Frage an Michael Kronawitter von Lars L. bezüglich Senioren
Sehr geehrter Herr Dr. Kronawetter,
ich bin Rentner (77) in der Reichenbergerstraße und schwanke zwischen Graue Panter und Ihrer Partei.
Ich habe mir einen Handzettel der WASG vorlesen lassen und da kommen die Interessen älterer Mitbürger gar nicht vor.
Überzeugen Sie mich, dass ich sie wählen soll.
Es grüßt,
Herr Laumeyer
(diktiert von einem Betreuer, weil Herr Laumeyer nicht mit einem Computer umgehen kann)
Hallo Lars Laumeyer,
ich kenne dich aus der Reichenbergerstrasse und weiß, dass du etwa 23 Jahre alt bist. Ich bedaure deinen seltsamen Humor, der auf Kosten älterer Menschen geht. Er ist kurzsichtig und reproduziert Klischees vom Leben im Alter (kann nicht lesen, keinen Computer bedienen, braucht Betreuer…). Ich empfehle dir zu allererst, dich über die Lebensrealität von älteren Menschen in Berlin zu informieren und verweise hier auf die „Berliner Altersstudie“. http://www.base-berlin.mpg.de
Die WASG setzt sich für soziale Gerechtigkeit ein. Das schließt alle Generationen mit ein und bedeutet vor allem Solidarität statt Konkurrenzkampf. Der weit verbreitete Jugendwahn und die Reduzierung von Menschen auf ihre Verwertbarkeit macht Ältere besonders angreifbar und oft zu Opfern von Diskriminierung und Ausgrenzung. Als Linker ist es für mich selbstverständlich sich mit den Betroffenen gegen derartige Zuschreibungen zu wehren.
Nun gibt es nicht nur im Alter Situationen, in denen Menschen von Hilfe abhängig sind. Ich habe jahrelang während meines Studiums in einem Pflegeheim gearbeitet, und dabei unter anderem die menschenunwürdigen Bedingungen erlebt, die weniger mit Wohnen als vielmehr mit „Verwahren“ zu tun haben. Die profitorientierte Privatisierung solcher Bereiche hat die Situation noch weiter verschlimmert. Selbst Wohlfahrtsverbände wie die Arbeiterwohlfahrt gehen dazu über, soziale Arbeiten von in diesem Bereich unqualifzierten 1-Euro-Jobbern erledigen zu lassen. Qualifiziertes Personal wird aus sicheren und tariflich entlohnten Beschäftigungsverhältnissen verdrängt. Eine doppelte Zumutung: für die Arbeitenden und die Pflegebedürftigen. Das ist inakzeptabel.
Simone de Beauvoir stellte in ihrem Buch „Das Alter“ schon 1970 die richtige Frage: "Was ist an der Lage des alten Menschen unvermeidlich? In welchem Maße ist die Gesellschaft dafür verantwortlich? Wie müsste eine Gesellschaft beschaffen sein, damit ein Mensch auch im Alter Mensch bleiben kann?" Und sie stellt dort auch fest: "Wenn man begriffen hat, was die Lebensbedingungen der alten Menschen bedeuten, wird man sich nicht damit begnügen, eine großzügigere `Alterspolitik´, eine Erhöhung der Renten, gesunde Wohnungen und Freizeitgestaltung zu fordern. Es geht um das ganze System, und die Forderung kann nur radikal sein: das Leben verändern." In diesem Sinne lieber Lars, geh dem Gerede vom "Generationenkonflikt" nicht auf dem Leim.
Es grüßt dich: Michael Kronawitter