Portrait von Matthias Miersch
Matthias Miersch
SPD
98 %
56 / 57 Fragen beantwortet
Frage von Jörg T. •

Frage an Matthias Miersch von Jörg T. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Dr. Miersch,

Warum haben Sie dem Tarifeinheitsgesetz zugestimmt???

In Ihrem Wahlkreis liegt die Eisenbahnerstadt Lehrte, somit wohnen hier auch viele Lokführer und Zugbegleiter etc..

Das Tarifeinheitsgesetz ist ein Eingriff in unsere Grundrechte, was jetzt juristisch geklärt und bewiesen werden wird.

Das gerade die traditionsreiche SPD so einem Gesetz zustimmt, kann man nicht glauben. Viele Wähler werden das würdigen.

Die ganze Energie, welche die Bundesregierung für das Tarifeinheitsgesetz verbraucht hat und noch verbrauchen wird, wäre in eine wirklich spürbare Gesundheits- und Pflegereform besser investiert gewesen!

Hauptsache den Arbeitgebern geht es gut!

Mit freundl. Grüßen
J. Töpke

Portrait von Matthias Miersch
Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Töpke,

am 22.05.2015 hat der Deutsche Bundestag – auch mit meiner Stimme - das „Tarifeinheitsgesetz“ beschlossen, das selbst innerhalb der Gewerkschaften und auch in der Öffentlichkeit sehr kontrovers diskutiert worden ist, so dass ich Ihnen gerne die Hintergründe der Entscheidung nachfolgend näher erläutern möchte:

Bis zur Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts 2010 bestand der Grundsatz, wonach in jedem Betrieb für eine Beschäftigungsgruppe nur ein Tarifvertrag gelten sollte. Der Marburger Bund hatte damals geklagt und sich durchgesetzt. In der Folge haben der DGB und die Arbeitgeber als Sozialpartner an den Gesetzgeber den Appell gerichtet, nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts eine gesetzliche Regelung zur Tarifeinheit zu schaffen. Diese Forderung wurde im Koalitionsvertrag aufgenommen.

Mit dem Gesetz werden nun Regeln geschaffen, die in den Fällen gelten, wenn mehrere Gewerkschaften in einem Unternehmen konkurrieren (Tarifkollision). Im Konfliktfall soll künftig dann der Tarifvertrag gelten, der die größte Akzeptanz der Belegschaft findet. Damit soll der Zersplitterung der Arbeitnehmervertretung entgegengewirkt werden. Ich bin in den letzten Wochen von einigen Vertretern kleinerer Gewerkschaften (u.a. Cockpit, GdL) angeschrieben worden, die vor allem auf eine mögliche Verfassungswidrigkeit hingewiesen haben (Koalitionsfreiheit - Art. 9 Grundgesetz). Ohne Frage ist dieses Grundrecht ein sehr elementares, so dass ich für mich auch noch einmal sehr genau die unterschiedlichen Aspekte abgewogen habe. Wenngleich die Verfassungsressorts (Bundesjustizministerium und das Bundesinnenministerium) die Verfassungskonformität bejaht haben, so wird es endgültige Sicherheit erst mit einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts geben. Ich muss auch zur Kenntnis nehmen, dass es Verfassungsrechtler gibt, die von einer Verfassungswidrigkeit des Gesetzes ausgehen. Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier wiederum hat demgegenüber sogar eine Verpflichtung des Gesetzgebers bejaht, rechtssichere und rechtsklare Regelungen zu schaffen, wenn es widerstreitende Interessen der zur Normsetzung befugten Parteien, Konkurrenzen und Normkollisionen gibt. Das klingt alles sehr technisch, benennt jedoch das Dilemma, das wir z.B. in den letzten Wochen bei der Deutschen Bahn beobachten konnten.

Entscheidend für mich war im Rahmen der Abwägung, dass das durch das Tarifeinheitsgesetz geregelte Mehrheitsprinzip erst als letztes Mittel zur Anwendung kommt. Nur dann, wenn es den Tarifvertragsparteien nicht gelingt, durch eigenes Handeln Tarifkollisionen zu vermeiden, gilt das Gesetz. Zuvor können die Gewerkschaften weiter ihre jeweiligen Zuständigkeiten abstimmen und dafür sorgen, dass ihre Tarifverträge für verschiedene Arbeitnehmergruppen gelten. Auch ist möglich, dass der Tarifvertrag einer Gewerkschaft durch den Vertrag einer anderen Gewerkschaft ergänzt wird. Darüber hinaus können die Gewerkschaften ihre Vorstellungen miteinander im Vorfeld abstimmen und inhaltsgleiche Tarifverträge abschließen. Schließlich ist ein Konfliktlösungsverfahren auch innerhalb eines Dachverbandes einer Gewerkschaft möglich, so dass eine Vielzahl an Möglichkeiten gegeben ist, die Herstellung der Tarifeinheit per Gesetz durch gewerkschaftsinterne Abstimmung zu vermeiden. Gelingt das nicht, gilt dann der Rückgriff auf das Mehrheitsprinzip, wonach dann der Tarifvertrag gilt, der die größte Akzeptanz in der Belegschaft besitzt. Darüber hinaus gibt es Verfahrensregelungen, die kleinere Gewerkschaften schützen (Anhörungsrecht, Einräumung eines Nachzeichnungsrechts). Insgesamt soll somit die Ordnungs- und Befriedungsfunktion einen höheren Stellenwert wieder erhalten. Insgesamt erachte ich die gesetzliche Regelung somit als ausgewogene Lösung, die die unterschiedlichen Interessen angemessen berücksichtigt.

Lieber Herr Töpke, ich hoffe, dass Sie anhand meiner Erläuterungen sehen können, dass ich meine Entscheidung, für das Tarifeinheitsgesetz zu stimmen, im Vorfeld nach bestem Wissen und Gewissen abgewägt habe.

Mit freundlichen Grüßen
Matthias Miersch

Was möchten Sie wissen von:
Portrait von Matthias Miersch
Matthias Miersch
SPD