein unendliches Wachstum geben, weder beim Ressourcenverbrauch, noch bei der Flächeninanspruchnahme, noch bei sonst irgendeiner materiellen Größe. Wirtschaftliches Wachstum führt in der aktuellen Form zu einer Spreizung der Schere zwischen Arm und Reich und unterminiert damit die Fähigkeit einer Gesellschaft, notwendige Veränderungen vorzunehmen. Wir benötigen nicht nur weniger Ressourcenverbrauch, sondern eine Postwachstumswirtschaft, in der die Schere zwischen Arm und Reich wieder auf ein akzeptables Maß geschlossen wird – die ÖDP plädiert für eine maximale Einkommensspreizung von einem Faktor zwölf.
- Es ist nicht verkehrt, eine Milliarde Bäume neu zu pflanzen, wichtiger als diese Zahl ist aber die Wiederherstellung der Natur und die Schaffung klimaresistenter artenreicher Biotope.
Ich möchte mich im Parlament darum für das wesentlich ambitioniertere Programm der ÖDP und für einen echten Naturschutz einsetzen. Das umfasst u.a. folgende Ziele, die über den Green Deal hinausgehen (Europawahlprogramm, Kap. 4):
- Anerkennung der Natur als eigenes Rechtssubjekt und Aufnahme des Rechtsstatus der Natur in die Charta der Grundrechte der Europäischen Union.
- Schaffung geeigneter Rechtsformen für bedeutende Teile der Natur (Wälder, Moore, Flüsse u. a.) analog zu den europäischen Gesellschaftsformen für Unternehmen, Europäische Gesellschaft (SE), Europäische Genossenschaft (SCE) und Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV), damit diese vor Gericht vertreten werden können.
- Ausweitung der Schutzgebietskulisse (u.a. Festsetzung neuer Naturschutzgebiete und Nationalparks), Schutz der letzten europäischen Urwälder. Erstellung von Bewirtschaftungsplänen mit Erhaltungszielen und -maßnahmen für Natura-2000-Schutzgebiete. Ausweitung des Schutzes gefährdeter Arten und Habitate. Sukzessive Reduktion des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln in Schutzgebieten. Etablierung eines funktionalen Biotopverbund-Systems auf mindestens 15 % der terrestrischen Fläche der Mitgliedsstaaten bis 2030. Beseitigung von Vollzugsdefiziten im Naturschutzrecht und bessere finanzielle und personelle Ausstattung unabhängiger Kontrollbehörden.
- Beachtung und kontinuierliche Verbesserung des Umweltklage- und Informationsrechts für Bürger und Zivilgesellschaft.
- Bepreisung der Umweltnutzung: Neben dem dringenden Ausbau der CO2-Bepreisung ist der Verbrauch natürlicher Ressourcen wie Rohstoffe sowie Flächenversiegelung usw. durch kontinuierlich steigende Steuern so lange zu reduzieren, bis die Preise aller Produkte die wahren ökonomischen, sozialen und ökologischen Kosten widerspiegeln.