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Matthias Wissmann
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Frage von Heinz H. •

Frage an Matthias Wissmann von Heinz H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Wissmann,

Ich habe eigentlich eine ganze Reihe von Fragen/Ideen/Anregungen, allerdings möchte ich diese der Übersichtlichkeit zuliebe einzeln stellen.

Im europäischen Recht sind zwar die Menschenrechte verankert, allerdings enden diese im Augenblick an den jeweiligen Staatsgrenzen. Das heisst ich kann zwar über Instanzen der Union durchsetzen, dass meine Menschenrechte in jedem einzelnen Land durchgesetzt werden, jedoch gibt es Probleme, wenn meine Rechte ich Grenzüberschreitend durchsetzen möchte. Die Rede ist vom Koalitionsrecht, also dem Recht von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sich zusammenzuschliessen und gemeinsam ihre Interessen durchzusetzen.

So gibt es weder ein europäisches Streikrecht, noch ein europäisches Tarifrecht (bei letztem bin ich mir nicht ganz sicher). Auch die europäische Verfassung sieht beides bislang nicht vor. Beides ist durchaus sinnvoll, trüge es doch einerseits zur Identifikation der Bürger mit der Union bei (die dadurch nämlich auch in einem weiteren Bereich praktisch erfahrbar würde) und sorgte es andererseits zu einer (langsamen) Angleichung der Arbeitsbedingungen innerhalb der Union, womit Sorge getragen würde, dass prekäre Beschäftigungsverhältnisse kein Standortvorteil mehr sein könnten. Die fatalen Folgen des fehlenden Koalitionsrechtes lassen sich ganz gut am Beispiel Airbus im Augenblick sehen. Dort wird in Frankreich für französische Arbeitsplätze gestritten, in hier für die hiesigen Beschäftigten, etc. pp .

Meine Frage nun lautet: Warum setzt sich die Bundesrepublik nicht (oder nicht vehementer) für ein europäisches Koalitionsrecht ein?

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Hemmers,

vielen Dank für Ihre Email vom 11. März 2007. Mit Interesse habe ich Ihre Fragen und Bemerkungen zum Thema „Koalitionsrecht in Europa“ gelesen.

Wie Sie betonen, gibt es zurzeit in der Europäischen Union weder ein gemeinsames Streikrecht noch ein einheitliches Tarifrecht. Der Grund dafür ist, dass die Europäische Union keine Kompetenz besitzt, die sehr unterschiedlichen Systeme der sozialen Sicherung der Mitgliedstaaten zu vereinheitlichen. Die EU erlässt nur Grundsätze, Standards und Zielvorhaben in den Bereichen des Arbeitsrechts, des Arbeitsschutzes sowie der Gleichstellung von Frauen und Männern, die von den Mitgliedstaaten durch nationale Maßnahmen umgesetzt werden sollen. Ihre Hauptaufgabe im sozialen Bereich besteht in der Tat darin, die nationalen Entscheidungen zu koordinieren, damit bestehende Ansprüche, zum Beispiel für im Ausland tätige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, gewahrt werden.

Seit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft hat sich der europäische soziale Dialog stark entwickelt. Die Kommission hat seit dem Vertrag von Maastricht (1992) gemäß Artikel 138 des EG-Vertrages die Aufgabe bekommen, „den Dialog zwischen den Sozialpartnern auf europäischer Ebene zu entwickeln, der, wenn diese es für wünschenswert halten, zu vertraglichen Beziehungen führen kann“. Die Arbeitnehmergewerkschaften nehmen an diesem Dialog durch den Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) teil. Diese Organisation vertritt heute 81 nationale Gewerkschaftsbünde aus 36 Ländern und 11 europäische Branchenverbände. Außerdem sind gemäß der Richtlinie 94/94/EG des Rates vom 22. September 1994 in Unternehmen mit mindestens 1000 Arbeitnehmern in einem Mitgliedstaat und mit jeweils mindestens 150 Arbeitnehmern in mindestens zwei Mitgliedstaaten europäische Betriebsräte einzurichten sowie ein Verfahren zur Information und Konsultation der Arbeitnehmer in gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen und Unternehmensgruppen geschaffen worden.

Mit der 2000 von dem Europäischen Rat beschlossenen und 2004 reformierten Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung ist eine weitere Entwicklung der sozialen Dimension der EU verbunden. Diese Strategie verknüpft nämlich zwei zentrale Ziele: Europa soll mehr, aber gleichzeitig auch bessere Arbeitsplätze schaffen. Die europäische Politik soll also in diesem Rahmen beitragen, Lebens- und Arbeitsbedingungen zu verbessern, was einen konstruktiven sozialen Dialog auf nationaler sowie europäischer Ebene fordert.

Die Beschäftigungs- und die Sozialpolitik bilden zwei Schwerpunkte der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Die Weiterentwicklung des europäischen Sozialmodells steht dank der Bemühungen der deutschen EU-Präsidentschaft auf der aktuellen europäischen Tagesordnung.

Mit freundlichen Grüßen

Matthias Wissmann, MdB