Frage an Matthias Miersch von Michael K.
Sehr geehrter Herr Miersch,
am 04.12.2015 haben Sie dem Mandat zum Einsatz deutscher Streitkräfte gegen den IS in Syrien zugestimmt. In diesem Mandat beruft sich die Bundesregierung auf die UN-Resolution 2249 ( http://www.un.org/depts/german/sr/sr_15/sr2249.pdf ), in der jedoch keine friedenserzwingende Massnahmen nach Kapitel VII der UN-Charta in Syrien angeordnet wurden.
Als weitere Rechtsgrundlagen bezieht sich die Bundesregierung auf das Selbstverteidigungsrecht Frankreichs nach Kapitel VII Artikel 51 der UN-Charta und in Folge davon auf die Beistandsverpflichtung der Bundesrepublik Deutschland nach Artikel 42 Absatz 7 des EU-Vertrages.
Der Artikel 51 der UN-Charta bezieht sich nur auf Konflikte zwischen Staaten. Der militärische Kampf gegen Terroristen (=Kriminelle) ist damit nicht gedeckt, zumal die meisten Pariser Attentäter französische Staatsbürger waren.
In der UN-Resolution 2249 wird dazu aufgerufen, die Finanzströme an den IS zu unterbinden. Bekanntlich sind Unterstützer des IS (z.B. Katar und Saudi Arabien) Partner in der Koalition gegen den IS.
Warum wurden keine Sanktionen gegen die Unterstützer des IS verhängt?
Aus welchen Gründen haben Sie diesem Mandat zugestimmt?
Hat der Parteitag der SPD vom 10.12. - 12.12.2015 in Berlin Einfluss auf die übereilte Abstimmung?
Für die Beantwortung meiner Fragen danke ich Ihnen im voraus.
Michael Kaußen
Sehr geehrter Herr Kaußen,
haben Sie vielen Dank für Ihre Anfrage zum Thema „Einsatz deutscher Streitkräfte gegen den IS in Syrien“ vom 6. Dezember 2015.
Gerne erläutere ich Ihnen folgend die Gründe meines Abstimmungsverhaltens:
Wer mein Abstimmungsverhalten in den letzten Jahren verfolgt hat, wird erkennen, dass ich bei entsprechenden Einsätzen immer mit mir gerungen habe. Einigen Einsätzen in Afghanistan und auch der Bewaffnung der Kurden im Irak habe ich z.B. nicht zugestimmt. Auch die Entscheidung zum „Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch die Terrororganisation IS“ ist für mich persönlich nicht einfach gewesen. Ich habe großen Respekt vor allen Kolleginnen und Kollegen, die dem Einsatz nicht zugestimmt haben. Nach langem Abwägen bin ich allerdings zu dem Ergebnis gekommen, dem Einsatz zuzustimmen.
In einer Zeit, in der eine polnische Regierungschefin die Europafahnen aus Sitzungsräumen entfernen lässt, ein ungarischer Präsident europäische Werte mit Füßen tritt und die Slowakei gegen EU-Beschlüsse klagt, bekommt die Beistandsbitte Frankreichs noch einmal eine ganz besondere Bedeutung auch für die Stabilität der EU. Wie Sie auch in Ihrer E-Mail darstellen, wird über die Rechtsgrundlagen des Einsatzes sicher weiter gestritten werden. Im Gegensatz zu den Waffenlieferungen an die Peschmerga-Kämpfer gibt es aber mehrere Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, die zum Widerstand gegen die Terrororganisationen IS aufrufen. Auch die erstmals herangezogenen Grundlagen aus dem EU-Vertrag sind vor dem Hintergrund der oben dargestellten Entwicklung wichtig.
Der Einsatz wird die Terrororganisation IS nicht beseitigen. Auch sind nach wie vor viele Fragen nicht geklärt. So gilt es beispielsweise die Rolle Saudi-Arabiens im Zusammenhang mit dem IS kritisch zu hinterfragen.
Am Beispiel Afghanistan sehen wir die Probleme, die mit entsprechenden Einsätzen verbunden sind. Deshalb ist es mir wichtig, einen entscheidenden Unterschied zum Einsatz in Afghanistan zu benennen. Parallel zur Verabschiedung bzw. zum Einsatz in Syrien fanden in Wien auf Initiative des deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier Gespräche über die politische Zukunft Syriens ohne den IS statt. Die Gemengelage ist äußerst kompliziert. Aber es gibt vorsichtige Annäherungen der unterschiedlichen Gruppen, so dass der Einsatz des Militärs nur ein Baustein in diesem Konstrukt sein kann, wie z.B. das Vorgehen gegen die finanzielle Unterstützung und die Öllieferungen des IS weitere Bausteine sein müssen. Mit Blick auf die Syrien-Konferenz betonte Außenminister Frank-Walter Steinmeier: „Zum ersten Mal wird ein erster Schimmer einer politischen Lösung des Syrien-Konflikts sichtbar. Aus diesem Hoffnungsschimmer muss ein Licht werden!“
Entscheidend war für mich darüber hinaus auch die Art des Einsatzes, der die Aufklärung und logistische Unterstützung beinhaltet und keinen direkten Kampfauftrag, wenngleich natürlich der Gesamteinsatz bewertet werden muss. Dennoch ist es ein Unterschied, um logistische Unterstützung durch einen der engsten europäischen Partner gebeten zu werden oder direkt in Kampfhandlungen einzugreifen. Das sind die zentralen Gründe, die für mich ausschlaggebend gewesen sind.
Ausführlich habe ich mit vielen Kolleginnen und Kollegen eine Zusammenfassung dieser Gründe zu Protokoll (Erklärung nach §31 Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages BT) gegeben, welche auf der Seite des Deutschen Bundestages unter http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/18/18144.pdf nachzulesen ist. Ich bin mir sicher, dass es ganz unterschiedliche Ansichten zu diesem Einsatz gibt. Ich musste eine Entscheidung treffen und habe sie nach bestem Gewissen getroffen. Ich hoffe, dass meine Gründe zumindest nachvollziehbar sind.
Zu Ihrer Frage bezüglich des Bundesparteitages möchte ich Folgendes ausführen:
Der Parteitag (10. bis 12. Dezember) hat/hatte keinen Einfluss auf eine solche Entscheidung. Hier geht es grundsätzlich um eine Gewissensentscheidung. Es war wichtig, Frankreich sehr schnell ein Signal der Unterstützung zu geben.
Mit dem Antrag „Die Zukunft gestalten - Sozialdemokratische Friedenspolitik in einer Zeit neuer Konflikte“ haben die Antragsberatungen auf dem SPD-Bundesparteitag am 10.12.2015 begonnen. Außenminister Frank-Walter Steinmeier warb für eine starke friedenspolitische Stimme Deutschlands in der Welt. Keinen Zweifel ließ er daran, dass dies nicht ohne den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad möglich sei „Ohne Assad wird es keinen Waffenstillstand geben, noch ohne ein Eingreifen der internationalen Koalition um Frankreich.“
In dem Antrag heißt es unter anderem: „Kluge Außenpolitik muss mit Sorgfalt und Weitsicht komplexe Konfliktursachen berücksichtigen und nicht selten auch die Konsequenzen von Handeln oder Nicht-Handeln umsichtig gegeneinander abwägen. Sozialdemokratische Friedenspolitik hat zum Ziel, Dialog und Zusammenarbeit in den internationalen Beziehungen zu fördern und Gewalt einzudämmen, das Völkerrecht zu stärken, die Globalisierung zu gestalten und entlang unseres Verständnisses von umfassender Sicherheit die internationalen Beziehungen zu gestalten.“ Weiter heißt es: „Die Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus wie auch die Beendigung des Bürgerkriegs in Syrien kann nur mit einem umfassenden Ansatz gelingen, der vor allem auch politische und diplomatische Mittel einschließt und auf der Grundlage des Völkerrechts basiert. Der in Wien begonnene Prozess für eine politische Lösung des syrischen Bürgerkriegs hat daher weiter oberste Priorität.“ Diesen Ausführungen kann ich mich persönlich nur anschließen.
Lieber Herr Kaußen,
bitte seien Sie sicher, dass ich mir die Entscheidung um den „Syrien-Einsatz“ nicht leicht gemacht habe. Zudem bin ich fest davon überzeugt, dass Deutschland eine starke friedenspolitische Stimme in der Welt haben muss. Diese hat in der Sozialdemokratie eine stolze Tradition, die es gilt, auch weiterhin mit Mut und Leben zu füllen.
Mit herzlichen Grüßen
Matthias Miersch