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Matthias Miersch
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Frage von Klaus-Peter S. •

Frage an Matthias Miersch von Klaus-Peter S. bezüglich Finanzen

Sehr geehrter Herr Dr. Miersch,

in der kommenden Woche steht die ernorm wichtige Entscheidung über die Erweiterung des europ. Rettungsschirms an. Bei dieser Entscheidung sind Sie - der Papst erinnerte in seiner großen Rede in der letzten Woche daran- nur Ihrem Gewissen verpflichtet. Wie werden Sie entscheiden? Waren Sie bei der Rede des Papstes anwesend? Können Sie es beim Streben nach Gerechtigkeit verantworten, dass Deutschland noch größere Lasten übernimmt und Bürgschaftsverpflichtungen eingeht, die das Land im Zweifel in den Bankrott treiben?

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Schinkel,

ich habe mein Abstimmungsverhalten zum EU-Stabilisierungsfonds in einer Persönlichen Erklärung erläutert, die ich Ihnen auch an dieser Stelle zur Verfügung stelle. Übrigens können Sie sich unter www.miersch-newsletter.de anmelden, wenn Sie auch kommende Persönliche Erklärungen von mir zu wichtigen Abstimmungen regelmäßig erhalten möchten.

*Worum geht es beim Euro-Rettungsschirm*

Die Abstimmung über die Aufstockung und Veränderung des Euro-Stabilisierungsfonds - technisch genannt die Änderung des Vertrages über die „European Financial Stability Facility“ (EFSF) - ist eine hoch komplexe, schwierige und sicher eine der wichtigsten Entscheidungen der letzten Jahre. Die Garantien der Staaten der Europäischen Union für den temporären Rettungsschirm (EFSF) werden auf 780 Mrd. Euro steigen, damit eine Summe von 440 Mrd. Euro zu guten Kreditkonditionen refinanziert werden kann. Der Garantieanteil Deutschlands steigt auf die unvorstellbare Summe von 211 Mrd. Euro. Es geht zudem um Befugnisse des Rettungsschirms, die die Staats- und Regierungschefs der EU am 21. Juli vereinbart haben, wodurch Beteiligungsrechte der Nationalstaaten betroffen sind. Der Fonds soll künftig Staatsanleihen von Krisenstaaten - wie Griechenland, Portugal und Irland - kaufen und Darlehen zur Stützung von Banken vergeben können. Es geht also in erster Linie um die Bereitstellung von Sicherheiten jenseits des Druckes der Finanzmärkte.

*Rettungsschirm ist nur ein erster Schritt*

Die Entscheidung berührt zentrale Fragen künftiger Finanz- und Wirtschaftspolitik und sie rüttelt an den Säulen unserer Demokratie. Im Kern geht es um die Frage, ob Finanzmärkte oder demokratisch legitimierte Regierungen und Parlamente das Sagen auf dieser Welt haben. Es gibt in dieser Situation keine Blaupause und keine Patentlösung, zumal die Probleme in Staaten wie Griechenland und Irland sehr unterschiedlich sind. Gerade deshalb will ich nicht den Eindruck erwecken, dass mit dieser Entscheidung alle Probleme gelöst werden. Im Gegenteil: Die SPD-Bundestagsfraktion hat immer wieder klar gemacht, dass Rettungsschirme alleine nicht reichen werden. Vielmehr müssen wir auch die Ursachen der Probleme bekämpfen. Wir fordern seit vielen Monaten (siehe frühere Persönliche Erklärungen) viel weitergehender Maßnahmen, wie z.B. die wirkliche Beteiligung der Banken, Verbote bestimmter Finanzgeschäfte, die Einführung einer Finanztransaktionssteuer (gerade gestern hat sich sogar Kommissionspräsident Barroso endlich dieser Forderung angeschlossen!) und die Machtbegrenzung der Ratingagenturen. Dazu gehört auch die Reduzierung der für Griechenland untragbaren Zinslast durch einen Schuldenschnitt. Gleichzeitig benötigen wir Interventionsmöglichkeiten der Europäischen Union, wenn Staaten ihre Hausaufgaben nicht machen. Teile dieser Forderungen hätten längst umgesetzt werden können.

*Zick-Zack-Kurs von Kanzlerin und Schwarz-Gelb*

Die Bundeskanzlerin und die Fraktionen von CDU und FDP handeln dagegen seit zwei Jahren chaotisch und unverantwortlich. Es wird ausgewichen, abgewiegelt, verschleiert und verschleppt bis die Kosten für die Euro-Rettung immer höher steigen. Zwei Tage vor der Wahl in NRW im Jahr 2010 sagte Schwarz-Gelb: 22,4 Mrd. Euro Garantien für Griechenland und keinen Cent mehr. Bereits zwei Tage nach der Wahl wuchs der deutsche Anteil auf 123 Mrd. und jetzt auf 211 Mrd. So darf verantwortungsvolle Politik nicht aussehen. Natürlich kann die Hilfe dieser überforderten Regierung kein Argument für eine Zustimmung sein. Es steht jedoch viel mehr auf dem Spiel…

*Ich habe zugestimmt*

Ich habe zugestimmt, weil ich in einer sehr ausführlichen persönlichen Abwägung zu der festen Überzeugung gekommen bin, dass ein „Nein“ des Deutschen Bundestages zu diesem Europäischen Rettungsschirm weitaus gravierendere Folgen gehabt hätte. Nicht umsonst haben in dieser Woche noch einmal Gewerkschaften und Arbeitgeber für den Rettungsschirm geworben. Ein Bruch der Europäischen Union würde viele Jahrzehnte des friedlichen Zusammenwachsens von Europa in einer globalisierten Welt, in der uns wichtige Zentren in Amerika und Asien gegenüberstehen, in Frage stellen. Ein Bruch der Wirtschaftsunion würde gerade auch die deutsche Wirtschaft in einen Aufwertungsschock treiben und unsere Produkte schlagartig verteuern. Die Schweiz erlebt das gerade, wobei es für sie sicher noch leichter zu verkraften ist und jetzt dennoch massiv an den Finanzmärkten intervenieren muss. Bereits die Finanzmarktkrise hat nach OECD Angaben über 13 Mio. Arbeitsplätze gekostet. Es geht also auch um die Existenzgrundlage vieler Menschen. Wer Finanzmärkte regulieren will und weltweit angemessene Lebensbedingungen durchsetzen will, der muss auf solidarische Lösungen setzen und kann sich nicht auf den Nationalstaat zurückziehen. Wenn einige Abgeordnete von CDU und FDP argumentieren, sie wollten durch ihre Ablehnung des Rettungsschirms eine Transferunion verhindern, so ist das kein tragendes Argument. In der EU hat es schon immer riesige Transfersummen gegeben, wie z.B. im Agrarbereich. Aber auch in der aktuellen Situation haften wir bereits gemeinschaftlich mit Milliardensummen, da z.B. die Europäische Zentralbank wöchentlich zu hohen Beträgen Staatsanleihen der Krisenstaaten aufkauft. Die einfachen Antworten sind nicht immer die tragfähigsten.

Wichtig war für mich auch eine ausreichende Beteiligung des Parlaments bei zukünftigen Entscheidungen. Es ist ein schmaler Grat, die Beteiligung zu sichern und gleichzeitig über eilbedürftige und vertrauliche Maßnahmen im Rahmen der Finanzmarktentwicklungen entscheiden zu können. Da Kompetenzen auf die europäische Ebene verlagert werden, muss es um ein gutes Zusammenspiel von europäischer Ebene sowie deutscher Regierungs- und Parlamentsebene gehen. Sicher wird der jetzt gefundene Mechanismus auch noch Gegenstand verfassungsgerichtlicher Überprüfung sein. Entscheidend war für mich, dass die SPD-Bundestagsfraktion in den vergangenen Tagen noch weitreichende Rechte des Plenums des Bundestages sichern konnte. Grundsätzliche Entscheidungen, wie z.B. die Aufnahme eines Landes in den Rettungsfonds, bedürfen danach der Zustimmung des Bundestages. Daneben wählt der Bundestag Abgeordnete in ein „9er Gremium“, das vor allem über eilbedürftige Maßnahmen entscheiden wird.

*Wie geht es weiter*

Der temporäre Rettungsschirm kann nur ein erster Schritt sein. Es bleibt zu hoffen, dass all die von der SPD-Bundestagsfraktion erhobenen Forderungen allmählich von Schwarz-Gelb übernommen werden. Allerdings droht der nächste schwarz-gelbe Schlingerkurs, da sich der Bundestag Ende 2011 oder Anfang 2012 mit dem „dauerhaften“ Rettungsschirm (ESM) befassen wird. Diesbezüglich tauchen hier in Berlin immer neue Gerüchte auf, wonach dieser mit neuer „Hebelwirkung“ (so EU-Währungskommissar Rehn) ausgestattet werden soll. Das alles trägt nicht zum Vertrauen in die Regierenden bei. Gleichzeitig läuft in der FDP eine Mitgliederbefragung, die für Schwarz-Gelb unangenehme Folgen haben kann. Es liegen also noch viele unbekannte Baustellen vor uns.

Für mich steht fest, dass auf der Ebene der Europäischen Union eine noch viel engere Abstimmung erfolgen muss. Das setzt auch die Abgabe von Souveränitätsrechten voraus, wobei die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland eindeutige Grenzen zieht. Die sogenannte „Troika“ versucht derzeit als quasi-Vertreterin der Geldgeber, harte Einschnitte in Griechenland durchzusetzen, da die Leistungen des Rettungsschirms an Bedingungen geknüpft sind. Dazu gehört auch die Bekämpfung von Steuerdumping, wie es z.B. Irland in der Vergangenheit versucht hat. Diese Mechanismen werden in der Europäischen Union dauerhaft entwickelt werden müssen. Dafür wird noch viel Überzeugungsarbeit notwendig sein.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Matthias Miersch MdB

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