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Matthias Seestern-Pauly
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Frage von Michelle K. •

Frage an Matthias Seestern-Pauly von Michelle K. bezüglich Jugend

Sehr geehrter Herr Seestern-Pauly,

anlässlich meiner Facharbeit im Fach Deutsch habe ich mich eingehend mit dem Thema "Rassismus in Kinderliteratur" bzw. den unterschiedlichen Formen von Rassismus in literarischen Werken, welche an Kinder adressiert sind, beschäftigt. In diesem Rahmen kam auch die folgende Frage auf: Sollte Kinderliteratur, welche rassistische Formulierungen beziehungsweise Begrifflichkeiten aufweist, umgeschrieben werden? Wie stehen Sie als Mitglied der Kinderkommission zu dieser Frage?

Mit freundlichen Grüßen,
M. K.

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Antwort von
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Hallo Michelle,

vorneweg, als Politiker und ehemaliger Deutschlehrer freut es mich gleich doppelt, wenn sich ein junger Mensch sowohl mit Literatur als auch mit den dazugehörigen politischen Fragestellungen beschäftigt.

Zum Thema Rassismus kann es nur eine Haltung geben: hasserfüllte Ideologien haben in unserer vielfältigen Gesellschaft schlicht und einfach nichts zu suchen. Schilderungen in der Literatur, beispielsweise die Behandlungen von dunkelhäutigen Sklaven in „Die Abenteuer des Tom Saywers“ führen uns dabei vor Augen, zu welch menschlichen Abgründen derartige Ansichten führen. Rassistische Worte haben in unserer heutigen Alltagssprache ebenfalls nichts verloren.

In Bezug auf die Nutzung dieser Wörter in Kinderliteratur muss meiner Meinung nach jedoch differenziert werden. Zum einen wäre das Umschreiben von Literatur ein unzulässiger Eingriff in das künstlerische Werk eines Autors. Durch die Wahl seiner Sprache erzählt der Autor eine Geschichte, erzeugt aber gleichzeitig auch Gedanken und Gefühle. Hierzu wählte er die Worte aus, welche ihm zum Zeitpunkt der Entstehung angemessen erschienen. Würden nun ein Text heute umgeschrieben, würde man sich anmaßen, über die genauen Absichten des Autors bei der Niederschrift des Textes Bescheid zu wissen, was jedoch gerade bei verstorbenen Autoren unmöglich ist.

Zum anderen ist Literatur, auch Kinderliteratur, immer auch ein Abbild der Gesellschaft, in der sie entstanden ist. Der geschriebene Text steht nie für sich selbst, sondern immer in einem zeitgeschichtlichen Kontext. Dabei kann es natürlich vorkommen, dass Formulierungen, welche zur Entstehungszeit eines Textes noch als normal galten, heute inakzeptabel sind.

Im Fall von Kinderbüchern steht hierbei natürlich das Argument im Raum, dass Kinder noch nicht die Fähigkeit für eine solche Einordnung besitzen. An dieser Stelle müssen meiner Meinung nach zwei verschiedene Situationen betrachtet werden: Wird eine Geschichte von den Eltern vorgelesen oder liest das Kind schon selbst? Im ersten Fall liegt es an den Eltern, kindgerechte Geschichten, auch in einer angemessenen Sprache auszuwählen. Sind die Eltern der Ansicht, dass ein Kind bestimmte Begrifflichkeiten noch nicht richtig einordnen kann, besteht immer auch die Möglichkeit, Wörter und Formulierungen während des Vorlesens zu verändern. Hierzu bedarf es jedoch keiner vorherigen Zensur des Textes bspw. durch den Verlag.

Grade bei kleinen Kindern liegt es an den Eltern, angemessene Kinderbücher auszuwählen und sich mit ihren Kindern hiermit auseinander zu setzen und diese zu besprechen.
Indem man den Kindern einen kritischen Umgang mit Texten beibringt, lernen die Kinder nicht zuletzt zwei Dinge: Medienkompetenz und Empathie. Beides sind Fähigkeiten, die vor dem Hintergrund der immer größeren Rolle von Social-Media und dem Aufkommen von Phänomenen wie Fake-News oder Hate-Speech immer wichtiger werden. Denn auch hier müssen Kinder und Jugendliche die Kompetenz besitzen, Meldungen im Kontext zu sehen, Quellen zu bewerten und vor allem mit verletzenden Äußerungen umzugehen. Deshalb setzte ich mich auch für eine Förderung unserer Kinder zu mündigen Mediennutzern ein.

Liest ein Kind schon selbst, so glaube ich, ist es bereits selbst in der Lage zu selbst zu erkennen und einzuordnen, ob bestimmte Begriffe heutzutage noch angemessen sind oder mittlerweile zur Herabwürdigung genutzt werden. Zu Gedankengängen wie „ja, das hat man damals so gesagt, aber heute sagt man das nicht mehr, weil es Menschen traurig macht“, sind Grundschüler bereits fähig. Ich glaube tatsächlich auch, dass man den Kindern zu wenig zutraut, wenn man ihnen diese Fähigkeit von vornerein abspricht.

Demnach bin ich aus den oben beschriebenen Gründen gegen ein Umschreiben von Kinderliteratur und Literatur im Allgemeinen.

Ich hoffe, du hattest Erfolg mit deiner Facharbeit und wünsche dir weiterhin viel Spaß, sowohl am Lesen als auch an politischen Fragen.

Mit freundlichen Grüßen

Matthias Seestern-Pauly
Mitglied des Bundestages

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