Frage an Michael Fuchs von Joachim H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Bundestagsabgeordneter Dr. Fuchs,
ich lese gerade Ihre Stellungnahme zum Antidiskriminierungsgesetz. Dazu möchte ich eine ergänzende Frage stellen: "Könnte sich dieser Gesetzgebung ein EU-Staat oder eine Region wie Bayern entziehen, indem sich der Verweigerer auf das in der geplanten EU-Verfassung vorgesehene Subsidiaritätsprinzip beruft? Alle Mandatsträger, die der EU-Verfassung oder dem Reformvertrag zustimmten, argumentieren, daß durch die Anwendung der Subsidiarität die EU für alle demokratischer würde. Leider konnte mir noch kein Politiker konkrete Beispiele nennen. Wenn eine Ablehnung des Anitdiskriminierungsgesetzes für Deutschland nicht möglich ist, können Sie mir dann mögliche andere Anwendungsgebiete des Subsidiaritätsprinzipes nennen? "
Mit freundlichen Grüßen
Joachim Hahn
Sehr geehrter Herr Hahn,
Deutschland ist als Mitgliedstaat der Europäischen Union seiner Verpflichtung nachgekommen, vier EU-Gleichbehandlungsrichtlinien (2000/43 EG, 2000/78/EG, 2002/73/EG und 2004/113/EG) umzusetzen, die den Schutz vor Diskriminierung regeln. Aufgrund drohender Strafzahlungen ist die Umsetzung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) unvermeidlich gewesen, so dass der Bundestag am 29. Juni 2006 der Umsetzung der Richtlinien zugestimmt hat. Der Beschluss des Bundestages bedurfte der Zustimmung des Bundesrates, also der Ländervertreter. Am 7. Juli 2006 wurde das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz vom Bundesrat gebilligt. Die Ländervertreter verzichteten somit darauf, Einspruch nach Art. 77 Abs. 3 GG zu erheben oder den Vermittlungsausschuß nach Art. 77 Abs. 2 GG anzurufen.
In Artikel 5 EG-Vertrag heißt es: „In den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, wird die Gemeinschaft nach dem Subsidiaritätsprinzip nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf der Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und daher wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können.“ Auf die EU übertragen bedeutet dies, dass die Mitgliedstaaten die Zuständigkeiten behalten, die sie selbst am wirksamsten wahrnehmen können, der Gemeinschaft aber diejenigen Aufgaben übertragen werden, die die Staaten auf ihren verschiedenen Entscheidungsebenen allein nicht mehr zufriedenstellend und im Sinne von europäischen Gemeinschaftsinteressen wahrnehmen können. Eine Übertragung dieser Zuständigkeiten muss auf jeden Fall unter Wahrung der nationalen Identität und der Kompetenzen der Regionen erfolgen. Darüber hinaus zwingt die im Vertrag von Lissabon vorgesehene Subsidiaritätskontrolle die Kommission, schon in der Planung von Gesetzgebungsprozessen zu begründen, ob und inwieweit eine Initiative gerechtfertigt und verhältnismäßig ist.
Das Prinzip der Subsidiarität ist grundlegend für unsere demokratische und freiheitliche Gesellschaftsordnung. Denn eine Demokratie ist nur funktionsfähig, wenn alle Macht in Form von Wahlen vom Volk ausgeht und so das Prinzip der Subsidiarität ausreichend Beachtung findet. In der Wirtschaftspolitik spiegelt sich das Subsidiaritätsprinzip im System der Sozialen Marktwirtschaft wieder, in der Lebensrisiken beispielsweise durch Versicherungssysteme abgesichert sind und in der eine maßvoll progressive Besteuerung einen Beitrag zur Verminderung der Ungleichheit leistet.
Das Prinzip der Subsidiarität ist in Deutschland grundgesetzlich in Art. 23 verankert und liegt dem Föderalismus der Bundesländer zugrunde. So erfüllen beispielsweise die Länder eigenständig bestimmte staatliche Aufgaben während auch den Kommunen ein Selbstverwaltungsrecht eingeräumt wird. Ein weiteres Beispiel ist der laut Bundessozialhilfegesetz und Jugendwohlfahrtsgesetz eingeräumte Vorrang der freien Träger der Sozialhilfe bzw. der Jugendhilfe vor staatlichen und kommunalen Trägern.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Michael Fuchs MdB