Frage an Matthias Miersch von Gerrit J. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Sehr geehrter Herr Miersch,
Das niedersächsische Bildungssystem ist aktuell ein Flickenteppich. Im städtischen Bereich dominieren Gymnasien und integrierte Gesamtschulen, auf dem Land Kooperative Gesamtschulen, Oberschulen und Gymnasien. Bildungsforscher sind sich einig, dass das aktuelle Schulsystem an der Entwicklung unserer Kinder vorbeigeht und Integration sowie Inklusion mit allen Konsequenzen (Neudenken von Unterricht, Öffnung im Sinne von jahrgangs- und fächerübergreifendem Unterricht, Lernbüros, Projektunterricht, etc) sowie die Aufhebung der Dreigliedrigkeit, die heute nur noch eine Zweigliedrigkeit ist, unumgänglich sind.
Warum werden gerade in Hannover die Gymnasien so gebauchpinselt obwohl ihre Daseinsberechtigung zumindest fragwürdig ist?
Sehr geehrter Herr J.,
haben Sie vielen Dank für Ihre Anfrage vom 22. August 2017, die ich gerne beantworte.
Ich muss zunächst darauf hinweisen, dass leider die Mitspracherechte des Bundes bei der Bildungspolitik sehr begrenzt sind. Bei der Debatte um die so genannte Föderalismusreform I habe ich deshalb gegen das Verbot gestimmt (Kooperationsverbot), dass es dem Bund untersagt, in den Bildungsbereich der Länder zu investieren. Viele Probleme würden leichter zu bewerkstelligen sein, wenn der Bund zumindest die Länder finanziell unterstützen könnte. Auf die Änderungsvorschläge der SPD diesbezüglich komme ich deshalb am Ende noch einmal zu sprechen.
Unter Bezugnahme auf Ihre Aussage, dass die „Gymnasien gebauchpinselt würden, obwohl ihre Daseinsberechtigung fragwürdig sei“, muss ich auf die unterschiedlichen Meinungen in unserer Gesellschaft hinweisen. Eine Schulneugründung bzw. eine Änderung der Schulform ist bis zur Antragstellung bei der Landesschulbehörde ein umfangreicher Prozess, bei dem viele unterschiedliche Interessen berücksichtigt werden müssen. In Hannover – sowie auch in den Kommunen meines Wahlkreises (z. B. in Lehrte und Sehnde) – wurden deshalb in der Vergangenheit bei Gründungen von Gesamtschulen im Vorfeld immer Lehrer- und Elternbefragungen durchgeführt, um ein breites Stimmungsbild zu erhalten. Die hohen Beteiligungsquoten der Eltern an den Befragungen und die hohe Prozentzahl der Eltern, die sich für eine Beschulung ihrer Kinder an Integrierten Gesamtschulen aussprechen, machen im Ergebnis deutlich, dass unter der Bevölkerung ein großes Interesse an der Errichtung weiterer Gesamtschulen besteht.
In Sehnde hat man sich zum Beispiel dazu entschieden, kein Gymnasium zu gründen, sondern eine Kooperativen Gesamtschule, die nun sogar noch erweitert wird.
Seit dem Schuljahr 2009/10 sind in Hannover fünf neue IGSen (u.a. Büssingweg, Südstadt, Bothfeld) eingerichtet worden, sodass sich aktuell eine Gesamtanzahl von 11 IGSen ergibt. Demgegenüber wurde in den vergangenen Jahren nur ein neues städtisches Gymnasium in Limmer (Schuljahr 2016/2017) gegründet. Die Neugründung des Gymnasiums kam zu Stande, da in den vergangenen Jahren mit der Wasserstadt Limmer ein komplett neuer Stadtteil entstanden ist. Zusätzlich starteten in dem Schuljahr (2016/2017) neue Oberschulen ihren Betrieb.
In den kommenden Jahren soll die Attraktivität der IGS für Schüler*innen mit dem Ziel, das Abitur abzulegen, gesteigert werden, indem weitere Oberstufen (-kooperationen) gegründet werden. Aktuell bieten fünf IGSen eine gymnasiale Oberstufe an. Es handelt sich dabei um die IGS Kronsberg, IGS Linden, IGS Leonore-GoldschmidtSchule – IGS Mühlenberg, IGS Roderbruch und die IGS Büssingweg. Diese Zahl soll – auch vor dem Hintergrund der steigenden Anmeldezahlen für gymnasiale Oberstufe der IGSen – weiter erhöht werden. Dies begrüße ich ausdrücklich.
Auf der anderen Seite gibt es aber auch Befürworter des klassischen dreigliedrigen Schulsystems, sodass ein „Schulfrieden“ gewahrt werden soll, in dem die oben dargestellte Abwägung innerhalb der Bevölkerung getroffen wird.
Abschließend lassen Sie mich bitte betonen, dass ich der festen Überzeugung bin, dass die Bildungspolitik in das Zentrum aller politischen Ebenen gehört. Das gilt auch für neue Schulformen, neue Lernmethoden und die entsprechende Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer. Deshalb begrüße ich die am 28. August 2017 von Martin Schulz und den sieben SPD-Ministerpräsident*innen vorgestellte „nationale Bildungsallianz“ für Deutschland.
Hierin fordert Martin Schulz unter anderem, dass die Bundesländer sich auf gemeinsame, bundesweite Bildungsstandards bei den Schulabschlüssen einigen müssen. Im Rahmen der Bildungsallianz müssen dann auch genau die von Ihnen benannten Punkte – Neudenken von Unterricht, Veränderung der Lehrerausbildung, Praxis im Unterricht uvm. – thematisiert werden.
Einen Link zur Kurzfassung des Papiers finden Sie hier: https://www.spd.de/fileadmin/user_upload/Paper_A4_Nationalen_Bildungsallianz.pdf .
Mit herzlichen Grüßen!
Ihr Matthias Miersch