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Frage von Matthias R. •

Frage an Matthias Wissmann von Matthias R. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Herr Wissmann,

welche Initiativen werden denn konkret von Ihnen ausgehen, um während der deutschen Ratspräsidentschaft die Europäische Union voranzubringen?
Welche Bedeutung hat das jetzt ruhende Ratifizierungsverfahren zur Verfassung aus Ihrer Sicht? War es nicht von vornherein naiv zu glauben, dass alle Mitgliedsstaaten zustimmen würden?
Was halten Sie von der Idee, dass Staaten der EU, die den Staatenbund weiter vertiefen wollen, ohne die Zauderer voranschreiten?
Halten Sie die Erweiterungsrunden der EU wichtiger als die weitere Vertiefung?

Ich bedanke mich für Ihre Mühe und Auskünfte.

Mit freundlichen Grüßen
Matthias Radlinger

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Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Radlinger,

für Ihre E-Mail danke ich Ihnen. Sie werfen darin wichtige Fragen auf, welche in der aktuellen Diskussion um die Zukunft der Europäischen Union und insbesondere des europäischen Verfassungsprojekts von großer Bedeutung sind.

Sie fragen zunächst nach konkreten Initiativen, die die Europäische Union während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 voranbringen sollen.

Wie Sie auch in dem auf der Homepage zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft ( www.eu2007.de ) veröffentlichten, umfassenden Arbeitsprogramm im Einzelnen nachlesen können, hat sich die Bundesregierung für das kommende Halbjahr einer Reihe sehr wichtiger europäischer Themen angenommen. Herauszuheben sind hierbei unter anderem die Gewährleistung einer sicheren, umweltverträglichen und wettbewerbsfähigen Energieversorgung, die Vollendung des Binnenmarkts und die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen, eine kohärente Asyl- und Migrationspolitik, der Aufbau einer leistungsfähigen und bürgerorientierten Verwaltung in Verbindung mit einer besseren Rechtsetzung sowie der Ausbau strategischer Partnerschaften.

Neben der Präsentation aller während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft geplanten Initiativen auf der Homepage www.eu2007.de können Sie dort auch – tagesaktuell – die Inhalte der einzelnen Vorschläge sowie viele Hintergrundinformationen abrufen und die Entwicklung der Arbeit der EU unter der deutschen Ratspräsidentschaft verfolgen, wozu ich Sie herzlich einlade.

Herausragende Aufgabe der deutschen EU-Ratspräsidentschaft wird es sein, den Prozess der Weiterentwicklung der Europäischen Union wieder zu beleben und einen „Fahrplan“ für den weiteren Umgang mit der Verfassung zu erarbeiten.

Die von Ihnen angesprochene Vorstellung, eine Ratifizierung des vorliegenden Verfassungsvertrages durch sämtliche EU-Mitgliedstaaten sei von vornherein illusorisch gewesen, kann ich nicht teilen.

Bei dem Text handelt es sich um einen sorgsam ausgearbeiteten Kompromiss, der sowohl von dem aus Vertretern aller Mitgliedstaaten zusammengesetzten Verfassungskonvent als auch von der Regierungskonferenz der Mitgliedstaaten verabschiedet worden ist. Im Übrigen darf ich darauf hinweisen, dass inzwischen in 18 der 27 EU-Mitgliedstaaten, unter anderem auch in der Bundesrepublik Deutschland, die nationalen Parlamente dem Verfassungsvertrag zugestimmt haben. Dies zeigt, dass die Grundinhalte des Verfassungsvertrages eine breite Zustimmung erfahren.

Durch die beiden negativ ausgefallenen Referenden in Frankreich und den Niederlanden ist gegenwärtig freilich eine schwierige Situation eingetreten, welche die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union beeinträchtigt.

Die Idee, dass einige Staaten bei der Vertiefung der Europäischen Union ohne die Mitgliedstaaten, welche dem gegenwärtigen Verfassungsvertrag kritisch oder ablehnend gegenüber stehen, voranschreiten könnten, kann in meinen Augen keine gangbare Lösung für das bestehende Problem darstellen.

Zwar wäre es rechtlich möglich, dass wenige Mitgliedstaaten außerhalb der Europäischen Union ihre Zusammenarbeit weiter vertiefen, ein weiteres Voranschreiten einiger EU-Mitgliedstaaten im rechtlichen Rahmen der Europäischen Union bedürfte jedoch der Vertragsänderung, welcher alle Mitgliedstaaten zustimmen müssen. Auch erscheint es mir wichtig, dass bei einer Vertiefung der Zusammenarbeit innerhalb der EU sämtliche Mitgliedstaaten mit ihren Positionen berücksichtigt werden, um nicht eine EU der zwei Klassen entstehen zu lassen und den Gedanken der Einheit Europas nicht zu gefährden.

Der Verfassungsvertrag sieht in seinen Artikeln III-416 bis III-423 einen rechtlichen Rahmen für die verstärkte Zusammenarbeit einzelner Mitgliedstaaten vor. Umso wichtiger ist es daher, den stockenden Verfassungsprozess einer umsichtigen Lösung zuzuführen, damit dieses Rechtsinstrument genutzt werden kann.

Eine Herauslösung der Vorschriften über die verstärkte Zusammenarbeit aus dem Gesamtkontext des Verfassungsvertrages, wie sie in der öffentlichen Diskussion derzeit teilweise befürwortet wird, ist aus meiner Sicht allerdings abzulehnen. Es sollte auf jeden Fall vermieden werden, einzelne rechtliche Instrumente aus dem systematischen und regelungstechnischen Rahmen der übrigen Vertragsbestimmungen herauszulösen. Anderenfalls besteht die Gefahr, die wesentlichen Inhalte des mühsam erarbeiteten Verfassungskompromisses zu unterlaufen, wenn einzelne, den Partikularinteressen bestimmter Staaten günstige Bestimmungen aus dem auf ein umfassendes Regelungskonzept angelegten Verfassungsvertrag herausgegriffen werden würden.

Hinsichtlich Ihrer Frage nach dem Verhältnis von Erweiterung und Vertiefung der EU ist in meinen Augen festzuhalten, dass die EU vor weiteren Erweiterungsrunden ihr institutionelles Regelwerk an die drängenden Herausforderungen des 21. Jahrhunderts – namentlich den globalen Wettbewerb, den Kampf gegen internationalen Terrorismus und die Lösung sicherheitspolitischer Fragen, den Kampf gegen den Klimawandel oder die Lösung drängender sozialer Herausforderungen in den Mitgliedstaaten – anpassen und in die Lage versetzt werden muss, diese effizient zu bewältigen. Erst wenn eine Reform der EU diese handlungsfähiger und damit stärker gemacht hat, wird sie in der Lage sein, weitere Mitgliedstaaten aufzunehmen.

Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft will und wird ihren Beitrag leisten, auf die gegenwärtigen Herausforderungen die richtigen Antworten zu finden.

Mit freundlichen Grüßen

Matthias Wissmann