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Matthias Miersch
SPD
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Frage von Frederik G. •

Frage an Matthias Miersch von Frederik G. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Miersch,

zu meinem Bedauern stelle ich fest das fast 80% der SPD-Abgeordneten für den Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung gestimmt haben.

Bekannt ist das mit dem Gesetz eine Schlechterstellung von Journalisten, Rechtsanwälten, Ärzten und Therapeuten gegenüber anderen Berufsgeheimnisträgern vorgenommen wurde.

Was hat Sie dazu bewogen diesem zweifelhaften Gesetzentwurf zuzustimmen?

Desweiteren halte ich es für ziemlich "wunderlich" und beschämend, dass kein Abgeordneter einmal Rückgrat zeigt und Herrn Schäuble in seine Schranken weist! Es ist wiederwärtig wie ein Innenminister, der eigentlich diesen Staat schützen sollte, so massiv gegen das Grundgesetz und die Grundrechte jedes einzelnen arbeitet und damit dem eigenen Volk, welches er vertreten sollte, ins Gesicht schlägt...

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Granna,

vielen Dank für Ihre Mail zur Vorratsdatenspeicherung.

Sie sprechen mehrere Komplexe an, so dass ich auch jeweils gesondert antworten möchte:

1. Soweit Sie das „Rückgrat“ von Abgeordneten im Zusammenhang mit den Plänen des Innenministers ansprechen: Aus meiner alltäglichen Arbeit heraus bin ich fest davon überzeugt, dass es vor allem die SPD-Rechtspolitiker und die Justizministerin sind, die bislang stets Innenminister und Verteidigungsminister in ihre Schranken gewiesen haben. Sie kennen sicher die teilweise absurden Pläne. Auf der anderen Seite gibt es auch eine Verunsicherung in der Bevölkerung, die sicher auch auf eine latent geschürte Terrorhysterie zurückzuführen ist. Häufig wird den Menschen vorgemacht, dass man hundertprozentige Sicherheit mit der Aushöhlung rechtsstaatlicher Prinzipien erreichen kann. Dieses wird nicht möglich sein. Auf der anderen Seite erfordern neue Technologien auch eine Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten wirksamer Verbrechensverhinderung und Verbrechensbekämpfung – zumal auf Ebene der Europäischen Union häufig Entscheidungen getroffen werden, die sehr weit gehen. Es ist deshalb sehr sorgfältig abzuwägen, an welchen Stellen Widerstand zu leisten ist.

2. Bei der Vorratsdatenspeicherung sehe ich verfassungsrechtliche Probleme. Das Bundesverfassungsgericht wird die unterschiedlichen Aspekte, die auch im Rahmen der Anhörung eine große Rolle gespielt haben, abzuwägen haben. Ich habe gem. § 31 GO eine Stellungnahme abgegeben, in der es u.a. heißt:

„ Trotz schwerwiegender politischer und verfassungsrechtlicher Bedenken werden wir im Ergebnis dem Gesetzentwurf aus folgenden Erwägungen zustimmen.

1. Grundsätzlich stimmen wir mit dem Ansatz der Bundesregierung und der Mehrheit unserer Fraktion dahingehend überein, dass die insbesondere durch den internationalen Terrorismus und dessen Folgeerscheinungen entstandene labile Sicherheitslage auch in Deutschland neue Antworten benötigt. Dabei sind wir uns auch bewusst, dass insbesondere durch die rasante Entwicklung der Telekommunikation auch in diesem Bereich Maßnahmen zur Verhinderung schwerster Straftaten notwendig sind.

2. Auf der anderen Seite ist jedoch zu beachten, dass – nicht zuletzt befördert durch die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – Freiheitsrechte wie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung konstitutiven Charakter für die Existenz unseres Gemeinwesens haben und die Beachtung dieser Rechte immer wieder angemahnt wurde. Wir erinnern an die Entscheidungen zur Volkszählung, zur „akustischen Wohnraumüberwachung“, zum Luftsicherheitsgesetz oder zum niedersächsischen Polizeigesetz.

3. In diesem Abwägungsprozess gilt für uns, dass Sicherheit keinen Vorrang vor Freiheit genießen darf, will man beides gewährleisten. Weder gibt unsere Verfassung ein Grundrecht auf Sicherheit her, noch ist vorstellbar, dass es ohne Abschaffung der Freiheit eine absolute Sicherheit gegen jedwede Gefährdung durch kriminelles Handeln geben kann.

4. In den letzten Jahren hat es eine zunehmende Tendenz gegeben, ohne die Effektivität bestehender Gesetze zu überprüfen, mit neuen Gesetzen vermeintlich Sicherheit zu erhöhen und Freiheitsrechte einzuschränken. Der vorliegende Gesetzentwurf befördert diesen Paradigmenwechsel und ist deshalb bedenklich. Am Beispiel der sog. Vorratsdatenspeicherung sei dies verdeutlicht: Mit dem Gesetz werden die Telekommunikationsunternehmen zum ersten Mal verpflichtet, die im Gesetz aufgeführten Daten zum Zwecke u.a. der Strafverfolgung über einen Zeitraum von 6 Monaten zu speichern. Das ist natürlich ein gravierender Unterschied zur bisherigen Rechtslage, wonach den Unternehmen gestattet war, zu Abrechnungszwecken die entsprechenden Daten bis zu 6 Monaten zu speichern. Aus dem Recht der Unternehmen wird eine Verpflichtung, auch zu anderen Zwecken. Damit ist die Einschätzung nicht von der Hand zu weisen, dass hier ein Generalverdacht gegen alle Bürger entsteht, die solche Kommunikationsmittel benutzen, ohne dass für die Speicherung als solcher ein konkretes Verdachtsmoment bestehen muss. Ähnliche Bedenken gelten auch hinsichtlich der Regeln im Bereich der Telekommunikationsüberwachung hinsichtlich der unterschiedlichen Behandlung sogenannter Berufsgeheimnisträger. So ist uns z.B. nicht ersichtlich, warum Abgeordnete des Deutschen Bundestages einen höheren Schutz genießen sollen als Rechtsanwälte, Ärzte und insbesondere unter der Geltung des Art. 5 GG auch Journalisten.

5. Wir werden diesem Gesetzentwurf trotz dieser Bedenken zustimmen, weil es den Rechtspolitikern unserer Fraktion gelungen ist, hohe Hürden für die Umsetzung dieser problematischen Restriktionen einzuziehen. Ein generell geltender Richtervorbehalt z.B. für den Zugriff auf bei den Telekommunikationsunternehmen anlasslos gespeicherte Verbindungsdaten, das ausdrückliche Verbot des Rückgriffs auf Informationen, die zum Kernbereich der privaten Lebensgestaltung gehören, die Beschränkung des Zugriffs und der Verwertung auf „Straftaten von erheblicher Bedeutung“ machen den dargestellten Paradigmenwechsel weniger unerträglich. Auch die erfolgreichen Bemühungen der Bundesregierung, Veränderungen bei der EU-Richtlinie 2006/24/EG herbeizuführen (so war dort für die Vorratsdatenspeicherung ein Zeitraum von 36 Monaten vorgesehen), werden ausdrücklich gewürdigt. Der Gesetzentwurf trägt deshalb nach unserer Auffassung nicht den Makel der offensichtlichen Verfassungswidrigkeit auf der Stirn wie beispielsweise die Vorschläge aus dem Innen- bzw. Verteidigungsministerium zur on-line- Durchsuchung , zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren über die Vorschriften des Art. 35 Abs. 2,3 GG hinaus oder gar zur Neuauflage eines Luftsicherheitsgesetzes.“

Mit freundlichen Grüßen

Matthias Miersch

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