Frage an Michael Fuchs von Andreas M. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr Fuchs,
ich habe ein Verständnisproblem und hoffe, von Ihnen Hilfe erlangen zu können.
Sie erklären die Notwendigkeit einer Mehrwertsteuererhöhung mit der Entlastung des Faktors Arbeit (von diesem Faktor sind mittlerweile ja bereits 5 Mio. Menschen entlastet).
Betroffen von einer Mehrwertsteuererhöhung ist die Summe der Staatsbürger, rund 83 Mio. Die Zahl der Erwerbspersonen liegt derzeit bei rund 43 Mio. Menschen. Hieraus ergibt sich eine Differenz von etwa 40 Mio. Menschen, zu deren Lasten Sie Politik machen möchten.
Sie argumentieren mit der Entlastung eines Arbeitnehmerhaushaltes, bei einer gleichzeitig ansteigenden Anzahl von Arbeitsplätzen (ca. 200.000). Diese Prognose indes wird hauptsächlich von angebotsorientierten Instituten vertreten und hat bei Missachtung nachfrageorientierter Analysen ausschließlich den Charakter einer Kaffeesatzleserei.
Es gibt derzeit in der deutschen Volkswirtschaft eine gravierende Divergenz zwischen Kapital und Arbeit. Die Löhnstückkosten (die relevante zu betrachtende Größe, im Gegensatz zu der von Ihnen beleuchteten Steuer- und Abgabenquote) sind in Deutschland ausgesprochen vorteilhaft, der Binnenkonsum hingegen lahmt.
Nun also zu meinem Verständnisproblem: Was ist an einer Mehrwertsteuererhöhung in diesem Kontext als positiv zu erachten?
Ich habe eine Ahnung: Vielleicht vertreten Sie als Politiker weniger das Interesse der gesamten Bevölkerung (ich erinnere an die 40 Mio. Menschen, die ausschließlich im Negativen betroffen sind), als vielmehr das einer gewissen Klientel, sozusagen als Unternehmer (=Kapital) für Unternehmer (=Kapital).
Sehr geehrter Herr Marquet,
Sie erwähnen verschiedene Themen bereich, ich will Ihnen möglichst zu
allen Punkten Antwort geben:
Sie schreiben, dass mittlerweile bereits 5 Mio. Menschen vom Faktor Arbeit entlastet sind. Hier möchte ich hinzufügen, dass wir weit mehr Arbeitslose in Deutschland haben (ca. 8 Mrd. Menschen, die aber nicht alle in der Statistik auftauchen, sondern in Beschäfti-gungsmaßnahmen des zweiten Arbeitsmarktes untertauchen). Dies ist aber keineswegs eine „Entlastung“. Ich denke, dass werden Sie auch nicht so gemeint haben. Denn die Belastung der Arbeitslosen selbst ist ein großes Problem Ein weiteres Problem sind die Kosten der Arbeitslosigkeit sowie die ausbleibenden Zahlungen in die Sozialversicherungssysteme. Immer weniger sozialversicherungspflichtig Beschäftigte tragen mittlerweile auf ihren Schultern die Kosten all derer, die nicht mehr oder noch nicht am sozialen Umlageverfahren beteiligt sind. Mit der Mehrwertsteuererhöhung wird nicht zu Lasten von 40 Mio. Menschen Politik gemacht. Sie dürfen nicht vergessen, dass der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von 7 % (z.B. für Lebensmittel, Arznei oder öffentlicher Nahverkehr) bestehen bleibt. Ein Großteil der nicht arbeitenden Bevölkerung gibt hauptsächlich in diesem Segment aus, wird also nicht belastet.
Dass nicht nur nachfrageorientierte Institute die Erhöhung der Mehrwertsteuer begrüßen, sehen Sie beim Nachlesen der Ergebnisse des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit. Das Institut rechnet mit 180.000 neuen Arbeitsplätzen und rund 0.5 Prozent mehr Wachstum (Quelle: IAB, Kurzberichte 07/2004 doku.iab.de/kurzber/2004/kb0704.pdf> und 04/2005 doku.iab.de/kurzber/2005/kb0405.pdf>).
Lassen Sie mich noch zu den Lohnstückkosten etwas sagen: Eine Arbeiterstunde kostet die Industrieunternehmen in Westdeutschland gut 27 Euro. Damit gehören die Werkhallen zwischen Kiel und München zu den teuersten der Welt (Quelle: Institut der Deutschen Wirtschaft Köln, Januar 2005). Nur in Norwegen und Dänemark sind noch höhere Arbeitskosten fällig. Dabei erwirtschaften die Belegschaften am Standort Deutschland bei genauerem Hinsehen auch nicht mehr. Längst können Unternehmen in vielen Regionen rund um den Globus mit hoher Produktivität und gleichzeitig geringeren Arbeitskosten produzieren. So geben die Arbeitskostenunterschiede oft den Ausschlag bei neuen Standortüberlegungen. Es reizt, in Niedriglohnländer zu investieren und Technik wie auch Produktions-Know-how dorthin zu transferieren. Deutschland hat beim Verhältnis von Arbeitskosten zu Produktivität (Lohnstückkosten) nur eine mittelmäßige Performance.
Im Durchschnitt hatte die ausländische Konkurrenz in 2003 einen Lohnstückkostenvorteil von 16 Prozent. Besonders groß zeigte sich der Abstand zu Japan und Kanada, wo die Arbeitskosten je hergestellte Einheit um gut 27 Prozent geringer waren. Frankreich und die USA lagen auch noch um 16 Prozent unter dem deutschen Niveau.
Mit freundlichen Grüßen,
Dr. Michael Fuchs MdB