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Matthias Miersch
SPD
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Frage von Udo O. •

Frage an Matthias Miersch von Udo O. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Hallo Herr Miersch,

am 11.12.12 um 21:15 bei konnte man bei "Panorama" ein Beispiel sehen, wo gezeigt wurde, wie ein neues Gesetz der Regierung in einer Nacht- und Nebel-Aktion den Bundestag passierte, weil bei der Abstimmung um 21:57 Uhr nicht einmal 20 Abgeordnete anwesend waren, weil das Gesetz trickreich an andere Vorlagen klammheimlich angefügt wurde, sodass niemand bemerkte, was hier zur Abstimmung gebracht werden sollte. Das Gesetz ermöglicht der Versicherungsbranche, dass weit weniger Geld aus Lebensversicherungen ausgezahlt werden muss, sodass Bürger, die nicht rechtzeitig kündigen, einen deutlichen Verlust hinnehmen müssen. So wird saubere parlamentarische Arbeit still und leise ausgehebelt und schamlos hintergangen, alles unter dem Mäntelchen einer scheinbar integren und glaubwürdigen Regierung.
Damit wird der Geist der Demokratie und des Parlamentes auf den Kopf gestellt. Wohin bewegen wir uns, wenn nun schon zum wiederholten Mal mit einem Mikroparlament Gesetze beschlossen werden können? Meine Fragen: Wie stehen Sie dazu, dass Gesetze auf diese Art Gültigkeit erlangen? Wozu wird der Bundestag in Gänze noch benötigt? Wo waren Sie bei der Abstimmung und warum?

Mit verständnislosem Gruß
Udo Ohm

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Ohm,

die Antwort auf Ihre Frage möchte ich Ihnen gerne in zwei Teilen geben. Zunächst möchte ich Stellung nehmen zu dem Debattenverlauf und zu der Arbeitsweise des Bundestages. Bereits an anderer Stelle auf der Seite abgeordnetenwatch habe ich auf die Arbeitsteiligkeit des Bundestages verwiesen, ohne den eine Bewältigung der vielen Gesetzesvorhaben nicht möglich wäre. Beispielsweise sind wir in der laufenden Legislaturperiode bei einer "Drucksachen"-Anzahl von über 11.000 angekommen. Dabei handelt es sich teilweise um mehrere hundert Seiten lange Papiere.

Zu handhaben ist dies nur durch die Befassung der Problemstellungen in den jeweiligen Fachausschüssen. Mit Ausnahme der Kernzeitdebatten, der namentlichen Abstimmungen oder zu einigen wichtigen Themen befinden sich im Plenum lediglich die mit dem Thema betrauten Abgeordneten aus den betroffenen Ausschüssen. Die Ausschüsse werden entsprechend der Mehrheitsverhältnisse des Parlamentes gebildet. Die Anwesenheit vieler Politiker im Plenum würde also nicht verhindern, dass von einer Regierungskoalition schlechte Entscheidungen getroffen werden, denn eine Regierungskoalition zahlenmäßig zu "überrumpeln" klappt eigentlich nicht. Die entsprechenden Gesetze werden stets in den einzelnen Facharbeitsgruppen und dann auch in der Gesamtfraktion behandelt. In diesem speziellen Fall ist jedoch erneut eine Praxis angewendet worden, die ich stark kritisiere, da jenseits des üblichen Beratungsverfahrens diese wichtigen Regelungen an ein anderes Gesetz "in letzter Minute" angehängt wurden.

Das Bild der Abgeordnetenarbeit richtig rüberzubringen ist manchmal auch aufgrund teilweise verzerrter Berichterstattung der Medien nicht einfach. Ich möchte Sie deshalb herzlich einladen, sich einmal an mein Wahlkreisbüro zu wenden. Dort können Sie sich auf die Liste für eine politische Informationsfahrt nach Berlin setzen lassen und sich vor Ort direkt einen besseren Einblick verschaffen können.

Die Dinge, mit denen ich mich zentral bzw. als sogenannter Berichterstatter und als umweltpolitischer Sprecher meiner Fraktion beschäftige, finden Sie immer regelmäßig auf meiner Internetseite oder in meinen "Persönlichen Erklärungen".

Nun zu der fachlichen Problematik: Auch die zahlreichen Schreiben von Bürgerinnen und Bürgern haben dazu geführt, dass die Experten unserer Fraktion aus dem Finanzausschuss eine umfangreiche Stellungnahme für die Öffentlichkeit erstellt haben, die ich Ihnen hiermit zukommen lasse. Unsere Fraktion und die SPD in den verschiedenen Bundesländern hat die Thematik auch in Ihrem Sinne "auf dem Schirm". Ich hoffe, Ihnen eine zufriedenstellende Antwort gegeben zu haben, stehe aber selbstverständlich für weitere Fragen oder Anregungen zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Matthias Miersch MdB

Positionierung der SPD-Bundestagsfraktion:

Das Bundeskabinett beschloss am 15. Februar 2012 den Entwurf eines Zehnten VAG-Änderungsgesetzes (BT-Drs. 17/9342), mit dem die europäischen Vorgaben zur Verringerung der Insolvenzrisiken von Versicherungsunternehmen (Europäische Richtlinie "Solvabilität II") in deutsches Recht umgesetzt werden sollen. Allerdings verzögert sich die Beratung dieses Gesetzentwurfs im Deutschen Bundestag aufgrund fortgesetzter europäischer Abstimmungen.

Einige der geplanten Rechtsänderungen sollten nach dem Willen der Bundesregierung bereits 2012 in Kraft treten. Dies betrifft insbesondere die Umsetzung des sogenannten "Unisex-Urteils" des Europäischen Gerichtshofs zur Gleichbehandlung von Frauen und Männern im Versicherungsbereich und die fraglichen Maßnahmen zur Verbesserung der Risikotragfähigkeit der deutschen Lebensversicherungsunternehmen.

Um das Gesetzgebungsverfahren hinsichtlich dieser Bestimmungen zu beschleunigen, übernahmen die Koalitionsfraktionen sie kurzfristig in ein sachfremdes, aber unumstrittenes Vorhaben, das der Finanzausschuss aktuell beriet. Hierbei handelt es sich um den Gesetzentwurf des deutschen Begleitgesetzes zum Euro-Zahlungsverkehrsraum (SEPA-Begleitgesetz, BT-Drs. 17/10038), der am 8. November 2012 von der schwarz-gelben Mehrheit im Deutschen Bundestag beschlossen wurde.

Die Abgeordneten der SPD-Bundestagsfraktion haben diesem Gesetz nicht zugestimmt, obwohl wir die Verwirklichung eines einheitlichen Euro-Zahlungsverkehrsraums unterstützen. Denn die problematischen Neuregelungen im Bereich der Lebensversicherung wirken sich für die Verbraucherinnen und Verbraucher wie folgt aus:

·Laut Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Juli 2005 sind die Versicherungsnehmer an den durch ihre Prämienzahlungen geschaffenen Vermögenswerten angemessen zu beteiligen. Hierzu gehören unter anderem die Bewertungsreserven aus der Differenz zwischen dem Markt- und dem Buchwert der Kapitalanlagen. Bisher ist deshalb bei Vertragsende an die Kunden die Hälfte der ihnen zugeordneten Bewertungsreserven auszuzahlen.

Für Bewertungsreserven auf Aktien und Immobilien gilt das auch weiterhin. Eingeschränkt wird künftig aber die Beteiligung der ausscheidenden Versicherungsnehmer an den Bewertungsreserven aus festverzinslichen Papieren, die in der Praxis den Großteil der Kapitalanlagen der Versicherer ausmachen. Nunmehr ist rechnerisch zunächst zu prüfen, ob und gegebenenfalls inwieweit ein Versicherungsunternehmen diese Reserven zur Sicherstellung der dauernden Erfüllbarkeit der Verpflichtungen aus den verbleibenden Versicherungsverträgen benötigt. In dem Umfang, in dem dies in Niedrigzinsphasen -- wie derzeit -- der Fall ist, entfällt eine Auszahlung und die Bewertungsreserven verbleiben im Unternehmen zugunsten der Versichertengemeinschaft. Nach Meinung der Bundesregierung wird dadurch ein fairer Interessenausgleich zwischen den ausscheidenden und den verbleibenden Kunden erreicht.

·Mit der Einführung des europäischen Binnenmarktes für Versicherungen erfolgte in Deutschland eine Trennung zwischen den Bestandsversicherungen, die bis Mitte 1994 abgeschlossen wurden, und den nachfolgenden neuen Versicherungsverträgen. Die damals vorhandenen Rückstellungen für Beitragsrückerstattungen (RfB) wurden vollumfänglich dem Altbestand zugeordnet und haben sich -- im Vergleich zu den RfB des Neubestands -- überproportional gut entwickelt. Die Funktion der RfB, die Überschussbeteiligung für die Kunden zu stabilisieren und der Garantiezusagen der Versicherer zu sichern, beschränkt sich damit auf die jeweiligen Teilbestände.

Aus Mitteln des Altbestands und künftig anfallenden Überschüssen müssen die Unternehmen nunmehr einen dritten kollektiven RfB-Teil bilden, der die Risikotragfähigkeit des gesamten Versicherungsbestands -- unabhängig vom Zeitpunkt des Vertragsabschlusses -- sichern soll. Durch diese Teilkollektivierung der RfB soll einer Ungleichbehandlung der Versicherungsnehmer entgegengewirkt werden. Tendenziell verringert dies die Überschussbeteiligungen der Versicherten mit Altverträgen vor 1994.

Die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion übten deutliche Kritik an diesen Bestimmungen. Grundsätzlich ist es Aufgabe der Versicherungsunternehmen, die langfristige Lebensversicherungsverträge anbieten, ihre garantierten Zinszusagen umsichtig zu kalkulieren und durch adäquate Vermögensanlagen abzusichern. Übliche Konjunkturzyklen mit schwankenden Zinsniveaus sind dabei zu berücksichtigen.

Unstreitig stellt das aktuelle Niedrigzinsumfeld die deutschen Versicherer vor eine wachsende Herausforderung. Nicht nachvollziehbar ist aber, warum die von CDU/CSU und FDP angestrebte Stabilisierung der deutschen Lebensversicherungsunternehmen ausschließlich über Vermögensumschichtungen zwischen den verschiedenen Versichertengruppen erfolgt. Das Interesse der Versicherungskunden, die ihr Vermögen im Vertrauen auf die Sicherheit und Rentabilität in Lebensversicherungen angelegt haben, wird damit nicht hinreichend berücksichtigt.

Sowohl die Neuregelung der Beteiligung an den Bewertungsreserven als auch die Teilkollektivierung der RfB belasten einseitig die Versicherungsnehmer. Eine Kompensation hierfür wurde von der Bundesregierung offenbar weder angedacht noch geprüft. Denkbar wäre es etwa, die Versicherten stärker an den kapitalmarktunabhängigen Gewinnen wie den Kosten- und Risikoüberschüssen zu beteiligen. Wenn sich die Versicherungsnehmer mit einer geringeren Beteiligung an den Vermögenswerten begnügen sollen, die mit ihren Beiträgen geschaffen wurden, müssen nach Ansicht der SPD zumindest auch die Unternehmen selbst einen Beitrag zur langfristigen Finanzierbarkeit der Versicherungsverträge leisten.

Während der Beratungen im Deutschen Bundestag bestritt die Bundesregierung, dass Lebensversicherungen, die kurz nach Inkrafttreten der Neuregelungen ausgezahlt werden, durch den Wegfall von Bewertungsreserven deutlich verringert werden. Diese Einschätzung teilten wir nicht und sahen uns in den letzten Wochen durch Schreiben betroffener Versicherungsnehmer nachdrücklich bestätigt. Selbst Bürgerinnen und Bürger, deren Lebensversicherungen erst in einigen Jahren fällig werden, sorgen sich wegen der möglichen Reduzierung ihrer Ansprüche, die durch abnehmende Überschussbeteiligungen ohnehin bereits sinken. Nachdem auch die Medien äußerst kritisch über die VAG-Änderungen berichteten, forderte schließlich sogar der CDU-Parteitag Anfang Dezember 2012 die eigene Bundesregierung und die CDU-Bundestagsfraktion auf, die Kürzung der Beteiligung der Versicherten an den Bewertungsreserven der Lebensversicherer rückgängig zu machen (Beschluss
C 89).

Erst angesichts dieser breiten Ablehnung veranlasste die Bundesregierung endlich die Folgenabschätzung, die sie der Opposition zuvor verweigert hatte. Die Überprüfung, die das Bundesfinanzministerium in Zusammenarbeit dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) und der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) vornahm, betätigte im Ergebnis, dass Auszahlungskürzungen über zehn Prozent möglich sind. Proberechnungen bei ausgewählten Unternehmen ergaben Abschläge in einer Bandbreite von 2,5 bis 11 Prozent.

In der Sitzung des Finanzausschusses am 12. Dezember 2012 erklärten Bundesregierung und Koalitionsfraktionen daraufhin, derart große Einschnitte für einzelne Versicherte seien nicht beabsichtigt gewesen. Das Bundesfinanzministerium kündigte an, die Abschläge -- bezogen auf das jeweilige Unternehmen -- per Rechtsverordnung auf durchschnittlich fünf Prozent der auszuzahlenden Versicherungsleistungen zu deckeln. Mit dieser Regelung sollen die Kürzungen für den einzelnen Versicherungsnehmer auf unter zehn Prozent begrenzt und somit "Härten" vermieden werden. Die BaFin sagte zu, bei Bedarf im Wege der Missstandsaufsicht tätig zu werden, und kündigte außerdem an, die Umsetzung der Neuregelungen durch die Versicherer zu kontrollieren.

Die Erkenntnis, dass sich Bundesregierung und Koalitionsfraktionen der Konsequenzen ihrer Gesetzgebung für die Bürgerinnen und Bürger nicht bewusst waren, ist erschreckend. Doch mit diesem Eingeständnis von CDU/CSU und FDP sind die grundsätzlichen Einwände der SPD-Bundestagsfraktion nicht erledigt. Höchst bedenklich ist außerdem, dass die Regierung -- und nicht der Gesetzgeber selbst -- gerade beschlossene Rechtsänderungen noch vor ihrem Inkrafttreten korrigiert. Wir haben deshalb im Finanzausschuss gefordert, das Versicherungsaufsichtsgesetz im Frühjahr 2013 erneut auf den Prüfstand zu stellen und nach sorgfältiger Folgenabwägung notwendige Änderungen nachzuholen.

Auf Antrag der SPD-regierten Länder Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Rheinland-Pfalz rief der Bundesrat am 14. Dezember 2012 den Vermittlungsausschuss zum SEPA-Begleitgesetz an. Damit werden die Änderungen des VAG nicht wie geplant am 21. Dezember 2012 in Kraft treten. Die Vertreter der SPD werden sich in den anstehenden Verhandlungen für die berechtigten Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher einsetzen.

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