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Matthias Miersch
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Frage von Brigitte D. •

Frage an Matthias Miersch von Brigitte D. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Dr. Miersch,
wäre es gegenüber den Wählerinnen und Wählern nicht angebracht, wenn alle Parteien vor den Bunde- und Landtagswahlen die Personen für die zu besetzenden Ministerien benennt, natürlich den Wahlsieg vorausgesetzt. Weiterhin müßte es verpflichtend sein, alle Koalitionsvereinbarungen auch verpflichtend in der jeweiligen Legislaturperiode umzusetzen. Es sollte doch möglich sein, diese Vereinbarungen auch mit einer entsprechenden Rechtssicherheit auszustatten.
Mit freundlichen Grüßen
Brigitte Doering

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Antwort von
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Sehr geehrte Frau D.,

vielen Dank für Ihre Anfrage, welche ich nachfolgend gerne beantworten werde.

Sie stellen interessante Fragen, deren Intention ich nachvollziehen kann. Warum Ihre Vorschläge in der Praxis dennoch schwierig sind, versuche ich nachfolgend deutlicher zu machen. Der Deutsche Bundestag ist mit seinen Abgeordneten das einzige Verfassungsorgan, welches direkt vom Volk gewählt wird. Bundestagsabgeordnete vertreten hier nach Art. 38 GG das ganze Deutsche Volk und sind bei Entscheidungen nicht an Weisungen und Aufträge gebunden, sondern nur ihrem eigenen Gewissen unterworfen. Ihr Vorschlag, die Umsetzung von Koalitionsvereinbarungen rechtlich verpflichtend zu machen, steht hierzu im Widerspruch. Abgeordnete wären nicht mehr frei sondern einem Vertragswerk unterworfen. Ein „Koalitionsvertrag“ ist letztlich eine Absichtserklärung zwischen Parteien sich an einer Koalition zu beteiligen.
Sehr geehrte Frau D., ich habe mir in der jüngeren Vergangenheit intensiv Gedanken zum Thema „Koalitionen“ insgesamt gemacht. Da dies indirekt mit Ihrer Frage zusammenhängt, möchte ich Ihnen meine Überlegungen dazu in aller Kürze skizzieren. Vorweg möchte ich gern darauf hinweisen, dass es auf Bundesebene eine gute und für die Arbeitsfähigkeit wichtige demokratische Gepflogenheit ist, zu vereinbaren, dass Fraktionen in einer Koalition gleichwohl wie sich diese zusammensetzten, gemeinsam abstimmen. Ich fordere jedoch, dass künftige Koalitionen die Möglichkeit zu flexibleren Bündnisformen erhalten sollten. Ich bin mir sicher, dass wir über neue Regierungsformen reden werden müssen, gerade bei möglichen Dreierbündnissen. Nach den gescheiterten Jamaika-Verhandlungen im Nachgang der Bundestagswahl 2017 habe ich daher ein Modell einer Kooperations-Koalition (in den Medien als „KoKo" tituliert) vorgeschlagen: Hier würde nicht alles bis ins letzte Detail ausgehandelt, sodass jede Seite die Freiheit hätte, bei bestimmten Sachthemen eigenständig abzustimmen und Mehrheiten jenseits der eigentlichen Koalition suchen zu können. So könnte man im Bundestag zeigen, wer für was steht und wie wir um den besten Weg ringen. Ich konnte mich mit meinem Vorschlag damals leider nicht durchsetzen. Auch wenn ich mit der Suche nach einem alternativen Weg bislang gescheitert bin, so glaube ich, dass die Aufnahme der Revisionsklausel in den aktuellen Koalitionsvertrag zur Hälfte der Periode ein Punkt ist, der aus diesen Debatten hervorgegangen ist. Ich sehe hierin ein scharfes Schwert, das dazu führen muss, dass die großen Entscheidungen, die im Koalitionsvertrag angelegt sind, bis Ende 2019 umgesetzt worden sein müssen. Es ist aus meiner Sicht insofern ein Druckmittel der SPD, die Unionsparteien dazu zu bewegen, vereinbarte Projekte nicht zu blockieren.

Sie stellen auch die Frage, ob Parteien nicht vorher die Personen benennen sollten, die bei einer möglichen Regierungsbeteiligung Minister werden würden. Auch die Intention hinter dieser Frage kann ich verstehen. Wer möchte nicht gerne die „Mannschaften“ kennen, die durch ein Wahlkreuz auf dem Platz stehen könnte? Hierzu ist zunächst zu sagen, dass die SPD stets den Anspruch hatte, für ihre Inhalte gewählt zu werden. Köpfe spielen natürlich dennoch eine Rolle, weswegen es ja z. B. die Kanzlerkandidatin oder den Kanzlerkandidaten gibt, welche meist ein Schattenkabinett oder ein Kompetenzteam vorstellen. Dennoch ist es schwierig, Minister selbst im Falle eines Wahlsieges vorher zu benennen, da in aller Regel mindestens ein Koalitionspartner benötigt werden würde. Dies hat zweierlei zur Folge: Zum Einem gehört der finale Ressortzuschnitt in der gelebten Praxis zur Verhandlungsmasse zwischen den möglichen Koalitionären, d.h. man kann vor einer Wahl nie zu 100 Prozent bestimmt sagen, welche Themen in welchem Ministerium zukünftig bearbeitet werden. Zum anderen weiß man auch nicht im Vorhinein, welche Partei am Ende welches Ministerium führen wird. Ein Selbstanspruch der SPD bei Personalfragen ist aber z.B. die Parität zwischen den Geschlechtern. Zur Wahrheit gehört ferner, dass in der SPD bis zu einem gewissen Punkt ein Regionalproporz gelebt wird, damit z. B. nicht nur Genoss*innen aus Niedersachsen für die Partei in der Bundesregierung sitzen oder nur Oldenburger*innen in der Landesregierung. Wegen dieser gelebten, gewachsenen und bis zum einem gewissen Punkt auch sicherlich gerechtfertigten Praktiken, bitte ich um Verständnis, dass ich nicht sehe, wie der nachvollziehbare Wunsch, Minister vorher verbindlich zu benennen, in näherer Zukunft umgesetzt werden könnte.

Sehr geehrte Frau D., ich hoffe, dass ich Ihnen mit meinen Zeilen meine Haltung zu den von Ihnen aufgeworfenen Fragen nachvollziehbar aufzeigen konnte.

Mit freundlichen Grüßen
Matthias Miersch

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