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Matthias Miersch
SPD
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Frage von Dr. Lienhard W. •

Frage an Matthias Miersch von Dr. Lienhard W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Lieber Matthias Miersch,

meine Frage an Sie: wie will die SPD die einfachen Leute wiedergewinnen?

Unter Gerhard Schröder hat die SPD gemeinsam mit den Grünen neoliberale Politik gemacht. Mit dem radikalsten Sozialabbau seit Bestehen der Bundesrepublik, mit Privatisierung und Deregulierung hat die SPD das zerstört, wofür sie immer stand: Partei der sozialen Gerechtigkeit zu sein. Die SPD hat ihre Stammwähler gekränkt und ist zur Honoratiorenpartei geschrumpft. Und als weitere Folge davon ist die Infrastruktur unseres Landes ist immer noch marode.

Lange Zeit hat die Partei versucht, mit dem Personal aus der Schröder-Ära Furore zu machen. Das hat nicht funktioniert. Jetzt wird immer wieder Finanzminister Olaf Scholz, der Verfechter der „schwarzen Null“, als möglicher Kanzlerkandidat genannt. Minister Scholz wird als solider Technokrat wahrgenommen, der die Unterstützung von Andrea Nahles genießt. Kann man mit diesem Personal eine Wahl gewinnen?

Die Grünen haben inzwischen mit Robert Habeck ein neues Gesicht an die Spitze gestellt. Habeck ist jemand, der auf nachdenkliche Weise Klartext redet. Ein unbelastetes neues Gesicht und eine neue Sprache.

Habeck behandelt die Wähler als intelligente Menschen, mit denen man offen reden kann, ohne sich in die üblichen Floskeln zu flüchten. Er nennt Probleme beim Namen und denkt lösungsorientiert.

Mit FRANZISKA GIFFEY hat die SPD immerhin ein Gesicht, das für einen Neuanfang stehen könnte. Eine Frau, die offen redet und im Fernsehen zugewandt und bürgernah rüberkommt. Wäre es nicht an der Zeit, diese Ministerin jetzt als Kandidatin für die nächste Kanzlerwahl aufzubauen?

Ich weiß, diese Frage ist delikat. Zu delikat, als daß ich auf eine ungeschminkte Antwort hoffen könnte?

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Dr. W.,

vielen Dank für Ihre Anfrage, zu der ich mich nachfolgend gern äußern möchte.

Natürlich gibt es nicht den „einen“ Weg, „einfache“ Menschen wieder von der SPD zu begeistern. Entscheidend ist für mich aber, dass wir als Sozialdemokraten für einen handlungsfähigen Staat stehen, der den Bürger*innen innere und soziale Sicherheit gibt. Dieser muss von denen, die mehr haben, auch entsprechend finanziert werden, damit wir Solidarität leben können, wenn jemand z.B. krank oder arbeitslos wird. Hier hat die SPD im Rahmen der Arbeitsmarktreform ihren Markenkern verletzt – jemand wird im Falle der Arbeitslosigkeit relativ schnell so behandelt wie jemand, der noch nie zuvor gearbeitet hat. Dass Lebensleistung dabei nicht ausreichend berücksichtigt wird, empfinden bis heute viele Menschen zurecht als ungerecht. Das müssen wir ändern, wie viele andere Dinge auch. Insofern habe ich bereits kurz nach der vergangenen Bundestagswahl einige Gedanken aufgeschrieben, die aktuell auch im Rahmen des „Erneuerungsprozesses“ der SPD diskutiert werden:

„Zwölf Thesen für die inhaltliche Weiterentwicklung der SPD: Zusammenhalt und Zukunftsfähigkeit“

1.
Wir erkennen an, dass die großen Herausforderungen der Menschheit nur international zu lösen sind. Deshalb wollen wir das Prinzip der Solidarität stets national, europäisch und global denken. Dafür sind demokratische Institutionen und politische Rahmenbedingungen notwendig. Markt und Wachstum sind nicht per se nachhaltig und sozial. Gefragt sind neue gesellschaftspolitische Antworten auf neue Herausforderungen angesichts von Globalisierung und Digitalisierung. Die Debatten in der SPD über die Freihandelsabkommen TTIP und CETA dürfen erst den Beginn der Suche nach zukunftsfähigen Politikansätzen bilden. Die Vereinbarung der Vereinten Nationen über Globale Nachhaltigkeitsziele (SDG`s) und das Pariser Klimaschutzabkommen müssen Grundlagen für das Handeln auf allen politischen Ebenen sein, um Hunger, Armut und Klimawandel zu überwinden.

2.
Wir setzen trotz und gerade angesichts der Globalisierung darauf, dass die Gesetzgeber auf internationaler, nationaler und regionaler Ebene ihre Kompetenzen ausschöpfen, um eindeutige Rahmenbedingungen für das Zusammenleben festzulegen. Wir wollen staatliche Mindestgarantien für ein Leben in Würde schaffen, die verlässlich und verständlich sind. Wo nötig, stellen wir dafür auch Althergebrachtes infrage. Mit dem Mindestlohn und dem damit verbundenen Eingriff in die Tarifautonomie haben wir es vorgemacht. Diesen Weg wollen wir weitergehen, beispielsweise im Bereich der Pflege mit einem gesetzlich festgelegten Mindestpersonalschlüssel, denn über Mindeststandards in Pflegeeinrichtungen oder über die ärztliche Versorgung auf dem Land dürfen nicht die Krankenkassen oder kassenärztliche Vereinigungen entscheiden. Die Sozialgesetzgebung muss überdies so reformiert werden, dass jedem Kind und jedem Erwachsenen eine armutssichere Existenz und soziale Teilhabe garantiert wird.

3.
Die sozialen Sicherungssysteme wollen wir grundsätzlich umbauen, indem eine Bürgerversicherung im Gesundheitswesen und eine Erwerbstätigenversicherung im Bereich der Altersversorgung geschaffen werden. Versicherungsfremde Leistungen sind völlig auszugliedern. Wir müssen uns entscheiden, ob die staatliche Garantie die entscheidende Säule sein soll. Die Versuche, z.B. über Direktversicherungen private Vorsorge zu erreichen, um sie anschließend mit Beiträgen und Steuern zu belasten, haben das Vertrauen vieler Bürgerinnen und Bürger erschüttert.

4.
Die Zukunft der Arbeit wollen wir neu denken. U.a. durch die Digitalisierung werden Arbeitszeitmodelle, Arbeitsrecht und kollektive Interessensvertretungen neu justiert werden müssen. Auch die Selbstständigkeit wandelt sich, Solo-Selbstständige gehören in die gesetzlichen Sicherungssysteme aufgenommen. Beschäftigung muss garantiert werden – mit einem öffentlichen Beschäftigungssektor und der Garantie für Qualifizierung.

5.
Die Schere zwischen Arm und Reich ist nur durch eine viel stärkere Besteuerung großer Einkommen und Vermögen zu verringern. Die Mehreinnahmen wollen wir zweckgebunden in die Infrastruktur investieren: bezahlbarer Wohnraum, Bildung, Breitbandausbau. Die Steuerflucht großer Konzerne muss endlich beendet werden – auch daran muss sich staatliche Steuerungsfähigkeit messen lassen.

6.
Die planetaren Grenzen müssen wir akzeptieren und daran unsere politischen Instrumente (z.B. Steuern, Subventionen) ausrichten, um angesichts endlicher Ressourcen Verteilungsgerechtigkeit zu garantieren. Insbesondere die internationale Handelspolitik muss diesen Dr. Matthias Miersch, 14. November 2017 2 Gegebenheiten angepasst werden – Freihandel kann auf Zölle verzichten, aber auf Standards mit konkreten Beschwerde-, Überprüfungs- und Sanktionsmechanismen nicht!

7.
Einwanderung bedeutet für uns Chance und Herausforderung zugleich. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass auch in der SPD die Diskussion über dieses Themenfeld noch nicht abgeschlossen ist. Auf jeden Fall brauchen wir ein fortschrittliches Einwanderungsrecht, ein verfassungsrechtlich unumstößliches Asylrecht, aber auch ein Diskurs wie Integration gelingen kann.

8.
Wir brauchen wieder einen klaren Kompass in der Daseinsvorsorge, der jede Form der Privatisierung entsprechender Bereiche untersagt. Bezahlbarer Wohnraum wird nur mit staatlichem Handeln zu schaffen sein. Die Flucht in privatrechtliche Organisationsstrukturen, wie z.B. bei der Deutschen Bahn, ist nicht zielführend.

9.
Wir ziehen die richtigen Lehren aus dem neoliberalen Zeitalter und werden auf dem Feld der Wirtschaftspolitik einen Gegenentwurf zu neoliberalen Konzepten formulieren. Es ist bezeichnend, dass die Berichterstattung über Aktienkurse regelmäßig in den Medien einen breiten Raum einnimmt, ohne andere Werte zu berücksichtigen. Unternehmen sollen in die Lage versetzt werden, neben monetären Unternehmenszielen auch gesellschaftliche Gemeinwohlinteressen zu verfolgen. Wir brauchen eine Debatte über alternative Wirtschaftsmodelle, nachhaltige Gesellschaftsformen und über die Beschränkung der Marktmacht bestimmter Unternehmen.

10.
Bildung ist der Schlüssel für soziale Gerechtigkeit. Föderale Grenzen in unserer Bildungspolitik wollen wir überwinden. Gebührenfreiheit und gute Qualität sind Leitplanken künftiger Bildungspolitik.

11.
Die SPD ist Friedenspartei. Das erfordert eine Grundsatzdebatte über Rüstungsexporte, über die Rolle Deutschlands in internationalen Bündnissen und die Ausrichtung der Bundeswehr.

12.
Demokratie muss neu belebt werden. Wir werden uns dazu insbesondere mit Veränderungen für Parlamentarismus, Partei und Planungsrecht auseinandersetzen. Gerade die Kommunen können zum Ort gelebter Bürgerbeteiligung und Partizipation werden (u.a. durch Multi-Stakeholder-Räte). Und nach erfolgreichen Wahlen: Wir werden bei einer künftigen Regierungsbeteiligung bei der Suche nach Kompromissen in einer Koalition immer darauf achten, dass die Glaubwürdigkeit und der Markenkern unserer Partei gewahrt werden. Die Einführung von messbaren Indikatoren in Koalitionsverträgen können ein Instrument sein, Wert und Sinn einer Regierung unter Beteiligung der SPD aufzuzeigen.

Das grundsätzliche Interesse von Bürger*innen an Personalfragen kann ich nachvollziehen. Ich möchte mich an dieser Stelle aber – wie Sie meinen vorhergehenden Zeilen entnehmen können – vor allem auf die Erarbeitung von Inhalten konzentrieren.

Mit freundlichen Grüßen
Matthias Miersch

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