Michael Kronawitter
WASG
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Frage von Judith C. •

Frage an Michael Kronawitter von Judith C. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrter Herr Dr. Kronawitter,

A. ich lese auf den Infoseiten des RBB, dass Ihre Partei empfiehlt, "zur Verhinderung von Unternehmensschließungen Betriebe notfalls in öffentliches Eigentum zu überführen".

Eine höchst interessante Idee!

Allerdings ist mir nicht so ganz klar, wie dies in praxi vonstatten gehen soll; vielleicht könnten Sie mir dies kurz erläutern?

Insbesondere interessieren mich folgende Aspekte:

1. Unternehmen schließen ja im Regelfall aus dem Grund, dass sie nicht mehr rentabel arbeiten können. Soll der Staat, d.h. alle Steuerzahler, dann auch künftig die Verluste tragen?

2. Wenn ja, für wie lange?

3. Woher würden Sie die neue Betriebsführung rekrutieren? Aus der Beamtenschaft?

4. Und wie ist dies alles kompatibel mit dem sonstigen Wettbewerb? Drohen dann nicht private Konkurrenzunternehmen ebenfalls in die Insolvenz zu rutschen, da sie mit staatlich subventionierten Beschäftigungsanstalten wirtschaftlich nicht mithalten können?

5. Wie sieht es weiterhin mit dem generellen EU-Subventionsverbot aus? Wäre dies tangiert?

6. Und stünde dies alles im Einklang mit den allgemeinen Wertentscheidungen des Grundgesetzes?

B. Ein anderes Thema, drei kürzere Fragen:

1. Können Hausbesetzungen in unseren heutigen Zeiten, in denen die Berliner Immobilienpreise und Mieten weit unter dem Niveau der meisten Provinzkleinstädte liegen und das nahezu endlose Angebot die Nachfrage bei weitem übersteigt, dem Sinn, den sie in den 80er Jahren einmal hatten, wirklich noch gerecht werden?

2. Oder haben Sie heutzutage einen anderen Sinn? Wenn ja, welchen?

3. Inwieweit ist dieser mit den Rechten der Eigentümer kompatibel bzw. können die beiden Interessen in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden?

Vielen Dank für Ihre Mühe!

Freundliche Grüße,

Judith Conrad

Antwort von
WASG

Hallo Frau Conrad,

ich bin schon ein bischen gelangweilt, wenn Fragen nur als Provokation gestellt werden, wenn es kein wirkliches Erkenntnisinteresse mehr gibt, weil das Welt- und Menschenbild schon längst versteinert ist, und das Internet virtuell und anonym zur Spielwiese von sinnloser Beschäftigung wird. Soweit ich weiss, heissen Sie in Ihrem wirklichen Leben anders und sind Immobilienmaklerin. Hier trotzdem in aller Kürze meine Antworten:

A.1.
Wie kommen Sie darauf, dass Unternehmen schließen oder entlassen, weil sie unrentabel sind? Bei steigender Produktivität lassen sich überall höhere Profite mit weniger Angestellten erreichen (nehmen sie z.B. die Deutsche Bank als jüngstes Beispiel). Wussten Sie, dass in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern die Lohnstückkosten zu den niedrigsten gehören. Auch ein Ergebnis des gnadenlosen Lohndumpings.
A.2
Das neoliberale Privatisierungsprogramm sieht eben genau so aus, dass Verluste sozialisiert werden, und Gewinne privatisiert werden. Als Beispiel: wussten Sie, dass der Senat die Wasserbetriebe an Veolia Waters / RWE verkauft hat und dem Konzern 8% jährlichen Gewinn garantiert hat, während die Preise seither um ca. 25% gestiegen sind?
A.3.
Warum Beamte? Sind ihnen die Beschäftigten der Betriebe nicht gut genug? Kommen Sie als Führerin in Frage?
A.4.
Sind der Terror der Ökonomie, das Dogma des Heilmittels "Konkurrenzkampf", die darwinistischen Grausamkeiten des "freien Wettbewerb" eigentlich vereinbar mit den allgemein gültigen Menschenrechten?
A.5.
Nein!
A.6.
Ja, selbstverständlich.

B.1.
Sollten Sie sich höhere Mieten in Berlin wünschen, sollten Sie die FDP oder CDU wählen. Auch die SPD und PDS hat mit dem Verkauf von mehr als 100.000 kommunalen Wohnungen in den letzen 5 Jahren ihren Teil dazu beigetragen, dass Berlin den Anschluß in puncto Miethöhe zu anderen Städten wie München schafft. Problem ist dann nur, dass immer mehr ihre Miete nicht zahlen können, noch mehr Wohnungen leer stehen werden, und noch mehr Menschen keinen Wohnraum mehr finden. Denn bezahlbarer Wohnraum ist für Menschen, die beispielweise von Hartz IV leben müssen schon heute kaum mehr zu finden. Ich denke, dass für Ihr Milieu derartige Fehlinterpretationen der Realität symptomatisch sind.
B.2.
In Berlin ist zur Zeit die Auswahl an leerstehenden Gebäuden im (noch) öffentlichen Besitz so groß, dass Besetzungen hier erfolgversprechender sind, da hier politisch argumentiert werden kann. Die Probleme mit wild gewordenen Wohnungspekulanten, die fernab jeder öffentlichen Kontrolle teilweise sogar kriminell agieren, sind in diesen Fällen weniger zu befürchten.

Schließlich noch ein Surf-Tipp, der Ihnen viele Fragen ganz ohne Revolution und völlig systemimmanent erklärt: www.nachdenkseiten.de Sie merken: ich gebe nicht auf zu versuchen, auch Sie zu überzeugen.

Mit freundlichem Gruss,
Michael Kronawitter