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Matthias Miersch
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Frage von Frederik G. •

Frage an Matthias Miersch von Frederik G. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Miersch,

ich finde es gut und richtig das Sie gegen die Erhöhung der Diäten stimmen werden!

Allerdings stelle ich mir seit einigen Tagen eine Frage: "Die Diäten werden bei Vorliegen von Nebeneinkünften aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht entsprechend gekürzt." (So steht es in der Wikipedia)

Aber: Warum eigentlich nicht?
Ich verstehe die Diäten als Aufwandsentschädigung für geleistete Arbeit innerhalb des Mandates; ferner also als Gehalt. Nach meinem Verständnis ist diese Entschädigung dafür gedacht gewesen finanzielle Nachteile durch Ausübung des Mandates abzufedern. Eigentlich also eine sehr sinnvolle Sache um auch Mandatsträgern ohne "finanzielle Polster" die unabhängige Ausübung ihres Auftrags zu ermöglichen.

Allerdings sehe ich derzeit das sehr viele Abgeordnete Nebeneinkünfte in beträchtlicher Höhe angeben, welche sicherlich auch durch Zeitaufwändige Arbeit berechtigt sind.

Ich muss mich aber doch fragen: Wie schaffen es diese Abgeordneten dann ihr Mandat zu 100% (Denn genau dafür ist doch die Entschädigung) auszuüben??

Meiner Ansicht nach MÜSSEN die Diäten mit Nebeneinkünften verrechnet werden! Nur dann gibt es eine gerechte Bezahlung die auf dem Leistungsprinzip aufbaut; 100% Leistung für das Mandat = 100% Entschädigung.

Alles andere ist nicht mehr als "Fair" vermittelbar!

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Granna,

vielen Dank für Ihre Anmerkung und Ihre Fragen.

Da es nun in absehbarer Zeit keine neue Beschlussfassung über die Abgeordnetenbezüge geben wird, hoffe ich, dass die Zeit für eine grundsätzliche Aufarbeitung der gesamten Problematik genutzt wird. Deshalb spreche ich mich weiter für die Einrichtung einer externen Expertenkommission aus, um nicht wieder einfach nur das Thema „Abgeordnetenentschädigung“ zu verschieben. Neben der Frage der Angemessenheit der Diät und der Altersversorgung könnten dann auch die von Ihnen genannten Aspekte einfließen. Meine Position möchte ich an meiner eigenen Situation erläutern:

1. Wenn man als Abgeordneter gewählt wird, hat man diese Position gewissenhaft und optimal auszuüben. Sie schreiben von einer Ausübung zu „100 %“. Allerdings gibt es keine Definition dieser „100prozentigen“ oder „optimalen“ Ausübung. Wir haben z.B. keine Vorschriften über Arbeitszeiten, über die Mitarbeit in den Ausschüssen oder über die Frage der Ausgestaltung des Mandats in der sitzungsfreien Zeit (als Abgeordneter ist man ca. 23 Wochen im Jahr während der Sitzungswochen in Berlin - in den anderen Wochen ist man im Wahlkreis unterwegs). Es gibt auch keine Messmöglichkeit, wie schnell sich ein Abgeordneter in ein Gesetz einarbeitet, für das er z.B. als Berichterstatter zuständig ist. Letztlich müssen deshalb die Wählerinnen und Wähler sowie die Parteien beurteilen, ob ein Abgeordneter seinen Job gut macht und sie ihn direkt wählen bzw. aufstellen.

2. Ich bin 39 Jahre alt. Politisch aktiv zu sein, setzt nach meiner Auffassung stets ein gewisses Maß an Unabhängigkeit voraus. Nur so ist es möglich, Dinge zu hinterfragen und offen zu kritisieren. Seit elf Jahren habe ich mir als selbstständiger Rechtsanwalt eine berufliche Existenz aufgebaut. Diese will ich mir erhalten, zumal ich in meinem Alter nicht absehen kann, wie lange meine Abgeordnetentätigkeit andauert. Beurlaubungsmöglichkeiten und Rückkehrgarantien, wie im öffentlichen Dienst, in großen Firmen oder in Gewerkschaften und Verbänden üblich, gibt es für Selbstständige nicht. Schließlich steht auch die Existenz meiner Mitarbeiter auf dem Spiel, so dass ich die anwaltliche Tätigkeit eingeschränkt fortsetze. Leider wird durch die aktuelle Veröffentlichungsregelung der Eindruck erweckt, dass ein Anwalt die veröffentlichte Summe als zusätzliches Einkommen bezieht, dabei wird übersehen, dass es sich um Bruttoeinkünfte handelt. Für die Aufrechterhaltung der Kanzlei und für die Bezahlung der Mitarbeiter entstehen jedoch feste Kosten, so dass der wesentliche Teil der veröffentlichten Einnahmen für die Begleichung dieser Kosten aufgewendet wird, deshalb wünsche ich mir aussagekräftigere Transparenzregelungen, die vor allem ermöglichen, bestimmte Interessenskonflikte von Abgeordneten offen zu legen.

3. Verfassungsrechtlich ist es nach meiner Meinung unverzichtbar, jeder Abgeordneten und jedem Abgeordneten die volle Entschädigung zu zahlen. Andernfalls wäre nicht nur der Gleichheitssatz tangiert, sondern vor allem auch die Frage der Unabhängigkeit gem. Art. 38 GG. Letztlich würde bei einer entsprechenden Kürzung der Diäten unter Umständen nur noch die Zahlung eines Unternehmens oder eines Verbandes übrig bleiben. Allerdings ist Ihr Anliegen durch die steuerrechtliche Behandlung zu berücksichtigen. Hier bin ich schon der Auffassung, dass wir bei der Staffelung der Steuerklassen überlegen sollten, im Rahmen höherer Einkommensgruppen stärker zu differenzieren und auch stärker zu besteuern. Allerdings lässt sich diese Debatte mit dem derzeitigen Koalitionspartner nicht führen (siehe Debatte zur Vermögens-Reichensteuer).

4. Damit die Bürgerinnen und Bürger meine Arbeit als Bundestagsabgeordneter beurteilen können, versuche ich, mit den unterschiedlichsten Mitteln über meine Arbeit in Berlin und im Wahlkreis 47 zu berichten (Presse, Internet, Zeitung „WK 47“, öffentliche und parteiinterne Veranstaltungen, Schulbesuche, Firmenbesichtigungen…). Ich bin fest davon überzeugt, einen Weg gefunden zu haben, der die optimale Wahrnehmung des Mandats bei Beibehaltung der entsprechenden Unabhängigkeit gewährleistet. Vielleicht hilft dabei auch, dass man als Jurist natürlich mit der Materie der Gesetzgebung vertraut ist und ich als Anwalt auch frei bestimmen kann, wann man die eine oder andere Sache aufarbeitet.

Sehr geehrter Granna, ich hoffe, Ihnen meine Gedanken in der gebotenen Ausführlichkeit dargelegt zu haben. Letztlich wird es auch in der von mir angeregten Debatte über den Status der Abgeordneten um die Frage gehen müssen, wie ein breiter Querschnitt der Bevölkerung abgebildet werden kann und wie Unabhängigkeit und Qualifikation gesichert werden können. Da Sie im Wahlkreis 47 wohnen, würde ich mich freuen, wenn wir im Rahmen der einen oder anderen Veranstaltung uns auch einmal persönlich austauschen können.

Mit freundlichen Grüßen
Matthias Miersch

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